Der erste Kuss

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Kostas

Es vergingen ein paar Tage. Ich versuchte so oft es ging bei Mik zu sein. Er erzählte mir viel über seine Eltern. Und ich bekam dabei ein schlechtes Gewissen, weil ich dachte, dass meine Mom schon Scheiße ist. Ich hatte gerade das Geschirr eingeräumt, als Ralf auf mich zukam. 
"Kostas, ich hab eine gute Nachricht für dich."
Och Alter, ich hatte jetzt wirklich keinen Bock auf eine dumme Aufgabe. Außerdem hatte ich keine Ahnung was die ganze Scheiße bringen soll. Also ich finde nicht, dass ich mich durch solche belanglosen Aufgaben verbessere. 
"Du hast deine Aufgaben in den letzten Tagen sehr gut erledigt, deswegen hast du dir ein wenig Freizeit verdient. Wenn du in die Stadt möchtest, dann sag Bescheid, ich werde dir die Karte für den Bus geben."
"Nice, danke."
Ralf lächelte und verschwand wieder. Auch ich verschwand nun aus der Küche, hatte aber keine Ahnung, was ich jetzt mit dem freien Tag anfangen sollte.
"Kosti." Ich spürte Miks Hände auf meinen Schultern. "Hab gehört, dass Ralf dir auch gesagt hat, dass du Freizeit hast?"
"Ja, du auch?"
Mik nickte lächelnd. 
"Also, was macht man jetzt den ganzen Tag?"
"Tja... gute Frage. Wenn du Bock hast, können wir an den See gehen und eine Rauchen."
Ich zuckte mit den Schultern.
"Warum nicht?"
Und so liefen Mik und ich los zum See in der Hoffnung, dass niemand da war der uns kannte und uns verpetzen könnte. 
"Ist dieser eine komische Typ eigentlich immer noch sauer auf dich?"
"Frag nicht.", lachte Mik. "Ich wäre schon an zehn Toden gestorben, wenn Blicke töten könnten."
"Ach, der macht nur einen auf mutig, zieht aber vermutlich den Schwanz ein, wenn er dir mal gegenüber steht."
"Natürlich zieht er den Schwanz ein. Der Typ ist so lächerlich. Der hatte wahrscheinlich noch nie eine richtige Prügelei?"
"Du schon?"
Ich wollte wissen, ob das was er am Anfang seinen Freunden erzählt hatte, auch wirklich wahr ist.
"Ja, die ein oder andere. Ich bin nicht stolz drauf oder will damit angeben. Aber, wenn dir Leute dumm kommen, muss man sich halt wehren. Was ist mit dir?"
"Geht mir genauso wie dir. Noch nicht oft, aber manchmal haben ein paar Leute eins auf die Fresse verdient."
Wir kamen beim See an, zum Glück war dieser so gut wie leer. Wir lehnten uns an einen Baum und ich gab Mik eine Zigarette.
"Ich bin froh, wenn wir hier weg sind.", sagte ich.
"Ja, ich auch. Es nervt. Trotzdem will ich nicht nach Hause."
"Wie gesagt, du kannst zu mir kommen."
"Ich weiß. Vielleicht tue ich das ja mal für ein paar Tage."
"Hast du noch oft diese Alpträume?"
"Jede Nacht."
Und so sah er auch aus. Sein Gesicht war blass und eingefallen. Als hätte er seit Monaten kein Auge mehr zu bekommen. 
"Ich wünschte, ich könnte dir dabei helfen."
"Du hilfst mir doch schon. Mehr kannst du nicht machen. Niemand kann mehr machen."
"Mik... Ich will dir auch was erzählen."
Ich seufzte. Okay, das wird jetzt schwerer als ich dachte. Ich hatte es noch nie jemanden erzählt.
"Ich erzähle dir die ganze Zeit von meiner Mutter, doch nie von meinem Vater und das hat einen Grund. Mein Vater ist auch gewalttätig. Er hat mich nie geschlagen, doch meine Mutter umso öfter. Sie hat ihm nie widersprochen, hatte zu sehr Angst, dass sie ihn verlieren könnte. Sie war blind vor Liebe. Ich hatte Angst vor meinem Vater, wenn er mit mir gesprochen hat, dann hat er mich nur beschimpft. Irgendwann hab ich gesehen, dass meine Eltern sich heftig in der Küche gestritten haben. Mein Vater holte ein Messer aus dem Küchenschrank und wollte damit auf meine Mutter losgehen. Ich hab die Polizei gerufen und ihnen auch erzählt, dass mein Vater meine Mutter schlägt. Doch meine Mutter hat es verneint und hat zu meinem Vater gestanden. Auch, weil sie Angst vor ihm hatte."
"Was hat die Polizei dann getan?"
"Sie haben ihn mitgenommen und mich und meine Mutter zu einem späteren Zeitpunkt nochmal verhört. Meine Mutter blieb jedoch dabei, dass mein Vater ihr nichts getan hat. Also stand es Aussage gegen Aussage. Und solange meine Mutter nicht die Wahrheit sagt, sind der Polizei die Hände gebunden. Er sitzt jetzt im Knast, aber nicht, weil er meine Mutter mit einem Messer bedroht hat, sondern weil er mehrere Schlägereien angefangen hat. Ich will dir damit nur sagen, dass ich es weiß wie es ist einen gewalttätigen Vater zu haben. Klar, ich kann niemals den Schmerz nachvollziehen, welchen er dir angetan hat."
"Danke, dass du es mir erzählt hast. Wie geht es deiner Mutter jetzt?"
Ich zuckte mit den Schultern. "Sie ist nie glücklich. Aber es geht ihr okay."
"Ich wünschte, wir hätten eine heile Familie."
"Ja, schön wärs."
Wir schauten noch eine Weile auf das Wasser und beobachteten die Leute, welche auf der anderen Seite des Sees waren. Dabei redeten wir noch über ein paar belanglose Dinge, bis meine Uhr mir zeigte, dass es bald Essen gab.
"Wir sollten uns auf den Weg machen.", meinte ich und Mik stimmte mir kopfnickend zu.
"Du Kostas?"
Ich drehte mich zu Mik um, welcher hinter mir stand. Er sah plötzlich nervös aus. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Aber irgendwie war das süß.
"Alles okay?"
"Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns so gut verstehen werden und dass ich dir so viel anvertraue. Niemand weiß so viel über meine Familie wie du. Irgendwie dachte ich, dass du genauso bist wie alle anderen."
"Genauso, wie alle Anderen?" 
"Ja, halt einfach jemand der Scheiße gebaut hat und jetzt hier fest sitzt. Aber du bist irgendwie anders. Wir haben beide kaputte Familien. Wir sind uns ähnlicher, als ich dachte."
Ich lächelte nur.
"Du bist echt cool Kostas. Ich mag dich, wirklich."
Ich wollte gerade etwas erwidern. Wollte ihm gerade sagen, dass ich ihn auch mag und er echt cool ist. Doch ich hatte keine Zeit mehr zu antworten. Seine rechte Hand lag auf meiner Wange, die andere um meine Hüfte. Und plötzlich lagen seine Lippen auf meinen. Ich war überrumpelt von dem Kuss. Konnte im ersten Moment gar nicht reagieren. Tausende Gefühle explodierten in meinem Körper. Und bevor ich zurück in der Realität war, löste sich Mik von mir. Er ging ein paar Schritte zurück und öffnete seinen Mund um etwas zu sagen. Doch ich kam ihm zuvor. Packte ihn und zog ihn wieder zu mir um ihn erneut zu küssen. Er erwiderte den Kuss und schlang seine Arme um meinen Nacken. Noch nie hatte ich so etwas gefühlt. Vor allem nicht für einen Jungen. Ich gab mich einfach dem Kuss hin und vergaß alles um mich herum. 

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