In der Winkelgasse

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Ich blinzelte, als das helle Sonnenlicht durch mein Fenster drang. Was für ein verrückter Traum. Ich musste zugeben, dass mich eine Woge der Enttäuschung durchfuhr, als ich realisierte, dass es nicht Wirklichkeit war. "Sidney? Bist du schon wach?", rief meine Mutter von unten. "Mhh.", brummte ich freundlich zurück. "Komm bitte runter, sobbald du fertig bist. Es gibt einiges zu besprechen, jetzt wo du dich der Magie zuwendest." Mit einem Mal war ich hell wach. Mit weit aufgerissenen Augen wurde mir klar, dass mein Traum viel mehr als nur ein Traum war. Er war ein wahrgewordener Traum! Ich riss meine Bettdecke von mir und lief in sekundenschnelle die Treppe hinunter. "Na, da ist einer aber munter heute morgen.", sagte meine Mutter lächelnd. "Das hier ist kein Traum!", sagte ich begeistert und breit grinsend. "Das hier passiert wirklich, oder?" Meine Mutter lachte. "Ja, allerdings. Lustig wird es erst, wenn wir es deinem Vater sagen, aber kommt zum Glück erst in einer Woche von seiner Geschäftsreise wieder." Sie stellte das Frühstück auf den Küchentisch. "Setz dich ersteinmal. Es gibt noch so viel zu besprechen." Ich setzte mich und lies mir das üppige Frühstück schmecken. Mein Körper strotzte nur so vor Glückshormonen. Meine Mutter setzte sich mir gegenüber und schaute mich an. "Was ist?", fragte ich lachend. Meine Mutter lächelte. "Gar nichts, gar nichts. Es ist nur...Ich wusste einfach schon immer, dass du etwas Besonderes bist. Ich konnte mir nur nicht erklären, was es war." Ich grinste sie wieder an und biss herzhaft in mein Schokocrossaint. "Was ist passiert, nachdem ich gestern gegangen war?", fragte ich schließlich. Meine Mutter griff neben sich und legte mir zwei Briefe hin. "Die sind für dich. Auf dem einen stehen die Hausregeln und ein paar Dinge, die man wissen sollte. Der andere ist eine Liste mit den Sachen, die du brauchst. Nächste Woche kommt ein Mitarbeiter vom Ministerium und hilft uns, sie in der Winkelgasse zu besorgen." Mir klappte der Mund auf. Ich konnte einfach nicht glauben, dass das hier alles wirklich passierte. "McGonnegal und ich haben noch ein paar formelle Dinge geklärt. Das Geld, dass du und wir jetzt besitzten, kann man ganz leicht in Zauberergeld umtauschen, vom Wert her bleibt das gleich. Eine Fahrkarte", sie legte mir eine grüne Karte mit der Aufschrift Gleis 9 3/4 King's Cross zu den beiden anderen Briefen, "hat sie uns auch noch gegeben. Ich sagte ihr, es wäre nicht nötig uns zu erklären, wie wir zum Gleis kommen.", meinte sie augenzwinkernd. Dann trat ein trauriger Ausdruck auf ihr Gesicht. "Was ist, Mom?", fragte ich besorgt. "Nichts, nichts. Ich freue mich ja für dich, wirklich sehr, aber sehen werden wir dich nicht mehr oft." "Oh Mom.", sagte ich schluchzend und fiel ihr um die Arme. "In den Ferien werde ich immer kommen und ich werde euch schreiben!" Da fiel mir ein, dass ich vermutlich eine Eule bekommen würde und die Glückshormone verdoppelten sich. "Was sagen wir meiner Schule? Und unseren Verwandten?", fragte ich wenig später, als wir gemeinsam das Beet umpflanzten. "Du gehst ab nächstes Jahr in ein Internat in Wales. Wir haben entschlossen, dass das das Beste für dich wäre. Diese Geschichte erzählen wir jedem, der nicht im engsten und vertrauenswürdigsten Kreis ist. Also bitte auch keinen Freunden." "Welche Freunde?", fragte ich mit herausgestreckter Zunge. "Ich weiß ja, dass du mit den Leuten hier nicht all zu viel anfangen konntest, aber du darfst wirklich kein Wort sagen. Alle paar Monate wird dein Alibi geprüft und es wird, wenn nötig, mit Zauberei nachgeholfen."

Die nächste Woche zog sich dahin, als ob sie endlos wäre. Tatsächlich kam es mir so vor, als wäre es die längste Woche meines Lebens. In Mathe bekam ich eine glatte sechs, die ich, zum Entsetzen des lieben Herrn Ross, lächelnd entgegen nahm. Soetwas wie Mathe würde ich nun nie mehr brauchen. Auch die Peinigungen von Stacy & Co machten mir nichts mehr aus. Denn nun hatte ich endlich gefunden, wonach ich so lange Zeit gesucht habe. Mein Vater wurde mitlerweile eingweiht. Es hat sage und schreibe zwei Tage gedauert, um ihm klar zu machen, dass wir ihn nicht auf den Arm nahmen, aber sobbald er erst einmal der Sache Glauben schenkte und sich mit vollem Eifer über die Harry Potter Bücher hermachte, wurde auch er von unserer Euphorie angesteckt und freute sich für mich. Und dann, endlich, nach meiner jahrelangen und lang ersehnten Woche, war es endlich Samstag. Um Punkt zwei Uhr Mittags, wie angekündigt, klingelte es an der Tür. Mit wild pochendem Herzen rannte ich sogleich zu ihr und machte sie auf. Ein junger Mann in lila farbenem Rollkragenpullover und dunkelgrünem Umhang stand vor mir. Er trug eine Brille und hatte ein pickliges Gesicht. Anscheinend hatte er seinen Job erst seit kurzem. Meine Mutter trat hinter mich und er stellte sich vor. "Guten Tag. Ich bin Praktikant von der Abteilung Magisches Bildungswesen und Prüfungen. Ich wurde geschickt um mit einer gewissen Sandy Sheppert ihre Schulsachen zu besorgen." "Das bin ich.", sagte ich und streckte ihm meine Hand entgegen, die er dankbar schüttelte. "Wir haben für heute ihren Kamin an das Flohnetzwerk angeschlossen. Mir wurde mitgeteilt, dass Sie vermutlich Bescheid wissen, wie man auf derartige Art reist?", fragte er. Alles was er sagte, klang sehr auswendig gelernt und aufgeregt, anscheinend war er wirklich noch nicht lange dabei. "Kommen Sie doch rein.", sagte meine Mutter höflich. "Und danke, dass Sie sich die Zeit für uns nehmen." Der Zauberer nickte kaum merklich und betrat unser Haus. Als wir uns vor dem Kamin aufstellten, gab er meiner Mutter und mir je eine Prise Flohpulver in die Hand. "Nach Ihnen.", meinte er steif. "Und vergessen Sie nicht deutlich zu sprechen." Mutig betrat ich unseren Kamin. Mein Herz drohte schon hinauszuhüpfen, so Angst hatte ich. Um es schnell hinter mich zu bringen, sagte ich klar "Winkelgasse", lies die Prise aus meiner Hand gleiten und schloss die Augen. Angenehme Wärme umhüllte mich. Ich spürte, dass ich fiel, immer schneller und schneller. Plötzlich verlangsamte ich mich und kam irgendwann ganz zum Stehen. Ich öffnete die Augen und konnte meinen Augen kaum trauen. Ich musste im Tropfenden Kessel sein. Es saßen mehrere Leute mit Getränken in der alten Stube und hoben kaum merklich den Kopf, als ich aus dem Kamin trat. Anscheinend war es normal, dass Leute auf diese Weise hier herein kamen. Ein Zischen lies mich erkennen, dass nun auch meine Mutter und der Praktikant angekommen waren. Mom tapste etwas verwirrt und mitgenommen aus dem Kamin, von Achterbahnen war sie noch nie ein großer Freund gewesen. Der Praktikant räusperte sich vernehmlich. "Wir müssten dann weiter. Haben nicht viel Zeit, ich muss auch noch mit anderen Schülern einkaufen.", eine Spur Selbstmitleid schwang in seiner Stimme mit, anscheinend hatte er sich seinen Job weitaus anders vorgestellt. In der Winkelgasse angekommen, klappte mir der Mund auf. Es war bis auf das letzte Detaill so, wie ich es mir vorgestelt hatte. Zahlreiche Hexen und Zauberer liefen hier durch, um ihre Besorgungen zu machen. Die anderen Schüler betrachtete ich genau, denn schließlich würde ich künftig mit ihenen unter einem Dach leben. Nachdem wir in dem prachtvollen Gebäude von Gringotts waren, in dem bereits ein Konto für mich eingerichtet worden war, konnte es los gehen. Madam Malkins schneiderte in windeseile mehrere Garnituren für meine Schulumhänge. Zum Schluss bekam ich noch schwarze Handschuhe, Mütze, Krawatte und Schaal. Als sie meinen fragenden Blick sah, fügte sie freundlich hinzu: "Sobbald sie einem Haus zugeteilt werden, nehmen sie die Farbe davon an. Haben Sie schon eine Ahnung, wo Sie hinkommen werden?" Ich schüttelte resigniert meinen Kopf. Darüber habe ich mir bis jetzt gar keine Gedanken gemacht. Ich spürte Panik in mir aufsteigen. Allerdings blieb mir gar keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn der Praktikant zerrte mich weiter in die nächsten Läden. Fast hatte ich alles zusammen. Es fehlte nur noch das, wovor ich am Meisten aufgeregt war: Mein Zauberstab. Die Letter Olivander's prankten groß an der Eingangstüre. Wieder packte mich diese Euphorie, als mir bewusst wurde, dass das hier alles tatsächlich geschah. Mr Ollivander stand an der Kasse und polierte mit geschultem Auge einen Zauberstab. Als wir den Raum betraten, sah er auf und ein eingespieltes verkäuferisches Lächeln trat auf sein Gesicht. "Freut mich, dass ein weiterer Zauberanfänger seinen Weg zu Olivander gefunden hat." Nachdem er mich genauestens vermessen hatte, holte er von hintem aus dem Laden mehrere Schachteln mit Zauberstäben. Die ersten drei waren eine volle Katastrophe. Im Nachhinein wundere ich mich, dass der Laden am Schluss überhaupt noch gestanden hatte. Der vierte war schon besser. Allerdings "funkte" es nicht richtig, wie Ollivander wörtlich meinte. Ollivander sah schon etwas ratlos aus, als er mir den fünften gab. "Last but not least...", murmelte er. "Elf Zoll, Kirsche und Phönixfeder. Ein prächtiges Tier.", fügte er gedankenverloren hinzu. Äußerlich gefiel er mir schoneinmal sehr gut. Doch als ich ihn zum ersten Mal berührte, durchströmte mich eine Welle an Wärme, Geborgenheit und Glück. Es war kein Vergleich zu der Euphorie, die ich die letzten Tage verspürt hatte. "Eindeutig, ja.", meinte Ollivander. "Wir haben einen Gewinner.", sagte er vergnügt. Wieder drausen vor dem Laden, schaute der Praktikant auf seine Uhr. "Wir liegen gut in der Zeit. Gut, gut...dann lassen Sie uns wieder aufbrechen, in Ordnung?" "Halt.", wand meine Mutter ein. "Wenn es Ihnen nicht zu große Umstände macht, würde ich gerne noch eine Sache erledigen." Eine halbe Stunde später verlies ich glücklich mit einem kleinen Waldkautz den Eulenladen. Meine Mutter hatte darauf bestanden, damit ich ihr täglich schreiben konnte, und ich lehnte da natürlich nicht ab. Ich beschloss, ihn Skyfall zu nennen. Der Praktikant war heilfroh, als er uns endlich zuhause absetzen konnte. "Also dann, viel Glück. Ich bin mir sicher, Sie werden eine tolle Zeit an Hogwarts haben.", sagte er, immer noch in geschäftsmäßigem Ton. "Das glaube ich auch.", sagte ich. Ich verstaute voller Glücksseeligkeit alle meine Sachen in meinem Zimmer, legte den Zauberstab vorsichtig auf meinen Nachttisch und verbrachte noch die gesammte Nacht damit, in meinen Schulbüchern zu lesen. Glück war gar kein Ausdruck mehr.

Plötzlich in Hogwarts - Harry Potter FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt