Kapitel 29 - Kira

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Immer noch geschockt starre ich auf den leblosen Körper von Lethe. Wir haben uns auf eine der kleinen unbewohnten Inseln zurückgezogen, die nicht größer als fünfhundert Meter sind. Allerdings wachsen ein paar Bäume hier und bieten somit Rückzugsmöglichkeiten, für die von uns die mal allein sein müssen. Ich fasse es nicht, dass ausgerechnet Lethe uns verraten hat. Die zurückhaltende Lethe, die immer in Lopes Schatten stand und ihr den Rücken stärkte. Aber sie kann so etwas nicht allein geplant haben. Dazu hat sie gar keinen Grund. Es muss jemanden geben, der sie angestachelt hat. Jemand der genau wusste, wie Lethe tickt und sie mit ihren geheimsten Wünschen gelockt hat. Kilian kehrt ohne Toni zurück, nachdem er aufgebrochen war um sie zu suchen.

»Wo ist Toni?«, frage ich besorgt.

»Es geht ihr gut. Sie hat das dritte Artefakt geborgen«, antwortet Kilian so ausdruckslos, dass ich meinen Bruder nicht wiedererkenne.

»Was ist nur los mit dir, Kilian?«, frage ich eindringlich und studiere sein Gesicht. Früher konnte ich ihm jede Regung im Gesicht ansehen, doch mittlerweile hat er die steinerne Fassade mit der er seine Gefühle versteckt, perfektioniert.

»Nichts ist mit mir los«, gibt er barsch zurück. »Wir haben eine Mission zu erfüllen und dafür muss ich bei klarem Verstand sein.«

Ich kann das harte Lachen, dass sich aus meiner Kehle befreit einfach nicht unterdrücken.

»Wenn ich eins weiß, Kilian, dann dass du gerade nicht bei klarem Verstand bist.«

Wütend funkelt mein Bruder mich an. »Ach und das weißt du weil?«

»Weil ich dich nicht wieder erkenne. Du hast da eine Hammer Frau vor dir und stößt sie immer wieder von dir. Dabei ist sie genau das was du an deiner Seite brauchst. Sie hat mehr als einmal bewiesen, dass sie eine perfekte Königin wäre, aber du kämpfst nicht mal um sie.«

»Ich brauche nicht um etwas zu kämpfen, dass ich nicht will«, erwidert er barsch und der harte Ton beweist, dass er nur versucht sich selbst von der Wahrheit seiner Aussage zu überzeugen.

Einen Moment bin ich sprachlos, dann verziehe ich das Gesicht und sage: »Klar, nur weiter so Kilian, belüg dich nur selbst, während Helios geht um deiner Frau beizustehen. Prima! Machst du perfekt.« Ich hebe noch einmal meine beiden Daumen um die sarkastische Aussage zu unterstreichen, dann wende ich mich von meinem Bruder ab. Es nervt, dass er einfach nicht eingestehen kann, dass er Toni braucht. Ich habe ihn beobachtet, wie er sie anschaut, wenn er glaubt, dass niemand hinsieht, wie die Sehnsucht in seinen Augen aufglüht, wie sich Traurigkeit in seinem Gesicht abzeichnet, wenn er sie zusammen mit Helios beobachtet. Und auch Toni sieht Kilian so an, wenn sie meint keiner schaut sie an. Jeder Blinde kann sehen, dass die beiden zusammen gehören, dass es Schicksal war, welches Toni nach Atlantis führte. Aber er muss sie ja immer wieder von sich stoßen.

Helios kommt mit Toni zurück und man sieht ihr an, dass sie geweint hat. Doch sie hält den Kopf stolz erhoben mit einer Entschlossenheit in den Augen, die sie wie eine Königin wirken lässt. Toni ist einfach nicht klein zu kriegen und ein Lächeln huscht über meine Lippen.

Niemals hätte ich gedacht so eine Schwägerin zu bekommen. Ich habe immer mit einem Püppchen gerechnet, dass vor meinem Bruder kuscht und alles macht was er sagt, aber Toni ist nichts von alledem und trotzdem ist sie wunderschön. Sie strahlt wie ein Stern am Himmel.

Wir verbrennen Lethes Leichnam und übergeben ihre Asche dem Meer. Danach versuchen wir alle ein bisschen Luft zu bekommen. Während ich am Strand sitze und die Wellen beobachte, die sich weiter draußen am Riff brechen, fängt mein Beutel an zu vibrieren und einen leisen, pfeifenden Ton auszustoßen. Als ich hineingreife, spüre ich, dass es der Kommunikator ist, den Onkel Remo mir mitgegeben hat. Um die anderen nicht zu stören, setze ich mich etwas abseits und klappe das kleine Teil auf. Remos Gesicht leuchtet mir auf der durchsichtigen Oberfläche entgegen.

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