Kapitel 9

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Amber rückte ihre Sonnenbrille zurecht. Wenn noch vor zwei Tagen jemand zu ihr gesagt hätte, dass sie nach der Schule auf der Tribüne am Footballfeld sitzen würde um beim Training zuzuschauen, hätte sie ihn hundertprozentig ausgelacht. Doch nun saß sie hier. Die Sonne brannte angenehm auf ihrer Haut, als sie trotz Sonnenbrille ihre Augen zusammenkneifen musste.

Ihre Welt hat sich in den letzten 48 Stunden komplett verändert. Noch am Montag hatte sie das Gefühl ganz alleine zu sein. Niemand wartete auf sie oder freute sich, wenn man sie sah. Sie war einfach da und zählte die Tage bis zum College runter. Endlich könnte sie weg von Huntsville. Weg von ehemaligen Anforderungen, die sie nie erfüllen wollte und konnte.

Manchmal spielt sich das ganze Leben nur im Kopf ab. Ohne mit der Wimper zu zucken nahm Jessica sie wie eine verlorene beste Freundin auf. Das gesamte Footballteam behandelte sie so, als wären sie schon immer enge Freunde gewesen.

Denn wenn man die Augen wirklich öffnet, wird einem bewusst, dass man nie unsichtbar war.

Lächelnd beobachtet sie das Geschehen vor sich. Die Spieler auf dem Rasen liefen kreuz und quer herum, Bälle flogen durch die Luft und immer wieder war eine schrille Trillerpfeife zu hören. Amber wusste nicht wirklich, was genau sie trainierten, dennoch konnte sie nicht aufhören sie zu beobachten. Sie fand es faszinieren, wie alle Spieler durch nur ein paar Worte des Coaches genau wussten, was sie zu tun hatten.

Doch einer fehlte auf dem Platz. Obwohl sie sich nie großartig für Football interessiert hatte und somit nicht genau beurteilen konnte, wer wirklich Talent hatte, konnte sie genau sehen, dass Owen alle übertreffen würde.

Wenn er es schon in nur ein paar Minuten schaffte ein komplettes Footballteam von sich zu überzeugen, dann musste er schon richtig gut sein, dachte sich Amber.

„Willst du noch?", fragte Jessica sie plötzlich und hielt ihr eine Tüte voll mit kleinen Salzbrezeln unter die Nase.

Jessica war wirklich perfekt für die zwei Stunden Training vorbreitet. Ihre Tasche lief vor Knabbereien und Süßigkeiten fast über.

Amber schüttelte den Kopf. „Nein, danke."

Jessica zuckte mit den Schultern und mampfte fröhlich weiter. Ihre Sonnenbrille im Pilotenstil tanzte dabei leicht auf ihren Wangen.

Als vor wenigen Stunden die Schulglocke läutete, um das Ende der Mittagspause zu signalisieren, war Amber das erste Mal an der Highschool darüber enttäuscht. All die Jahre zuvor hatte sie nicht wirklich eine feste Gruppe, mit der sie zu Mittag aß. Manchmal saß sie in der Schulbibliothek oder verbrachte die Zeit mit Leuten, die sie nicht vermisst hätten.

Der Tag wurde nur noch besser, als Jessica sie fragte, ob sie nicht nach der Schule mit ihr beim Footballtraining zugucken würde. Das war eigentlich gar nicht Ambers Ding. Ungefähr zwei Stunden in der Sonne zu sitzen und verschwitzen Jungs dabei zuzuschauen, wie sie sich die Köpfe einrannten? Darauf konnte sie normalerweise verzichten. Aber die Freude über eine neue Freundin und das Gefühl dazuzugehören siegte.

Jetzt saßen die zwei also am Rand des Footballfeldes, mit Hausaufgaben auf dem Schoß und Snacks in den Händen. Gar nicht so schlecht, dachte Amber.

„Logan meinte, dass Owen keine Chance hat", sagte Jessica und sah mit verträumten Augen zu ihrem Freund.

„Wieso?", fragte Amber.

Jessica nahm tief Luft. „Ich glaube er hat nur Angst, dass Owen besser ist als er, weißt du?"

Amber beobachtet nun auch Logan und nickte. Sie kannte ihn seit der ersten Klasse, hat aber nie mit ihm gesprochen. Sie kann sich noch gut daran erinnern, dass er der Mädchenschwarm der Middle School war. Als er dann in der neunten Klasse mit Jessica zusammenkam hatte er keine Augen mehr für andere Mädchen, denn für ihn gab es ab dem Zeitpunkt nur noch Football und Jessica. Seitdem konnte Amber sich Jessica und Logan nicht mehr alleine vorstellen.

„Meinst du Owen ist besser?", fragte Amber. Jessica hätte wahrscheinlich den Job des Coaches übernehmen können, so oft sie beim Training dabei war und dadurch die Stärken und Schwächen aller Spieler kannte.

Jessica nickte verhalten. „Ich glaube Owen würde ihm ganz schön Konkurrenz machen", sagte sie leiste.

Es war das erste Mal, dass Amber sie ruhig erlebt hatte, ohne Grinsen im Gesicht.

„Ich glaube auch nicht, dass Logan noch ein Stipendium kriegt, also keine Ahnung wieso er so drauf ist", murmelte Jessica und schaute auf ihre Finger, mit denen sie spielte.

Amber nahm tief Luft. „Vielleicht geht es ihm weniger um ein Stipendium, sondern um die Zeit während der Highschool."

Jessica sah sie mit zusammengezogenen Augenbrauen an. „Was meinst du?", fragte sie verwirrt.

Amber zuckte kurz mit den Schultern. Ihr war die Situation unangenehm. Eigentlich kannte doch Jessica ihren Freund am besten, wieso wollte Amber ihr plötzlich erklären wieso Logan nun so reagierte? Sie suchte mit ihren Fingern die Stelle über ihrem Schlüsselbein und drückte fest zu.

„Naja, Anthony und Logan sind seit knapp vier Jahren für die meisten Siege verantwortlich", sie merkte, wie Jessica sie aufmerksam beobachtete. „Ich glaube Logan möchte einfach seinen Status als bester Wide Reciever der Mannschaft behalten und ihn nicht in der letzten Saison an den Neuen abgeben", fügte Amber hinzu und wartete mit wippendem Bein auf Jessicas Reaktion.

Jessica legte ihren Kopf in den Nacken. „Wieso sind Jungs manchmal solche Idioten?", fragte sie. „Mal ernsthaft, dann ist er vielleicht nicht der Beste, aber er könnte die Regionalmeisterschaft gewinnen."

Amber hatte gar nicht mehr die Chance zu antworten, als mal wieder die schrille Trillerpfeife zu hören war. Doch diesmal änderten sich die Geräusche auf dem Rasen. Statt den Anforderungen des Coaches zu folgen, gingen die Spieler langsam zum Rand des Feldes.

Noch bevor Amber realisieren konnte, dass die Mannschaft eine kurze Pause einlegte, kam Anthony schon völlig außer Atem auf sie zugelaufen.

„Oh mein Gott, Anthony du setzt es auch wirklich mit dem Coach drauf an!", rief Jessica, als er sich den zwei näherte.

Er sah sie nur mit einer Grimasse an und wand sich Amber zu. Seinen Helm hielt er in der Hand, als er sich kurz den Schweiß auf seiner Stirn wegwischte.

„Jo Amber, wo ist dein Loverboy?", fragte er sie, ein Schmunzeln spielte auf seinen Lippen.

Amber hörte Jessica kichern, als sie Anthony mit zusammengezogenen Augenbrauen ansah.

Anthonys Grinsen wurde nur noch größer. „Owen. Wo hast du Owen gelassen?", fragte er erneut.

Wärme schoss in ihre Wangen, ihr Herz raste in ihrer Brust. Sie versuchte seinen Kommentar zu ignorieren, doch die Röte in ihrem Gesicht half ihr wahrscheinlich nicht dabei.

„Ähm", stammelte sie, „ich glaube der Coach würde Owen nicht ein zweites Mal auf sein Feld lassen."

Anthony rollte mit den Augen, als er seine Arme vor der Brust verschränkte. „Ich gib echt mein Bestes Coach zu überzeugen, aber..."

„Wenn der Coach nicht irgendwann mal locker lässt raste ich noch aus!", entfuhr es plötzlich Jessica.

Die Trillerpfeife ertönte plötzlich mehrmals hintereinander, der Coach sah mit grimmiger Mimik zu Anthony und signalisierte ihm somit, dass er sofort wieder am Training teilnehmen musste.

Amber fühlte eine Frustration, die sie noch nie in ihrem Leben erlebt hatte. Ihr Puls stieg in die Höhe, als sie versuchte sich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren. Doch ihre Gefühle siegten.

Die Zeit zog an ihr vorbei, ihre Gedanken bei Owen und der Ungerechtigkeit in Person: Coach Nelson.

Als das Training vorbei war und sie aus ihrem Auto beobachten konnte, wie alle Spieler den Heimweg antraten öffnete sie plötzlich wieder ihre Autotür und marschierte in Richtung des Schulgebäudes.


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Ich hoffe euch gefällt "Hail Mary" bis jetzt und habt Owen und Amber schon genauso ins Herz geschlossen, wie ich es getan habe.

Ich würde mich unglaublich freuen, wenn ihr ein Sternchen dalasst und auch mal bei meiner Kurzgeschichte "1,761 Miles" vorbeischaut! Sie hat drei Teile und ist auch schon abgeschlossen :)

Hail Mary | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt