Epilog (pt.1)

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Epilog|
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Savannah

Sie war so bleich. So kalt.

Fahrig fuhren meine Hände über ihr Gesicht, versuchten die nassen Strähnen von ihrer Haut zu bekommen. Doch wie eine zweite Haut klebten sie an ihren eiskalten Wangen. Ließen ihre blauen Lippen noch unnatürlicher Aussehen.

            Wieder und wieder presste Emmet seine Hände auf ihre leblose Brust. Durch das dämmrige Licht der Höhle konnte ich nur schwach seine Augen erkennen, doch ich wusste, in ihnen glänzten Tränen so wie in meinen auch.

            Sie hatte versucht sich selber aus seinen Erinnerungen zu löschen. Wie eine weiche Bleistiftzeichnung auszuradieren. Aber sie hatte ja keine Ahnung ... wie sollte man die zweite Hälfte der eigenen Seele jemals vergessen können?

            Regungslos lag Moons Kopf in meinen Schoß. Ihre tropfenden Haare durchnässten meine Hose immer mehr, die Kälte strich wie Eis über meine Haut. Tausend Stiche zogen über meine Haut und doch lag meine gesamte Aufmerksamkeit auf Moon, deren stiller Körper einzig durch Emmets Bewegungen lebendig aussah.

            Eine durch und durch verängstigte Elfe war als erstes aus einem Portal vor Livs Haus gestolpert. Mit leeren Augen hatte sie uns angesehen. Hatte die Gesichter der Wölfe gemustert. Die Magie der Hexen gespürt. Nur Julias Aufschrei hatte uns verraten, wer sie war. Denn diese gebrochene Seele hatte nichts gemein mit den Bildern, die wir von ihr vor Augen hatten.

            Moon hatte ihr den Ring mitgegeben. Hatte ihr das Einzige in die Hand gedrückt, das sie vor der Dunkelheit beschützen konnte. Unfassbare Wut hatte mich erfasst. Sie alle hatten es nicht verstanden – selbst Liv konnte mit dieser Geste nichts anfangen, doch mir war es sofort klargewesen: sie hatte nicht vor, zurückzukommen.

            Beißend knirschten Emmets Knie über den Boden, als er sich noch mehr auf seine Arme stützte. Selbst ohne das gute Gehör der Scheißwölfe konnte ich das Knacken in Moons Brust hören. Ich konnte den Tränen nicht länger standhalten.

            Gebrochene Rippen waren besser als der Tod. Sie würden wieder heilen, wenn sie aufwachte. Sie würde aufwachen. Sie musste aufwachen.

            Mit zitternden Fingern strich ich ihr erneut über ihr kaltes Gesicht. Ließ warme Funken auf ihre bleiche Haut fallen.

            Julia hatte Darcy in die Sicherheit des Hauses gebracht und wollte sie in einem der Zimmer verarzten. Doch Darcy hatte sich strikt geweigert. Sie hatte sich mit aschfahlem Gesicht aus Julias Armen gerissen und war auf Liv zugerannt. Sie hatte nach ihren Händen gegriffen und ihr den Ring gegeben. Und dann hatte sie ihr gesagt, sie solle Moon aufhalten. Sie von dort wegholen.

Sie hatte nicht geweint. In ihren geschwollenen Augen hatte kein Hauch von Angst gesteckt – einzig eine Aufforderung. Keine Bitte. Nein, ein Befehl, die rothaarige Hexe zu befreien. Denn Darcy wusste es. Wusste wie ich, dass Moon nicht vorhatte ihr zu folgen.

Darcy hatte es gespürt, kurz bevor die Verbindung zu ihr gerissen war.

»Komm schon, komm schon!«

Sein Brüllen hallten in den Kristallhöhlen nach. Verzweiflung belegte seine Sinne und ließ ihn noch stärker auf ihren starren Körper eindrücken.

            Vier Minuten.

Er versuchte es schon seit vier Minuten und nichts hatte sich verändert. Moon lag zwischen unseren Körpern auf dem von Magie durchfluteten Steinboden, triefend nass und eiskalt. Ihre Haut war noch weißer als sonst, ihre Augen ... ich hatte sehen wollen, ob sie nur bewusstlos war. Hatte es wissen müssen.

            Das einstige leuchtende Grün war erloschen. Kein einziger Funken blitzte in ihnen. Kein Schimmern. Sie waren kalt. Trüb.

            Es waren nicht ihre Augen.

Liv schluchzte auf. Emmets Kopf fiel auf Moons Brust. Seine Bewegungen stoppten.

            Fünf Minuten.

Mit zitternden Lippen presste ich meine Stirn auf ihre. Prickelnde Kälte ging auf mich über. Jagte mir eine schmerzhafte Gänsehaut über die Haut. Dann breitete sich bittere Erkenntnis in meinem Magen aus.

            »Nein, nein, nein.« Livs Stimme bebte. Ihre Schritte waren hastig. Zu schnell. Kurz vor Moons Körper fiel sie in die Knie. Ihre Hände vor den Mund geschlagen sah sie unsere Freundin an. Sah eine achtzehnjährige Hexe an, die für immer fort war.

            Mein verschwommener Blick wanderte über ihre Gesichter.

Zu Livs tränenüberströmte Wangen, Jeremys ungläubig aufgerissene Augen und Emmets zusammengesunkener Körper. Im guten Abstand zu uns hatte sich Erin an die Höhlenwand gelehnt und sah nun mit zusammengebissenen Zähnen auf ihren einstigen Schützling.

            Ein plötzliches Gefühl befiel mich. Meine Finger gruben sich in ihren Kiefern, in ihre Wangen. Ich sah es vor meinen Augen. Sah einen Zauber und wusste, was ich tun musste.

            Ich würde es nicht zulassen. Würde sie nicht so früh gehen lassen. Sollte mich Hel verdammen, sie durfte noch nicht gehen.

            »Rursurgit«, flüsterte ich bestimmend in ihr Ohr. Eine Träne tropfte in ihr dunkles Haar. Meine Hände begannen schrecklich zu zittern. Wärme floss von ihnen in ihren Körper über. »Rursurgit.«

            Ich hatte sie von mir gestoßen, um sie zu beschützen.

            Ich hatte unsere Freundschaft aufgegeben, um sie am Leben zu halten. Ich hatte sie mich hassen lassen und wünschte mir, ich hätte es nie getan.

            Dann hätte ich Morgan aufhalten können.

            Dann hätte ich sie so beschützen können, wie ich es hätte tun sollen.

            Dann wäre sie nicht so leitsinnig gewesen, diese beschissenen Zauber zu sprechen. Diesen dämlichen Plan auszuführen, in der irrsinnigen Annahme, sie müsse alles alleine machen. Es war meine Schuld, dass sie so dachte. Dass sie ernsthaft dachte, sie müsste all das alleine machen.

            »Rursurgit.«

Ihr Körper zuckte hoch. Durch die plötzliche Bewegung wurde Emmet nach hinten geworfen. Mein Kopf blieb fest an ihre Seite gepresst. Wieder und wieder flüsterte ich ihr die Worte ins Ohr. Ließ meine Wärme weiter in sie übergehen und merkte, wie die Nässe von ihrem Körper verschwand. Langsam löste es sich aus ihren wirren Haaren, aus ihrer zerrissenen Kleidung.

            »Rursurgit.«

Blitze zuckten durch meine Finger, schoben sich unter ihre Haut. Ließen eine fröhliche Röte in ihre Wangen zurückkehren.

            »Rursurgit.«

Ihr Mund öffnete sich.

Meine Augen rissen auf.

Hustend schoss Wasser aus ihr.

Ihr Körper erzitterte. Rollte zur Seite. Schluchzend drückte ich meine Hände gegen ihre Schultern, halfen ihr, sich aufrechtzuhalten. Erleichterung ließ mich benommen schwanken. Tränen liefen über mein Gesicht. Den Göttinnen sei Dank ...

Doch als Moon sich wieder auf den Rücken fallen ließ, zerrte tiefer Winter an meinem Herzen: der schwarze Traum hatte sich in ihren Augen festgesetzt.

Statt dem tiefen Grün des Waldes sah mir völlige Schwärze entgegen.

Moonchild  - Entfesselte DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt