2. Kapitel - Winkelgasse

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Eine Stunde später sitze ich neben Hagrid, der zwei Sitze braucht, im Zug nach London. Wären wir warten, erzählt er weiter über Hogwarts, dass es in vier Häuser aufgeteilt ist und viele für mich kurios klingende Fächer hat. Beinahe hätten wir den Ausstieg verpasst. Wir laufen über eine belebte Straße und ich spähe in jeden abzweigenden Weg aufmerksam rein, alle Geschäfte sehen ganz normal aus, auch auf den Schildern steht nirgendwo Winkelgasse. Plötzlich hält Hagrid an und ich frage: „Was ist?" „Wir sind da!" Er steuert auf einen kleinen Pub zu, den ich erst gar nicht bemerkt habe. Ich kann gerade noch das Schild über dem Eingang lesen, auf ihm steht „Zum Tropfenden Kessel", dann sind wir schon drinnen. Der Riese will wohl eine Pause machen. Ich stelle mich schon auf ein längeres Rumsitzen ein, aber Hagrid grüßt nur einmal kurz und geht direkt weiter in den Hinterhof. Jetzt wundere ich mich noch mehr, denn der ist nur ein paar Quadratmeter groß und es stehen auch keine Tische dort. Er zieht einen Stab, von dem mir erst nach einigen Momenten klar wird, dass es sein Zauberstab sein muss und klopft damit gegen einen Ziegel. Ich reiße unwillkürlich die Augen auf, als sich plötzlich ein Spalt öffnet, der breiter und breiter wird, bis ein Torbogen entstanden ist, der sogar leicht groß genug für Hagrid ist. Der geht schon weiter und weckt mich so aus meiner staunenden Erstarrung auf. Es gibt so viele Läden! Ich kann mich kaum sattsehen, irgendwann gehe ich dazu über, nicht mehr die Schilder zu lesen, sondern einfach die Schaufenster zu betrachten. Besonders ein mit Besen geschmücktes fällt mir ins Auge und ich frage verblüfft: „Ihr fliegt auf Besen? Hagrid nickt mit einem amüsierten Lächeln im Gesicht. „Ich vergess dauernd, dass du das alles ja gar nicht kennst!", lacht er. Dann bleibt er vor einem Geschäft stehen und sagt: „So, wir fangen am besten mit den Umhängen an." Ich hebe dein Kopf und lese den Namen das Ladens, Madam Malkins Anzüge für alle Gelegenheiten. Drinnen werden wir sogleich von einer älteren Hexe begrüßt, die wahrscheinlich nicht sehr klein ist, aber neben Hagrid trotzdem winzig aussieht: „Hogwarts, meine Liebe? Setzen sie sich dorthin, ich hole die Sachen." Sie schiebt mich zu einem Schemel. Während sie einen langen, schwarzen Umhang mit Nadeln absteckt, fängt Hagrid wieder an zu reden: „Was ich noch vergessen habe, weil du ja nur Muggelgeld hast, bezahlt die Schule dir die Bücher und so, außerdem bekommst du etwas Taschengeld. Dann kannst du dir auch mal was Schönes kaufen." Mir war bisher nicht klar, dass Zauberer eine andere Währung haben, darum Frage ich neugierig: „Wie sieht denn das Zauberergeld aus?" Er holt eine Handvoll Münzen aus einer seiner Taschen und breitet sie auf einem Tisch aus. „Die goldenen sind Galleonen", erklärt er. „Siebzehn Silbersickel sind eine Galleone und neunundzwanzig Knuts, das sind die kleinen bronzenen, sind eine Sickel." Ich greife nach einer Galleone und drehe sie beinahe ehrfürchtig zwischen meinen Fingern hin und her. Ich hätte nicht damit gerechnet, jemals so etwas außerhalb eines Museums zu sehen! Die Ladeninhaberin ist fertig und Hagrid zählt einige der Münzen ab und gibt sie ihr, den Rest packt er wieder ein. Als nächstes besorgen wir meine Schulbücher bei Flourish&Blotts, ich lese die Namen der Bücher die ich brauche vor und Hagrid sucht sie zusammen. Am liebsten würde ich jetzt schon in ihnen blättern, aber ich vertröste mich auf später, wenn ich wieder zu Hause bin. In verschiedenen Läden besorgen wir auch die anderen Sachen auf der Liste, bis nur noch der Zauberstab fehlt. „Komm, Kate! Die besten Zauberstäbe gibts bei Ollivander." Wir halten vor einem Laden an, dessen Schaufenster aussieht, als wäre es seit Jahren nicht geputzt worden. In abblätternden Goldbuchstaben steht über der Tür: Ollivander - Gute Zauberstäbe seit 382 v Chr. Als wir eintreten, bimmelt irgendwo leise eine Glocke. Ich komme aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, Unmengen kleiner länglicher Kisten liegen übereinander gestapelt an den Wänden. Ich bin so von dem Anblick abgelenkt, dass ich beim Klang einer Stimme zusammenzucke. „Guten Tag. Sie sind...?" „Kate Adler", antworte ich hastig. Ich mustere den uralt aussehenden Mann und wundere mich, dass er diesen Laden immer noch führt. Er nickt Hagrid einmal grüßend zu, zieht ein Maßband aus der Tasche und wendet sich dann an mich. „Welche Hand ist ihre Zauberhand?" Ich zögere. Woher soll ich das wissen? Ich habe schließlich noch nie gezaubert. Dann beschließe ich aber, dass er wohl meint, ob ich Rechts- oder Linkshänderin bin. „Die hier", sage ich und hebe die Rechte ein Stück. „Strecken Sie Ihren Arm aus. Genau so." Der Versuch, das Maßband mit den Augen zu verfolgen, bringt mich zum Schielen, es misst gerade ohne Ollivanders Zutun von der Schulter bis zu den Fingerspitzen, dann vom Handgelenk zum Ellenbogen, von der Schulter bis zu den Füßen, vom Knie zur Armbeuge und schließlich von Ohr zu Ohr. Während das Maßband um mich herum durch die Luft schwirrt, sagt er: „Jeder Zauberstab von Ollivander hat einen Kern aus einem mächtigen Zauberstoff, Ms Adler. Wir benutzen Einhornhaare, Schwanzfedern von Phönixen und die Herzfasern von Drachen. Keine zwei Ollivander-Stäbe sind gleich, ebenso wie kein Drache, Einhorn oder Phönix dem anderen aufs Haar gleicht. Und natürlich werden Sie mit dem Stab eines anderen Zauberers niemals so hervorragende Resultate erzielen." Während ich aufmerksam zuhöre, frage ich mich gleichzeitig, warum man so seltsame Abstände wie von meinem großen Zeh zum Kleinsten braucht. Irgendwann hat der Alte wohl genug sinnlose Maße zusammen, denn er räumt das Bandmaß wieder weg und entscheidet sich nach kurzem Überlegen für einige Schachteln. Mr Ollivander öffnet eine von ihnen und hält sie mir hin. „Probieren Sie mal diesen, Hasel und Einhornhaar. Elfeinviertel Zoll, federnd. Nehmen Sie ihn einfach und schwingen Sie ihn durch die Luft." Ich nehme den Stab aus der Schachtel und wedel damit einmal hin und her, komme mir dabei aber ziemlich albern vor. Nichts passiert. Der Alte nimmt ihn mir aus der Hand und hält mir mit den Worten „Apfelholz, Kern Drachenherzfasern, dreizehn Zoll, geschmeidig. Versuchen Sie's!" Ich zögere, weil ich mich frage, woran man denn den Richtigen erkennt, greife dann aber doch zu. Schon bei der ersten Berührung scheint ein Licht von dem hellen Stab auszugehen. „Ja! Ja, das ist er!", ruft der Zauberstabmacher. Ich schwinge den Zauberstab durch die Luft, um etwas Gefühl für ihn zu bekommen, und richte ihn dabei wohl aus Versehen auf die völlig verkümmerte Topfpflanze in der Ecke, denn die richtet sich plötzlich wieder auf. Hagrid klatscht laut Beifall und ich selbst bin auch überrascht, dass ich so etwas kann.

Am Abend liege ich zufrieden und todmüde in meinem Bett und denke noch mal über den tollen Tag nach. Dad scheint glücklicherweise eingesehen zu haben, dass das Ganze kein Traum war und ich habe ihm alles erzählt, was ich heute erlebt habe. Allerdings hat die Reihenfolge nicht so ganz gestimmt, daher gehe ich nicht davon aus, dass er wirklich weiß, was genau wir alles gemacht haben. Eigentlich wollte ich heute noch die neuen Schulbücher durchgehen, aber dazu bin ich jetzt einfach zu müde. So schnell bin ich glaube ich noch nie eingeschlafen!

(Nov 2019)

Grün und Silber (Harry Potter FF, Next Generation)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt