(47) Spuren

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Erzähler

Die Nacht war ziemlich nervenaufreibend gewesen. Sie hatte kaum ein Auge zubekommen, denn obgleich die Tür stabil war, schalldicht war sie definitiv nicht. So war Mealla nicht drumrum gekommen, sich ebenfalls Selmas Geschichte anzuhören.

Sie hätte sich eigentlich denken können, dass die alte Frau den Reitern diese Legende unter die Nase reiben würde, trotzdem hätte sie am liebsten ihre Tür aufgerissen und das Pergamentstück ein für alle Mal vernichtet. Es war überhaupt ein Wunder, dass es noch existierte. Wäre Selma nicht klug genug gewesen, um es zu verstecken, dann hätte sie es schon längst angezündet. Aber ausgerechnet daran hatte sie ja denken müssen, diese dämliche alte Frau.
So hatte sie es erst entdeckt, als Hicks sie mit Fragen gelöchert hatte, und es dann zu vernichten, hätte nur zur Folge gehabt, dass sie den Drachenreiter überhaupt nicht mehr losgeworden wäre.

Zähneknirschend richtete sich Mealla auf. Ohne großartig auf ihre Umgebung zu achten, schwang sie sich aus dem Bett.
Ein wenig aggressiv riss sie die Truhe auf, in die Selma fein säuberlich Anziehsachen gelegt hatte.
Das Mädchen wusste zwar, dass Selma ihr damit einen Gefallen tun wollte, aber dennoch war sie ihrer alten Bekannten alles andere als dankbar.
Immerhin hatte diese absolut nichts in dem Raum verändert, alles sah noch ganz genauso aus wie vor all den Jahren. Hätte Mealla es gewollt, dann hätte sie in der Truhe bestimmt auch noch ihre Klamotten von damals gefunden, doch genau das wollte sie eben nicht. Sie wollte nicht, dass Selma alles aufbewahrte und in Ehren hielt, sie wollte nicht, dass sie ständig an früher erinnert wurde, dass man ihr symbolisierte, alles sei wieder so wie damals.
Denn das war es ganz bestimmt nicht.
Damals hatte sie Fehler gemacht, schwere Fehler. Sie hatte viel erzählt, zu viel, hatte bedingungslos vertraut.
Damals wäre sie fast daran gestorben, sowohl körperlich als auch seelisch. Wie eine Klinge, die sich direkt ins Herz bohrt, hatte es sich angefühlt.
Und sie hatte sich eines geschworen; dieses Gefühl würde sie niemals wieder erleben. Niemals.

Selbstverständlich wusste Mealla, was Selma ihr durch ihr Verhalten eigentlich auch noch etwas Anderes mitteilen wollte. Geahnt hatte sie es schon die ganze Zeit über, nach der Geschichte gestern war sie nur in ihrer Meinung bestätigt worden.
Wieder etwas, wofür sie Selma hasste.
Das Unschuldslamm, welches die alte Dame stets und ständig mimte, war eben auch nicht mehr als eine Maske.
Schnaubend ließ Mealla den Deckel der Truhe zuknallen, bevor sie sich das bunte Kleid über den Kopf zerrte. Auch dieses Teil hatte es damals schon gegeben, welch Wunder.
Kaum hatte sie das Kleidungsstück nicht mehr am Körper, warf sie achtlos hinter sich.
Schnell zog sie sich die neuen Sachen an, dann trat sie zügig aus dem Raum. Die verwaschene Gesichtsbemalung hatte sie dran gelassen.
Ohne dem Raum auch nur noch einen Blick zu widmen, zog sie die Tür hinter sich zu.

„Guten Morgen! Der Tee ist gerade-"
„Schön für den Tee. Biete ihn doch deinen tollen Gästen an."
Als hätte Selma schon mit dieser Antwort gerechnet, lächelte sie weiter und wechselte das Thema.
„Es tut mir leid, falls du uns gestern Abend gehört haben solltest."
„Nein, tut es nicht. Genau das wolltest du doch."
Die alte Frau widersprach ihr nicht, was bedeutete, dass das Mädchen recht hatte.
Suchend und mit -wenn überhaupt möglich- noch schlechterer Laune blickte Mealla an die Stelle, wo gestern noch die Schatulle gestanden hatte.
Mit Betonung auf ‚hatte'.
„Kannst du mir jetzt wenigstens endlich sagen, wo das verfluchte Teil ist?"
Amüsiert zog ihrer Gesprächspartnerin eine Augenbraue hoch.
„Meine liebe Mealla, in diesem Haus gibt es leider keine 'verfluchten' Teile."
„Fein, dann muss ich nachher eben die ganze Hütte niederbrennen."
„Untersteh dich."
„Weshalb sollte ich?"
Trotzig funkelte die Tänzerin die alte Frau an.
Schließlich seufzte Selma.
„Zerstörung ist nicht das richtige Mittel, um seine Probleme zu lösen."
„An alten Zeiten festhalten auch nicht."
„Ich hielte nicht an alten Zeiten fest, wenn es sich in dieser Situation nicht als sinnvoll erweisen würde."
„Sinnvoll für dich, nicht für mich."
„Du lügst und das weißt du. Würdest du dich nicht von deiner Wut leiten lassen und die Wahrheit unterdrücken, dann hättest du es auch schon längst erkannt."
Mealla spürte fast, wie ihr Geduldfaden anfing zu reißen. Mit schnellen Schritten durchquerte sie den Raum und öffnete die Tür nach draußen.
„Wo willst du hin?", rief Selma ihr noch hinterher.
„Weg.", war das einzige, was man hören konnte, bevor die Tür ins Schloss fiel.




Sternenfluch - Auf den Spuren der RätselWhere stories live. Discover now