Hail Mary | ✓

Kapitel 10

Die Sonne strahlte durch das Fenster und warf Schatten auf die Wand. Owen lag auf seinem Bett und starrte die Decke an. Ihm war langweilig. Er nahm immer wieder sein Handy in die Hand, in der Hoffnung, dass sich in der Geschichtsgruppe endlich was tun würde, doch auch diesmal gab es keine neue Nachricht und er konnte so seine Langeweile nicht besiegen. Er müsste eigentlich gerade auf dem Footballrasen stehen und Bälle fangen. Doch stattdessen lag er so still auf seinem Bett rum, dass es schon fast ungemütlich wurde.

Er sah, wie sich seine Träume in Luft auflösten. Er war sich sicher, dass er durch sein Talent sicher ein Stipendium bekommen könnte. Und wenn es nur für eine kleine Schule war. Es war ihm egal. Hauptsache auf ein College kommen.

Er schluckte schwer. Er wollte sich keine neuen Ziele setzten. Er wollte nicht mit einem Highschool Abschluss irgendeinen Job machen, der ihn nicht erfüllte und der ihm auch nicht genug Geld zum Überleben einbrachte.

Ein College Abschluss war das ultimative Ziel, Football war einfach nur sein Weg, wie er es erreichen konnte.

Er verfluchte den Coach, den Umzug und den ganzen Ort. Kleine Sachen stauten sich auf zu einem großen Problem, dass Owens komplette Vision einnahm.

Dass sich nur ein paar Kilometer weiter eine achtzehnjährige mit honigblonden Haaren und lieben Augen für seinen Traum einsetzte, hätte er sich auch unter normalen Bedingungen nicht ausmalen können.

***

Sie konnte ihren hohen Puls in ihren Ohren hören. Als Amber an der Tür des Büros des Schuldirektors klopfte, gab es kein Zurück mehr. Doch als ihre Knöchel das Holz berührten, wurde ihr bewusst, was sie gerade tat.

War der Schuldirektor überhaupt noch da? Schließlich war der Unterricht seit knapp zwei Stunden vorbei. Wenn ja, was sollte sie ihm bloß sagen?

Amber hatte gar keine Zeit mehr sich alle Szenarien auszumalen, als sie ein leises „Herein" von der anderen Seite der Tür hörte.

Mit nassen Händen drückte sie die Türklinge herunter und machte einen langsamen Schritt in das Büro.

„Amber! Womit habe ich die Ehre verdient?", fragte sie der Schuldirektor und nahm sich die Brille von der Nase.

Sie war bekannt beim Schulrektor, schließlich stellte ihre Mutter ungefähr einmal die Woche einen Antrag bei ihm um Amber früher aus der Schule zu lassen, welche auch immer fröhlich akzeptiert wurden. Wichtige Wettkampfe und so.

Doch diesmal hatte ihr Besuch beim Rektor nichts mit ihrer sportlichen Kariere zu tun. Es ging um die eines Anderen.

„Mr. Williams, haben sie eine Minute?", ihre Stimme zitterte.

„Na klar, was gibt's denn?"

Amber massierte mit der einen Hand die andere. „Ich wollte sie fragen ob sie mal mit Coach Nelson sprechen könnten."

Mr. Williams legte seine Stirn in Falten und sah sie besorgt an. „Coach Nelson? Und wieso sollte ich das tun?"

„Sie kennen doch den neuen Schüler Owen, oder?" Der Rektor nickte. „Naja, also er ist ein richtig guter Footballspieler, aber der Coach hat ihm verboten im Team zu spielen." Ihre Worte kamen doppelt so schnell wie vorgesehen aus ihrem Mund heraus.

„Da kann ich leider nichts dran ändern", sagte der Schulrektor und sah wieder auf die Papiere, die auf seinem Schreibtisch lagen.

„Doch können sie!" Ambers Wangen wurden rot als sie realisierte, wie laut ihre Stimme plötzlich war.

Mr. Williams sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an bevor er tief Luft holte. „Amber, ich vertraue auf meine Lehrer und Trainer, dass sie einen guten Job machen und werde ihnen nicht sagen was sie zu tun und lassen haben."

Amber schüttelte mit dem Kopf. Es musste doch eine Möglichkeit geben.

„Wollen sie nicht auch, dass Huntsville High dieses Jahr die Regionalmeisterschaften gewinnt?"

Damit hatte sie sein Interesse geweckt. Natürlich wollte er, dass seine Schule eine der besten im ganzen Staat war.

„Er ist wirklich so gut?", fragte er sie.

Amber nickte. „Das ganze Footballteam will ihn in der Mannschaft haben."

„Und wieso genau lässt ihn Coach Nelson nicht in die Mannschaft?", wollte er wissen.

Das war eine gute Frage. Sie zuckte mit den Schultern. Woher sollte sie das schon wissen? Niemand verstand die Logik des Coaches.

„Ich weiß es nicht, Mr. Williams", sagte sie leise und schaute auf den Boden.

„Dann nehme ich an, dass der Coach gute Gründe dafür haben wird." Der Rektor wollte dieses Gespräch beenden, schließlich saß er noch nach Feierabend in seinem kleinen, stickigen Büro und wollte einfach nur nach Hause.

Amber spürte, wie er sie abwimmeln wollte. „Hat er eben nicht. Owen ist erst vor ein paar Tagen hergezogen und hat echt Talent. Die ganze Mannschaft will, dass er spielt, aber der Coach lässt ihn nicht mal trainieren" versuchte sie es erneut.

Mr. Williams strich sich mit seinen Händen über sein faltiges Gesicht. „Also schön, ich spreche mal mit Coach Nelson, aber ich kann dir nichts versprechen", sagte er.

Wahrscheinlich stimmte er nur zu, weil er nicht mehr länger über einen neuen Schüler und das Footballteam reden wollte. Wahrscheinlicher ist auch, dass er einfach Feierabend machen wollte und deswegen nachgab.

Die möglichen Gründe waren Amber egal. Auf ihrem Gesicht war so ein großes Grinsen, dass ihre Wangen schon anfingen zu schmerzen.

„Danke, Mr. Williams!", sagte sie und sah nur noch, wie er nickte und ihr mit einer kurzen Handbewegung zu verstehen gab das Büro zu verlassen.

Es ist manchmal witzig, wie schnell sich die Laune ändern kann. Noch vor ein paar Minuten ging sie mit pochendem Herz und schwitzenden Händen über den Flur. Jetzt lief sie durch genau denselben Gang, aber diesmal mit einem Grinsen im Gesicht.

Das Gefühl von Erfolg, dass sie so lang vermisst hatte, fand den Weg zurück zu ihr.