03 | wegweiser.

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In den folgenden Tagen wusste Maden Bolton nicht, ob die Zeit verging. Durch das schmutzige Fenster in dem kleinen Zimmer des Grimmauldplatzes konnte sie das Verstreichen der Stunden zwar erahnen, doch nichts davon erschien in ihre Wirklichkeit zu gehören.

Sirius kam noch am ersten Abend und brachte ihr eine Schale dampfend heißer Zwiebelsuppe, die Maden wortlos vom Kopfende ihres Bettes beobachtete, während sie in der Nacht verkühlte.

Wenn es dunkel wurde, schlief sie nicht, und wenn die Sonne aufging, regte sie keine ihrer Fasern. Zu verräterisch reckte sich die Sommersonne in ihre Kammer hinein. Nur manchmal, wenn sie sich traute, ihr Bett zu verlassen, dann kroch sie über den harten Dielenboden bis an den Rucksack heran. Dann machte sie ihn auf und nahm die Dinge heraus - einen Pullover, eine Hose, ihr Lieblingsbuch. Als hätte ihr Vater für einen Urlaub gepackt. Bloß am Ende immer fiel der Kompass nieder. Braun und handflächengroß, mit goldener Nadel auf weißer Windrose. Nach Norden zeigte er nicht. Denn seitdem Maden am Grimmauldplatz war, zeigte er auf sie. Egal was sie tat: Die Nadel folgte ihr.

Irgendwann kam eine junge Frau mit matt rosanem Haar vorbei und brachte ihr Kleidung, säuberte den Riss an ihrer Wange und klopfte gegen ihre geprellten Rippen. Zu niemandem sprach sie ein Wort. Zu sehr fürchtete sie, dass sie, wenn sie ihren Mund öffnete, vielleicht schreien müsste und nie wieder aufhören könnte und dann würde all das Grauen, das sie gesehen hatte, vielleicht wirklich wahr werden.

Die Gewissheit dessen, was geschehen war, fraß sich bis auf ihre trockene Haut. Und immer, wenn sie auf dem schmalen Bett saß und sich die Knie bis an die Brust zog, so dass ihre Wirbelsäule gegen die kahle Steinwand presste, lauschte sie den matten Stimmen drei Stockwerke unter ihnen, die manchmal da waren und manchmal nicht, manchmal diskutierten, stritten, fast nie lachten. Sie wusste nicht, wie lange sie ihr Zimmer nicht verließ.

Es war der zweite Tag seit ihrer Ankunft im Grimmauldplatz, als sie Albus Dumbledore wiedersah. Und erst als er sich gegenüber von ihr auf das andere freie Steppbett niederließ, geduldig die Hände ineinander faltete und den Spitzhut von seinem Silberhaar nahm, fiel Maden auf, dass sie ihn bei ihrer Ankunft kaum wirklich angesehen hatte.

„Ist es wahr?", war alles, was sie an diesem Tag über ihre trockenen Lippen brachte und ihre Stimme verlor sich fast auf dem Weg hinein in den engen Raum. „Kann ich heim?"

Und Albus Dumbledore hatte sie angesehen, mit ehrlichem Bedauern hinter der schmalen Halbdmondbrille. „Ja, es ist wahr." Den Rest hatte er in die Stille geschwiegen, weil es offensichtlich war - Nein, du kannst nicht heim. 'Heim' gibt es nicht mehr.

Bis er ging hatte er nicht mehr zu ihr gesagt.

Ab dann an kam er beinahe jeden Tag. Jeden Tag, an dem er sich auf die knarrende Matratze setzte und Maden ansah, als erwartete er gar nichts von ihr, abgesehen von ihrer bloßen Existenz. Und mehr war es auch nicht, was sie ihm gab.

So verging die Zeit, auch wenn Maden es kaum spürte. Auch, wenn sich der Druck in ihrer Brust nicht regte und sich die salzigen Tränenspuren auf ihrer Wange bloß immer tiefer in ihre Poren fraßen. So verging die Zeit, die Wunden an ihrem Körper wurden zu steinigen Krusten und das Stechen in ihrer Seite zu einem dumpfen Pochen.

Die Frau mit dem grellen Haar kam zu Beginn noch häufig, dann seltener. Blieb manchmal zu den Mittagessen, zu denen Maden nicht ging. Oft versuchte sie, ihr ein Lächeln zu entlocken - schaffte es nicht, bloß beinahe einmal. Tonks war kein schlechter Mensch.

Als Maden das erste Mal seit ihrer Ankunft ihr Zimmer verließ, verschreckte sie Sirius so sehr, dass er seinen Silberkelch voll Feuerwhisky beinah verschüttet hatte. Von da an saßen sie jeden Morgen zu einem kargen Toastbrotfrühstück beieinander und schwiegen.

THE OUTCOME » fred weasley ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt