Chapter 5 - Lonely

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„I don't care,
anyone, anything
'Cause I'm so sick of being so lonely"

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12 April 2011

Jean Thompson

Erschrocken fuhr ich hoch. Ich presste mir die Hand auf die Brust, als ich mich aufsetzte und mich umsah. Das Wohnzimmer sah aus wie immer. Doch etwas fehlte. Sie war nicht mehr hier. Zu dieser Zeit, immer wenn sich ihr Todestag jährte, kam ich nicht drum herum, jedes mal erneut zu bemerken, wie leer alles ohne sie war. Noch immer hatte ich nicht mit ihrem Tod abfinden können, was vor allem daran lag, dass ich sehr einsam war. Alison war das einzige was mir nach dem spurlosen Verschwinden meines Mannes noch geblieben war, und jetzt war auch sie fort. Leise summend, stand ich auf und ging hinüber zum Klavier. Die Notenblätter lagen unberührt auf dem Ständer. Ich ließ mich auf dem dunklen Hocker nieder und stellte mir vor, wie es wäre wenn sie neben mir säße. Die Hände huschten hektisch über die Tasten, die Haare fielen ihr ins Gesicht und mit einer anmutigen Sorgfalt schüttelte sie den Kopf, damit sie wieder über ihrer Schulter lagen. Zu keiner Zeit unterbrach sie ihr Spiel, manchmal begann sie sogar zu singen. Melodische Sätze, die sie sich selbst ausdachte und auf kleine Notizzettel niederschrieb. Ich habe mir jedes ihrer Lieder angehört. Ein paar habe ich sogar aufgenommen und nie war mir aufgefallen, mit welch einer tiefen Traurigkeit sie sang, oder wie ernst sie die Texte wirklich meinte. Ich ging hinüber zur Stereoanlage und steckte mein Handy ein. Bald schon tönte ihr wundervoller Gesang aus den Boxen.

„Well, you only need the light when it's burning low. Only miss the sun when it starts to snow. Only know you love her when you let her go"

Es war dieses Lied, dass ich bis zum heutigen Zeitpunkt nie wirklich verstanden hatte. Bis ich realisierte was sie mir die ganze Zeit sagen wollte. Du wirst mich nicht vermissen, solange ich bei dir bin. Worte, die sich wie ein Mantra immer wiederholten und nicht aus meinem Kopf gingen. Ich fühlte mich schuldig. Natürlich tat ich das. Die Musik endete abrupt, als ich den Stecker zog. Ich atmete tief durch, bevor ich die Treppe nach oben ging. Mein Atem stockte, als ich ihre Tür öffnete. Zwar wusste ich, was mich erwartete, doch jedes mal fühlte es sich an, als würde ich sie gleich darin vorfinden. Wie sie mit einem Buch in der Hand auf der Fensterbank saß und in die Ferne sah, oder wie sie vor ihrem Spiegel stand. Die Hände in den Haaren vergraben, unsicher ob ihr ein bestimmtes Oberteil wirklich stand. Dann hatte sie sich zu mir gedreht, den Kopf schief gelegt und mich eingehend betrachtet.

„Ist es sehr schlimm?", fragte sie einmal. Ich hätte nicht in Worte fassen können, wie wunderschön sie mir vorkam.

„Du siehst wunderbar aus", ich legte ihr die Hand auf die Schulter, als wir beide nebeneinander vor dem Spiegel standen.

„Danke, Mum", es war, als würde sie vor Begeisterung strahlen, als sie mich anlächelte. Ich schüttelte den Kopf, über mich selbst, als ich das Zimmer betrat und es vollkommen leer blieb. So würde es jetzt wohl für immer sein. Mein Herz wurde schwer, als ich mich auf ihr Bett sinken ließ und den Raum um mich herum betrachtete. Alles sah aus wie immer. Ihr Bett war gemacht, ihr Schreibtisch voll beladen, überall lagen ihre Sachen. Es wirkte, als sei sie nie weggegangen. Ich würde nie wieder ein normales Leben führen können, jetzt wo sie nicht mehr da war.

  Ich würde sie nie wieder im Arm halten, durch ihre Haare streichen oder sie einfach beim Klavier spielen betrachten können. Ihr Leben war wie ausgelöscht, fast so, als hätte sie nie existiert. Ich habe immer gedacht sie würde irgendwann meiner Beerdigung beiwohnen, nicht ich ihrer. Das einzige was ich noch hatte, waren Erinnerungen, die mit der Zeit immer mehr verblassen würden. Traurig sah ich zum Schreibtisch, als mir ein Bild ins Auge stach. Und da fiel es mir wieder ein. Ich würde nie die einzige Person sein, deren Leben durch Alison's Tod für immer zerstört sein würde.

𝐃𝐞𝐫 𝐇𝐨𝐫𝐢𝐳𝐨𝐧𝐭 𝐡𝐚𝐭 𝐝𝐢𝐞 𝐬𝐜𝐡𝐨𝐞𝐧𝐬𝐭𝐞𝐧 𝐅𝐚𝐫𝐛𝐞𝐧Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt