Kapitel 22

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Mit aufgerissen Augen starrt Betty mich an, als wir am gleichen Abend über unseren Pizzakartons auf dem Sofa sitzen. Im Hintergrund sind Duschgeräusche zu hören, meine Mutter ist da.
Ich habe Betty gerade von meinem Gespräch mit Sheriff Keller erzählt und von der Tatsache, dass mein Dad die nächsten Jahre wahrscheinlich im Knast verbringen wird.
„Gott, Jug, das ist ja schrecklich!", ruft Betty entsetzt. „Wir müssen doch irgendwas tun können. Wir müssen deinen Vater doch irgendwie daraus kriegen!"
Ich zucke mit den Achseln und lege mein angeknabbertes Pizzastück zurück in den Karton. Ich habe keinen Hunger und das soll schon was heißen!
„Glaub mir, ich hab's versucht. Sogar mit Geld ist nichts zu machen. Wir müssen bis zur Verhandlung warten, aber ich weiß nicht, wann die ist."
Ich schließe den Pizzakarton und stelle ihn neben mich. Betty tut das gleiche, vermutlich ist ihr der Appetit vergangen.
Ich greife nach ihrer Hand und ziehe Betty zu mir rüber. Ich umarme sie fest und dann liegen wir fest umschlungen auf dem Sofa, ihr Gesicht auf meiner Brust. Langsam hebt und senkt sich mein Brustkorb, während ich durch Betty's offenes Haar fahre.
„Vielleicht tut es ihm ja ganz gut", sage ich irgendwann. „Ich meine, dort drin wird es weder Alkohol noch andere Drogen geben. Vielleicht wird er danach ja clean. Außerdem hat man als Serpent einen ziemlichen Ruf im Knast. Die meisten fürchten sich vor uns."
Betty lacht leise und richtet sich etwas auf, um mir in die Augen gucken zu können.
„Ich werde dir helfen, Juggie. Wir kriegen das hin, ja?"
Sie lächelt mir aufmunternd zu und mein Herz schmilzt unter diesem Anblick. Gott, ist sie schön! Kein Tag vergeht, an dem ich nicht daran denke. Ich liebe sie so sehr, dass es in meiner Brustgegend zieht.
„Ich liebe dich, Betty."
Das ist das einzige, was ich im Moment sagen kann. Sie küsst mich zart auf die Lippen, doch ich halte sie fest und vertiefe unseren Kuss. Wir verschmelzen ineinander und für einen Moment kann ich die Wirklichkeit vergessen. Wenn Betty bei mir ist, geht es mir besser. Dann fühle ich mich wie ein Mensch, ein Mensch, der geliebt wird.
„Lasst euch bloß nicht stören, ihr zwei."
Mein Mom betritt die Küche, in Jogginghose und einem alten Hemd von Dad. Schnell fahren Betty und ich auseinander.
„Entschuldigung", murmelt Betty und ich kann sehen, wie sie unter ihrer weichen Haut rot wird. Ich lache nur leise und drücke kurz ihre Hand.
„Habt ihr noch irgendetwas essbares? Der Kühlschrank ist total leer", stellt meine Mutter fest und öffnet eine Flasche Bier.
Stimmt, Betty und ich haben vergessen etwas einzukaufen. Ich halte meiner Mom den Pizzakarton mit den Überresten hin.
„Ich gehe morgen einkaufen, versprochen. Am besten sollten wir eine Liste schreiben", sagt Betty und greift nach ihrem Handy, das auf dem Couchtisch liegt.
„Eine Liste?", fragt meine Mutter mit vollem Mund.
Betty nickt. „Ja, eine Einkaufsliste. Wir brauchen auf jeden Fall neue Cornflakes."
Meine Mom bewirft mich lachend mit einem Stück Pizzarand. „Da hast du dir ein tolles Mädchen ausgesucht, Jug. Wenn es sogar Listen gibt, bist du auf der sicheren Seite."
Wir alle drei fallen in ein kurzes Gelächter ein. Ich glaube, meine Mom mag Betty. Wahrscheinlich hat sie damit gerechnet, dass ich mich in irgendein Mädchen von der Southside verliebte, vermutlich ebenfalls ein Serpent beim Blut.
Doch Betty ist so viel mehr, als irgendein Mädchen jemals sein könnte. Seit ich sie zum ersten Mal gesehen habe, kann ich an kein anderes Mädchen mehr denken. Ich sehe alle anderen Mädchen quasi gar nicht mehr. Für mich ist sie die Schönste, die Beste, die Einzige.
Während Mom und Betty eine Liste zum Einkaufen erstellen, greife ich nach meinem Laptop und klappe ihn auf. Ich habe noch einen Geschichtsaufsatz zu schreiben, aber das werde ich jetzt nicht tun. Ich habe etwas viel wichtigeres vor, was meine Zukunft bestimmen wird.
Ich höre Mom und Betty beim Schreiben zu, wenn sie lachen, lache ich mit. An solche Abende könnte ich mich gewöhnen, Familienabende. Etwas, das ich nie hatte.
„Jughead? Hörst du mir zu?"
Ich fahre erschrocken hoch und sehe in das fragende Gesicht meiner Mutter.
„Was? Äh, klar. Was gibt's?"
Meine Mom seufzt und stellt die Bierflasche auf die Küchentheke. „Ich werde für ein paar Tage nach Toledo müssen. Ich hab ein paar geschäftliche Sachen zu machen und ich muss nach Jellybean sehen. Zur Verhandlung bin ich wieder da, okay?"
Betty und ich sehen uns gleichzeitig kurz an. „Äh, ja klar", sage ich schnell und schließe den Computer.
„Bring sie doch mit, Mom."
Meine Mutter verschluckt sich fast an ihrem kühlen Bier.
„Was? Wen?"
„Jellybean. Ich ... wir haben uns ja lange nicht mehr gesehen", erkläre ich kleinlaut. Gladys zögert kurz, dann nickt sie. „In Ordnung. Für uns vier wird der Wohnwagen hier dann aber etwas klein. Und ich weiß nicht, wie lange ich ein Hotel finanzieren kann."
Sie seufzt und fährt sich durch die voluminösen, braunen Haare.
„Keine Sorge, Mrs. Jones", sagt Betty, „Ich werde mich eh bald mit meiner Mutter aussprechen müssen. Das war ja nur eine vorübergehende Lösung."
Vorübergehend? Natürlich wusste ich das. Trotzdem hab ich irgendwie gehofft, dass dieses „vorübergehend" länger anhält. Ich habe mich so daran gewöhnt mit Betty zusammenzuwohnen. Sie immer bei mir zu haben. Ich kann es mir kaum vorstellen, wie es ist, alleine zu wohnen. Und dann auch noch mit meiner Mutter Gladys und Jellybean. Genau dann werde ich Betty am meisten brauchen, das weiß ich. Aber ich kann ihr ja nicht mal ein Haus bieten, sondern nur diesen schäbigen Trailer.
„Ich rufe noch einmal kurz Kevin an, okay?", sagt Betty, während sie die leeren Pizzakartons in den Müll wirft. „Was hast du da vorhin eigentlich geschrieben?"
„Ach, ... nur einen Aufsatz", sage ich hastig und fühle, wie ich rot anlaufe. Betty scheint nichts zu merken und drückt mir einen Kuss auf die Wange, dann verschwindet sie im Schlafzimmer.
Ich hasse es, dass ich sie belügen muss. Aber jetzt ist einfach noch nicht der passende Moment. Ich brauche erst hundertprozentige Gewissheit, bis ich es ihr sage kann.
„Sie ist wirklich toll", bemerkt meine Mutter. „Mach's nicht kaputt, hörst du? Das, was ihr habt, haben die wenigsten unter uns."
Ich nicke und lächele stumm. Ich mach's nicht kaputt, Mom, niemals.

I'm still in Love with You Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt