Kapitel 35 - Kilian

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Mutter ist verzweifelt und schluchzt an der Brust meines Vaters. Kiras Verlust hat auch ihn schwer getroffen. Noch nie habe ich den König weinen sehen, doch im Moment laufen stumme Tränen über seine Wangen. Und ich? Ich fühle mich einfach nur leer und betäubt. Nicht einmal Tränen kommen mir. Dabei ist es meine Schwester die unter den Steinen begraben liegt. Ich weiß, dass sie tot ist. Das fühle ich und trotzdem scheint es nicht so richtig in mein Bewusstsein zu sickern. Vielleicht streikt mein Herz auch einfach, weil es weiß, dass es diesen Schmerz nicht ertragen kann.

Ein Schrei hallt durch den Gang und holt mich aus meiner Lethargie zurück. Toni. Entschuldigend schaue ich meine Eltern an. Ich will sie eigentlich nicht allein lassen, aber ich darf Toni nicht auch noch verlieren.

»Ich muss zu ihr«, sage ich und meine Stimme zittert.

»Geh schon«, antwortet mein Vater und seine Stimme klingt erstaunlich fest. Ich nicke nur und springe auf.

Als ich den großen runden Raum erreiche, kann ich Toni nicht sofort finden und die Angst schnürt mir die Kehle zu. Doch dann entdecke ich sie: Die Knie an die Brust gezogen sitzt sie in der Mitte auf einer Art Podest und hat die Stirn auf die Knie gelegt. Ihre Schultern beben und Helios, der neben ihr sitzt, sieht sie verzweifelt an.

Innerhalb von Sekunden, stehe ich vor ihr und Helios macht Platz für mich, während er mich aufklärt: »Die Artefakte stehen alle an ihren Platz. Aber irgendetwas fehlt, überall steht etwas von einem fünften Element, dass es aber nicht gibt. Toni hat aufgegeben glaube ich«, setzt er noch leise hinzu. Ich nicke ihm zu um ihm zu danken.

Dann setze ich mich zu Toni und nehme sie in den Arm. Sie hebt den Kopf. Ihre Augen sind groß und gerötet von den Tränen die ihr über die Wangen laufen. »Hey«, flüstere ich leise um sie nicht zu erschrecken.

»Ich habe versagt«, wispert sie und ihre Lippen beben. »Und Kira ist meinetwegen tot.« Bei Kiras Namen durchfährt mich ein Stich. »Du hasst mich jetzt bestimmt.« Ihr Kopf fällt an meine Brust und ich spüre ihre Schultern beben, völlig geschockt von ihren Worten.

Ich lege zwei Finger unter ihr Kinn und hebe es an, damit sie mir in die Augen schauen muss.

»Ich könnte dich niemals hassen, Toni«, flüstere ich sanft. »Ich liebe dich. Und du bist nicht schuld an Kiras Tod. Sie wollte, dass du lebst, weil sie wusste wie glücklich du mich machst.«

Ungläubig schaut sie mich an, als könne sie nicht glauben, dass ich immer noch so empfinde.

»Ich liebe dich, Toni«, sage ich noch einmal, mit mehr Nachdruck und endlich wird die Schuld in ihrem Blick ein bisschen kleiner. Meine Worte scheinen in ihr einzusickern, denn ihre Augen leuchten auf und obwohl sie total verheult aussieht, ist sie das Schönste was ich je gesehen habe, als sie sagt: »Ich liebe dich, Kilian« Dann beugt sie sich vor und küsst mich, als hätte sie geglaubt nie wieder meine Lippen spüren zu können, als wäre dies das letzte Mal, dass wir so beisammen sein können. Und vielleicht ist es auch wirklich das letzte Mal, also will ich es voll auskosten.

Eine unglaubliche Wärme durchflutet mich und ich habe das Gefühl von innen heraus zu leuchten. Als würde sich unsere Liebe in ein glühendes Licht verwandeln, das die ganze Welt sehen kann. Das Gefühl erfüllt meinen ganzen Körper und ich hoffe, dass Toni es ebenfalls spüren kann, denn es schenkt mir Hoffnung.

Als ich mich von Toni löse und sie erneut anschaue, stelle ich fest, dass das Leuchten nicht nur ein Gefühl ist. Toni und mich umgibt ein goldenes, sanftes Schimmern, welches auch die Luft erfüllt. Als ich mich umschaue bemerke ich, dass auch die Artefakte zu leuchten begonnen haben. Das Licht bündelt sich bei uns in der Mitte und umhüllt uns. Die Erde ist verstummt und nichts bebt mehr.

Toni sieht genauso ratlos aus wie ich.

»Was hast du gemacht?«, fragt sie leise und sieht mich an, als wäre ich das achte Weltwunder.

»Warum ich? Du bist die Auserwählte«, antworte ich verdattert.

»Aber ich habe alles versucht, die Artefakte haben sich nicht geregt und jetzt bist du da und alles leuchtet«, erwidert sie erstaunt und schaut sich um. In dem goldenen Licht glänzen ihre Augen wunderschön auf.

»Ihr wart es beide«, sagt Helios der genauso staunend auf uns schaut und eine Sehnsucht steht in seinen Augen geschrieben, die selbst mich nicht kalt lässt.

»Schaut doch, wo das Licht sich bündelt«, fährt er fort, als wir ihn nur verdattert anstarren. »Es hat sich in dem Moment erhoben, als ihr euch geküsst habt. Das Licht aus den Artefakten ist direkt auf euch zugeschossen, erst dachte ich, jetzt ist alles aus. Doch es hat sich nur gebündelt und ist zur Decke geschossen.«

Toni und ich heben gleichzeitig den Kopf und betrachten den goldenen Strahl der bis zur Decke reicht und diese zu durchstoßen scheint. Wir schauen uns wieder an und meine Frau sieht aus wie eine Göttin. Sie trägt immer noch das Kriegerkleid in dem sie gegen Remo gekämpft hat. Die Rüstung glänzt und der Umhang bewegt sich ganz leicht, als würde ein Luftzug sie umspielen.

»Ich verstehe immer noch nicht«, sagt Toni und schaut fragend zu Helios, der jetzt neben Penelope steht, die von Alessio im Arm gehalten wird. Er muss sich an den Steinhaufen vorbei gekämpft haben, unter dem meine Schwester begraben liegt.

»Liebe«, sagt Helios traurig und zuckt mit den Schultern. »Liebe ist das fünfte Element.«

»Deswegen der Auszug aus der Prophezeiung«, sagt Toni, springt von dem Podest und zieht mich mit sich. Die Worte die in dein Stein eingraviert sind glühen in demselben Gold, wie auch die Artefakte.

»Das war damit gemeint«, sagt Toni begeistert. »Die Liebe sollte das fünfte Element sein.«

»Das hätte man auch ein bisschen deutlicher ausdrücken können«, brumme ich leise vor mich hin. Toni fällt mir noch einmal in die Arme und küsst mich.

»Du hast Atlantis gerettet«, flüstert sie leise und schaut mir dabei tief in die Augen.

»Wir«, antworte ich. »Wir haben Atlantis gerettet.« Erneut küsse ich meine bezaubernde Ehefrau und bin froh, dass zumindest die Städte gerettet sind.

Doch so glücklich es mich auch stimmt, dass die Städte gerettet sind, so traurig macht es mich, dass zwei Menschen die mir unheimlich wichtig waren heute ihr Leben verloren haben. Ich lege meine Stirn an Tonis und schließe die Augen um einen Moment innezuhalten.

»Wir schaffen das Kilian«, flüstert Toni, die meine zwiegespaltenen Gefühle zu spüren scheint. »Für sie«, setzt sie hinzu und schaut mich mit einem entschlossenen Ausdruck an. Ich nicke und bin unendlich froh, dass ich Toni damals gerettet habe. Ohne sie würde ich das alles nicht überstehen. Ohne sie würde es Atlantis nicht mehr geben.

Das Lächeln welches sich auf ihrem Gesicht ausbreitet ist strahlend und hell wie die Sonne. Und das ist sie für mich auch: Meine Sonne, mein Licht in der Dunkelheit.

»Lass uns nach oben gehen«, sagt Toni und hakt sich bei mir unter. Ihr Lächeln weicht von ihrem Gesicht und eine Traurigkeit die auch ich in meinem Herzen fühle, legt sich über ihre Züge. »Lass uns dafür sorgen, dass ihr Tod nicht umsonst war. Atlantis soll prächtiger werden als je zuvor«, sagt Toni und ihre Augen leuchten voller Tatendrang und einmal mehr weiß ich, dass sie eine fantastische Königin wird.

Wir werden einige Hürden nehmen müssen, denn ich bin mir sicher, dass sie sich nicht mit kleinen Fortschritten zufrieden geben wird, aber sie ist eine Kämpferin, so wie ich ein Krieger bin und deswegen werden wir das gemeinsam schaffen, davon bin ich überzeugt.

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