Kapitel 23

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Everett drückte das Gaspedal durch, während wir durch die Nacht jagten. Wir kurbelten die Fenster herunter, sodass die abendliche Sommerluft hereinströmte. Seine Hände krampften sich um das Lenkrad fest, während mein Kopf auf beleuchteten Häuser Dennings gerichtet war. Ansonsten sprachen wir nicht miteinander.

Obwohl er sich Mühe gab, keine Auseinandersetzung mit Tobias und David anzufangen, spürte ich dennoch, wie die Aggressionen in ihm kochten. Am liebsten hätte ich das Radio angestellt, da ich die erdrückende Stille zwischen uns nicht länger aushielt. Erst als wir auf die Hauptstraße bogen, löste sich seine Zunge.

„Wieso warst du bei ihm? Diese verdammten Mistkerle..." Trotz der Dunkelheit im Wagen, erkannte ich die harten Züge in seinem Gesicht.

Ich richtete sich nachdenklich auf die Straße. Mittlerweile schwirrte er nicht mehr so stark. Nur die Erinnerungen der Vergangenheit spielten sich in Dauerschleife ab. Ab welchem Zeitpunkt, ist das alles auseinandergebrochen? Er bog um die nächste Straßenecke.

„Ich weiß es nicht", gab ich kleinlaut zu. „Schätze ich hatte vergessen, was sie dir angetan haben."

Stillschweigend, ließ er seine Nasenflügel beben. „Uns. Was sie uns angetan haben." Korrigierte er mich letztlich. Mein Herz krampfte sich, auf der Stelle, zusammen.

„Warum habt ihr euch damals, auf dem Schulflur, geschlagen?"

Aus der Ferne heraus, konnte man bereits Dads Haus erkennen. Everett reduzierte die Geschwindigkeit, bis er letztlich ganz stehen blieb. Verwirrt drehte ich mich zu ihm.

„Das weißt du nicht mehr?" Statt eines Vorwurfes, hörte ich Besorgnis aus seiner Stimme heraus. Ich musste dem Impuls wiederstehen, seine Wange zu berühren, wie ich es früher immer getan hatte. Nach langem Zögern, nahm Everett einen tiefen Atemzug. „Wenn er dein Freund gewesen wäre, hätte er diese Sachen nicht über dich gesagt und dich wie Abschaum behandelt. Seine Freundin hatte irgendwas über Farren und mich erzählt. Aber als dieser Hund deinen Namen in den Mund nahm, sind meine Schaltkreise durchgebrannt." Oh, Everett.

Es war ungewohnt, ihn so zu hören. Wir hatten uns jahrelang angeschwiegen und doch saß er gerade neben mir und gab mir einen Einblick in seine Gedanken. „Aber das war, als ich noch was für dich empfunden hatte", damit beendete er seinen Monolog und machte somit wieder die Schotten dicht. In diesem kurzen, gemeinsamen Moment lag so viel Trauer und Schmerz. Doch nun waren Everetts Worte von Hass ummantelt und er entglitt mir innerhalb eines Wimpernschlages.

Everett hätte mich hier rauslassen können und einfach zu sich nach Hause fahren. Es waren keine Fünf Minuten zu Fuß. Dennoch nahm er den Umweg in Kauf. Ich verstand zwar immer noch nicht, warum er nicht mit Alexa gefahren ist, wollte ihn aber auch nicht danach fragen. Vielleicht ist etwas zwischen den beiden vorgefallen und sie hatte ihn stehen gelassen. Der Gedanke musste aus meinem Kopf raus.

„Dieses Outfit steht dir übrigens." Ich blinzelte perplex. War das ein Kompliment? Gehässigkeit? Ich konnte es nicht richtig einordnen. „Du solltest öfters etwas Seriöses tragen, dann nimmt man dich vielleicht auch mal ernst. Die Knöpfte solltest du allerdings schließen."

Es war erstaunlich, wie schnell er sich ändern konnte. Statt etwas zu entgegnen, schluckte ich meinen Stolz herunter und öffnete die Beifahrertür. Everett gab letztlich einen merkwürdigen Laut von sich, bevor er davonfuhr.

Die kommenden Tage mit Everett, waren nicht unbedingt angenehm. Aber auch nicht so katastrophal, wie ich es erwartete hatte. Der erste Tag war passé. Ständig kommandierte er mich umher, ließ mich dieses Dokument besorgen oder jenes abheften. Den Abend, mit Tobias, erwähnte er nicht. Mein Vater freute sich natürlich jeden Morgen aufs Neue, wenn wir durch die Haustür huschten. Immerhin hatte er nun zwei geliebte Menschen in seiner Firma untergebracht. Es wirkte so suspekt, wie wir uns benahmen, sobald Dad in der Nähe war. So offen und zurückhaltend höflich. Aber sobald wir aus seinem Sichtfeld waren, zeigte mir Everett die kalte Schulter. Und ich tat es ihm gleich.

Wenn ich nicht arbeiten war, versuchte ich immer wieder den Pinsel in der Hand zu führen. Aber irgendwas blockierte meine Fähigkeiten. Aber ich fand schnell eine andere Alternative, um mich kreativ auszutoben. Der Garten musste dringend auf Vordermann gebracht werden.

John, Gwens Ehemann war mir dabei eine große Hilfe. Eines Nachmittags kamen er, meine Schwester und ihre Meute im Kleintransporter vorgefahren. Dad wusste nichts davon, dementsprechend freute er sich auch, als er uns in den Garten folgte. Zögernd hielt er sich im Hintergrund, den kleinen Matthew in den Armen, während wir uns an die Arbeit machten. Bereits nach kurzem Einlernen, hatte mir John den Rasenmäher nähergebracht. Gwen und die Kinder pinselten derweil die Gartenmöbel an. Die Zwillinge kamen irgendwann auf den Geschmack und plünderten meinen Koffer, in dem allerlei Farbtuben und Pasten aufgereiht waren.

„Das macht mir nichts aus. Vielleicht ist das der erste Schritt zu einer strahlenden Karriere als Picasso Eins und Zwei." Scherzte ich augenzwinkernd, noch bevor sie Gwen ausschimpfen konnte. Derweil hatten die Zwillinge bunte Tupfer und Blumen auf die Holzbeine des Tisches gezaubert.

Farren verbrachte auch immer mehr Zeit mit mir. Anfangs war ich natürlich sauer gewesen. Sie war schließlich der Grund dafür gewesen, warum ich mit Everett arbeiten musste. Doch ich verstand ihre Intention dahinter und war ihr sogar dankbar. Es ging ihr nicht um Everett oder meine Beziehung zu ihm. Letzteres war natürlich total lächerlich von mir zu glauben.

Meistens hingen wir bei Wein und Keksen in ihrer Wohnung ab. Wenn ihr Freund nicht gerade vorbeikam, teilten wir uns sogar das Kingsize-Bett um uns am nächsten Morgen gemütlich zu einem Kaffee in Shawns Café zu setzen. Ich wusste nicht, inwieweit sie die Geschehnisse mitbekommen hatte. Ob Everett überhaupt mit ihr darüber sprach oder sie es über Ecken erfuhr. Jedenfalls ließ sie sich nichts anmerken.

„Du hast dich hier also gut eingerichtet", wir folgten dem Klang der Stimme. Rebecca bäumte sich, von ihren Mädels flankiert, herrschaftlich über uns. Ich wurde so überrumpelt, dass ich nur verwirrt blinzeln konnte. „Immerhin bist du schon ganz schön lange hier oder, Liebes? Vermisst dich dein supertoller Mann etwa nicht?"

Farrens Finger krampften sich um die Kaffeetasse. Wie Everett mit Tobias, hatte sie mit Rebecca einige Schwierigkeiten. Die meines Erachtens nach, auch nach fünf Jahren nicht aus der Welt geschaffen wurden. Wer konnte es ihr verdenken?

Rebecca nahm ihre Sonnenbrille ab und rutschte neben Farren, ihre Gefolgschaft dicht hinter sich. „Nimm es mir nicht böse, Liv. Ich wollte dir keine Unannehmlichkeiten bereiten. Das sind diese Schwangerschaftshormone, weißt du?" Kreisend bewegte sie ihre Hand, über einer kaum erkennbaren Wölbung. Ich hob eine Augenbraue. Wenn sie so laut und offen in einem Café darüber reden konnte, wusste Tobias bestimmt Bescheid. Mit der freien Hand, schnipste Rebecca nach der Bedienung. Ihr Gesicht verzog sich, als Farrens Kollege nicht sofort reagierte.

„Was für ein Service das hier ist. Unfassbar. Kommt, Mädels wir gehen. Ach, Liv bevor ich es vergesse", ihre Absätze hallten durch das gesamte Café. „Du kommst doch sicherlich zu meiner Babyparty." Rebecca wartete nicht einmal eine Antwort ab. Mit wehenden Kleidern, stolzierten die Frauen davon und ließen mich mit offenem Mund zurück. Farren wurde mit keinem Wort erwähnt. 

Out Loud - Wer immer du bistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt