46. Alles wird sich ändern

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Im Nachhinein konnte Felice kaum glauben, dass es ihr möglich gewesen war, in den wenigen Stunden, in denen sie sich bei Dumbledore im Büro aufgehalten hatte, alles zu berichten was in ihrer Vergangenheit geschehen war.

Dabei wurde sie von Dumbledore gebeten kein Detail auszulassen, da jedes, so klein es auch sein mochte, vielleicht genau die Quintessenz zum Sieg gegen Grindelwald war. So jedenfalls drückte sich der alte Schulleiter aus.

Immer wieder musste Felice jedoch unterbrechen, weil ihr die Kraft dazu fehlte von allem zu berichten was ihr Vater getan hatte oder von dem was sie sich hatte mit ansehen müssen. Die Erinnerungen quälten sie schon viel zu lange.

Alles.

Alles was ihr Vater ihr angetan hatte, ihrem Bruder, ihrer leiblichen Mutter und ihrer Tante. Doch sie ließ kein Detail aus, berichtete alles an das sie sich noch erinnerte. Auch die Geschehnisse der vergangenen Weihnachtsferien. Was sie von Charon erfahren hatte und dass er und Winny die einzigen waren, die in der Lage waren Astor geringfügig zu beschützen.

Dumbledore unterbrach sie nur wenige male um bei manchen Unklarheiten nachzuhaken. Irgendwann krempelte sie auch ihren Rechten Ärmel hoch und entblößte so die hässlichen Narben, die die sonst so glatte Haut entstellten. Wie Meterhohe Wellen brachen die Erinnerungen an die Nacht, bevor sie das erste Mal nach Hogwarts gekommen war, über sie ein. >>Er schickt mir Träume... Lässt mich sehen, welche Freude er daran hat Astor zu foltern.<<, brachte sie nur mühsam hervor. Die Tränen waren versiegt, doch sie fühlte sich geschwächt und abgekämpft.

Zusammengesunken saß sie auf dem Stuhl vor Professor Dumbledores Schreibisch. Zu schwer lastete ihre Vergangenheit auf ihr, über deren Ausmaß, sie sich jetzt erst richtig bewusst wurde.

>>Felice... Ich hatte keine Ahnung...<<, fassungslos rang Dumbledore nach Worten und schüttelte immer wieder mit dem Kopf. Zu unfassbar klang das alles, doch er war sich sicher, dass Felice keineswegs übertrieben hatte.

>>Dürfte ich vielleicht...?<<, er deutete leicht auf ihren immer noch entblößten Arm. Stumm nickte Felice und legte ihren Arm ausgestreckt auf den Tisch. Unheilverheißend pulsierten die wulstigen Linien wieder und ein unangenehmes Kribbeln breitete sich über ihren Arm aus.

Würdevoll erhob sich Dumbledore von seinem Schreibtisch und beugte sich über die Tischplatte. Er beugte sich so tief hinunter, dass seine Nase beinahe ihren Arm streifte. Sein Atem kitzelte leicht, als er unverständliche Dinge murmelte und ganz Sacht mit seinem Zauberstab über die Narben strich.

>>Es sind Fluchnarben.<<, stellte Felice irgendwann fest obwohl sie sicher war, dass der Professor das wahrscheinlich schon längst selbst erkannt hatte. Sie konnte bloß diese Stille nicht mehr ertragen.

>>Aber keine gewöhnlichen...<<, murmelte Dumbledore, bevor er sich schwerfällig in seinen Stuhl zurück fallen ließ. Seufzend nahm er die Halbmondförmige Brille ab und massierte sich die Nasenwurzel.

>>Ja, deine Narben sind mit einem Fluch belegt, aber dein Vater ist es nicht der dir diese Träume sendet. Ich glaube auch nicht, dass deine Träume einfach nur irgendwelche Träume sind.<<

Verwirrt zog Felice die Augenbrauen zusammen und schüttelte unverständlich den Kopf. >>Aber wie? Ich meine, ich sehe immer, wenn ich in seinen Augen versagt habe, wie Astor leidet. Manchmal spricht er auch mit mir.<<

Dumbledore schüttelte bestimmt mit dem Kopf. >>Nein, mein Kind. Das ist etwas anderes. Träume sind Dinge, mit denen unser Unterbewusstsein nicht klarkommt und es dann im Schlaf nochmal neu verarbeiten muss. Manchmal weisen sie uns den Weg, wenn sie uns dann gewisse Dinge anders oder neu erkennen lassen. Aber ich befürchte, dass wir dazu ein anderes mal kommen müssen.<<

Für einen Moment schloss der Professor die Augen und in diesem kurzen Moment wirkte er unglaublich alt und müde. So hatte Felice den Schulleiter noch nie gesehen. Es machte ihr ein wenig Angst, dass man diesem, sonst so vor Kraft strotzende Fels, dem alle immer ihr Vertrauen schenkten, einfach weil man es musste wenn man von seinen Hellblauen Augen geröntgt wurde, in diesem Moment einfach sein alter ansah. Seufzend setzte Dumbledore wieder seine Brille auf und schien kurz nachzudenken, ehe er weitersprach.

>>Und diesen Charon hattest du vor den Ferien, noch nie in deinem Leben gesehen?<<

>>Niemals. Obwohl er behauptete, erst der Lehrmeister meiner Mutter und dann der von mir und Astor gewesen zu sein. Aber ich habe sein Gesicht noch nie in meinem Leben gesehen.<<, vehement schüttelte sie den Kopf und strich sich eine blonde Haarsträhne zurück hinter das Ohr.

Bedächtig nickte der Schulleiter, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und legte die Fingerkuppen aneinander. >>Charon... Außergewöhnlicher Name. Der Fährmann der Toten aus der griechischen Mythologie stammend... Er begleitete die Seelen der Verstorbenen in das Reich des Todes. Selbst dazu verdammt keine Ruhe zu finden.<<

>>Es ist nur ein Name, oder?<<, flüsterte sie und konnte das zittern in ihrer Stimme nicht unterdrücken.

>>Das mag sein.<<, Dumbledore lächelte milde. >>Aber Namen verleihen Macht. Eine Macht die uns manchmal das Fürchten lehrt, doch dankbarerweise sind wir in der Lage diese Macht zu brechen. Den einen fällt es leichter, den anderen schwerer. Das ist auch der Grund warum so viele fürchten den Namen Voldemorts auszusprechen.<<

Felice zuckte zusammen, als der Name des dunklen Lords fiel. Ihre Visionen von ihrem Vater wie er sich vor ihm verneigte kamen ihr wieder in den Sinn und es jagte ihr einen Schauder über den Rücken. >>Die Angst vor einem Namen steigert nur die Angst vor der Sache selbst...<<, murmelte sie deshalb wie ein Mantra mehr zu sich selbst, als an den Professor gerichtet. Schon oft in vergangenen Jahren hatte sie versucht sich das selbst einzureden. Selbst wenn sie es nicht zugegeben hätte, lehrte sie der Name Corvus Grindelwald das fürchten. Ein zittern und Schweißausbrüche suchten sie jedesmal heim, wenn sein Name erklang.

>>Weise Worte, Felice Grindelwald. Weise und besonders wahre Worte. Erstaunlich, wie die die das schlimmste erleben mussten, es dennoch schaffen aus ihrer eigenen Asche zu erstehen und selbst so einfache Dinge mit solcher Klarheit wahrzunehmen, ohne sich dabei von ihrer Angst in ihrem Blickfeld einschränken zu lassen. Daran erkennt man die wahrhaft Mutigen. Nun der sprechende Hut wird sich schon was dabei Gedacht haben dich nach Gryffindor zu senden.<<

Felice zog den Kopf ein und starrte auf ihre, in ihrem Schoß verschränkten, Hände. Vorsichtig glitt ihr Blick zu dem Regal auf dem der alte Flickenhut bis zum kommenden Sommer ruhen würde. Wahrhaft mutig... Ihre Worte waren nicht die einer mutigen gewesen, es war bloß der Versuch sich eine Illusion von Sicherheit vorzugaukeln, in der ein Name keine Macht über sie hätte. In der sie nicht sofort versteinerte wenn der Name ins Spiel kam. In der sie nicht augenblicklich fast alle tun würde, was dieser Mensch befahl, nur um ihren Bruder zu retten.

>>Es stimmt, Felice.<<, sagte der alte Professor plötzlich als habe er schon die ganze Zeit ihren Gedankengängen und Selbstzweifeln gelauscht. >>Keiner wird in ein Haus geschickt in das er nicht passt. Der sprechende Hut spürt das was tief in dir verborgen liegt, aber den Mittelpunkt deiner Persönlichkeit bestimmt.<<

>>Dann hat der Hut einen Fehler gemacht...<<, flüsterte Felice niedergeschlagen und senkte wieder den Blick auf ihre Hände.

>>Einen Fehler? Na das verbitte ich mir!<<, lachte eine Stimme, die aus ihrem inneren zu kommen schien, gutmütig auf. Erschrocken hob Felice den Kopf und die breite Hutkrempe rutschte ihr vor die Augen.

Dumbledore hatte sich ohne, dass sie es mitbekommen hätte erhoben und hatte den Hut von seinem Platz genommen um ihn Felice vorsichtig aufzusetzen.

>>Kind, du erschreckst dich auch jedesmal...<<, lachte die Stimme des Hutes. >>Doch du hast nicht ganz unrecht. Ja, auch ich mache Fehler. Was bin ich denn schon? Ein alter verstaubter Hut der einmal im Jahr seinen großen Auftritt hat. Ja, vielleicht hätte ich den ein oder anderen in ein anderes Haus schicken sollen. Aber bei dir? Nein, da habe ich keinen Fehler gemacht. Vollkommen ausgeschlossen. Ich bin immer noch der Meinung, dass die Tatsache, dass du nach Gryffindor gehörst eben so klar ist wie die Tatsache, dass morgen wieder ein neuer Tag anbrechen wird. Dein Schicksal hat noch großes mit dir vor, Felice Grindelwald. So wie ich es dir schon vor Jahren prophezeit habe. Deine Zeit ist bereits gekommen. Ab jetzt wird sich alles ändern Und du wirst erstehen aus deiner Asche.<<

Die Erbin GrindelwaldsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt