Kapitel 8 - Zehn Meilen

134 9 12
                                    

Alba sieht zwischen Jo und mir hin und her. Obwohl meine Frage simpel war, scheint sie überfordert zu sein.

"Ich kenne mich mit den Gefahren da draußen aus." füge ich hinzu, um ihr klar zu machen, dass ich kein ängstliches, kleines Mädchen bin und verschränke die Arme vor der Brust. Alba mustert mich nur kurz und schaut dann Jo an. 

"Viktoria, wir haben ihnen schon angeboten sich uns anzuschließen. Und Alba sagt, die Gruppe sah überzeugt aus." sagt Jo und geht auf mich zu. "Ich brauche dich hier." Ich weiche einen Schritt zurück und schüttle den Kopf. "Du hast mich vorher schon nicht gebraucht. Warum jetzt? Du hast mich noch nie gebraucht."

Jo schaut zu Boden und steckt seine Hände in seine Hosentaschen. Auf einmal sieht er so viel jünger aus. Genau so sah er jedes Mal aus, wenn Mom ihn angeschrien hat, weil er wieder zu spät nach Hause gekommen ist. Vor dem Ausbruch war die Beziehung zwischen Jo und mir zwar nicht schlecht, aber wir waren auch nicht die besten Freunde. Die Typische Bruder-Schwester Beziehung eben. Wären wir nicht miteinander verwandt und wären zusammen aufgewachsen, hätten wir wahrscheinlich nichts gemeinsam. 

"Ich bin kein Kind mehr Joseph, also behandle mich auch nicht wie eines." Sein Blick wandert wieder hoch zu mir und er nickt.
Nathan und Hector sagen die ganze Zeit über nichts, sie schauen uns einfach nur zu, wie wir uns Streiten. Von Nathan habe ich erwartet, er würde sich für mich einsetzen oder sich sogar mit mir den Spähern anschließen. Aber er steht nur an die Wand gelehnt da und hört zu. 

"Was ist mit dir?" fragt Jo Nathan, als hätte er meine Gedanken gelesen. Nathan schreckt leicht auf und sieht zwischen Jo und mir hin und her wie ein scheues Reh. Er sieht so schwach aus. Ausgelaugt, von der ganzen Arbeit und den Schlaflosen Nächten. Wie soll man da auch noch gesund aussehen. Als die Stille nicht mehr auszuhalten ist, antworte ich für Nathan:
"Nathan sollte hier bleiben. Er ist viel zu stark, um einfach nur den ganzen Tag durch die Gegend zu laufen." 

Jo nickt verständnisvoll und atmet dann einmal tief durch. "Ja, du hast recht." Mein Blick wandert zu Nathan rüber, welcher mich anstarrt. Seine Gesichtszüge sind nichtssagend. Hoffentlich ist er mir nicht böse. 

"Ich muss jetzt weiter, ich hab noch eine Menge zu tun." sagt Jo und schlägt einmal kurz in die Hände. "Nathan, du bist später wieder bei Owen im Wald. Alba du weißt was du zu tun hast." Er lächelt sie einmal kurz an und verschwindet dann schnell.

Ich wende mich wieder an Alba, welche mich anlächelt und mir die Hand reicht. "Willkommen bei den Späher." sagt sie und ich reiche ihr meine Hand. Ich kann nicht anders als breit zu grinsen. Erneut macht sich dieses warme Gefühl in meiner Brust bemerkbar. 

Es dauert nicht mehr lange und vielleicht ist dann alles wieder gut. Wenn die anderen im Brandys sind, ist alles wieder gut. Alles.

Als Alba meine Hand wieder loslässt, werde ich aus meiner Gedankenwelt gerissen und ich sehe sie leicht beschämt an. "Hector und ich müssen noch kurz einmal eine Runde drehen. Komm nach dem Mittagessen einfach zur Rezeption und ich erkläre dir alles." Ich nicke nur und schaue den beiden hinterher, während sie die Küche verlassen.

Ramon hat sich scheinbar vorher schon raus geschlichen, denn Nathan und ich bleiben allein zurück. "Alles in Ordnung?" frage ich ihn und gehe auf ihn zu. Er ist blass und die ganze Freude, die er vor ein paar Minuten noch ausgestrahlt hat, ist wie weggeblasen. Langsam schüttelt er den Kopf. "Wieso willst du gehen?" Ich kann leider sein Gesicht nicht sehen, denn er starrt die weißen Fliesen unter seinen Füßen an, aber er klingt verletzt. Verdammt. 

Leise seufzte ich. Ich gehe näher an ihn heran und lege meine Hände an seine Arme. Er zittert ein wenig und meine Brust fühlt sich so an, als würde sie gleich zerspringen. Es wäre untertrieben zu sagen, ich wäre schockiert. Ja, ich wusste, dass Nathan gerade nicht wirklich er selbst ist. Ihn jetzt so zu sehen gibt mir das Gefühl, etwas falsches zu machen. Vielleicht sollte ich wirklich nicht mit den Spähern los ziehen. Aber wenn ich nicht gehe, kommen die anderen vielleicht nicht zum Brandys. Ich würde es ihnen nicht verübeln. So wie es an der Farm aussah, würde ich auch drei mal überlegen, ob ich mit irgendwelchen Fremden mit gehe. Aber das ist auch nicht das einzige, was mich dazu bewegt. Die Hoffnung, meine Eltern wieder zu finden, sitzt nun noch viel tiefer in mir. Was die Späher machen, ist die perfekte Möglichkeit die Gegend zu erkunden ohne sich in wirkliche Gefahr zu begeben. Mit einer Gruppe ist man stärker als allein. 

INFECTED 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt