Frei von dir

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Das Telefon klingelte unaufhörlich. Genervt verdrehte Logan die Augen. Er konnte jetzt nicht rangehen. Seine Hände waren schmutzig.
Der Anrufbeantworter schaltete sich endlich ein.

Logan? Warum verdammt noch mal gehst du nicht ran?

Neugierig horchte er auf. Natürlich kannte er die Stimme. Wieso rief sie ihn an? Das tat sie nie, außer im Notfall. Und wenn sie jetzt einen solchen Notfall hätte, hätte er ein Problem.

Wo bist du? Ich brauche dich! Solltest du nicht am East Coast Motel auf mich warten?

Er biss sich auf die Lippe. Sie war also wirklich dort vorbeigekommen.

Ich stecke gerade echt in Schwierigkeiten und du kannst dich nicht mal an die einfachste Abmachung halten!

Nun klang sie wirklich wütend, sie hatte die Stimme erhoben und schleuderte ihm die Worte nahezu entgegen. Doch sie klang auch gehetzt, halb außer Atem. Im Hintergrund hörte man Kinder schreien und Autos hupen.

Ich kann dir nicht sagen, wo ich bin. Wäre zu gefährlich. Aber wenn du dich mal wieder blicken lassen willst, komm dahin wo wir vorher waren.

Und damit war das einseitige Gespräch beendet. Logan seufzte. Es war nicht seine Schuld, dass er besseres zu tun hatte, als ihr dabei zu helfen, zu überleben. Außerdem war er fest davon ausgegangen, dass sie alleine klarkommen würde. Sie war gut in so was.
Die breite Klinge schnitt durch das saftige Fleisch. Gedankenverloren teilte er es in kleine Stücke und warf sie in die heiße Pfanne.

"Logan? Du bist schon hier?" Er hob den Blick. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht auf, als er das Gesicht der blonden Frau sah, die das Zimmer betrat. Ihre Lippen waren gerötet vom rauen Wind, ihre Haare waren zerzaust. Um den zierlichen Körper hatte sie einen dunklen Parker gewickelt und an den Füßen trug sie Stiefel. Die kanadischen Winter taten ihr wirklich keinen Gefallen.
"Ich dachte, du kommst erst morgen", fügte sie hinzu. Die dünnen Lippen wölbten sich zu einem Lächeln nach oben.
"Nette Begrüßung", murmelte er, als sie sich neben ihn stellte und eine Hand auf seine Schulter legte. Ihre rauchig blauen Augen strahlten ihn an. "Ich mach gerade Essen für uns."
"Speck?", fragte sie. Ihr Blick fiel auf die Schale Salat, die er vorbereitet hatte, und schnappte sich ein Blatt. "Ist doch hoffentlich gewaschen, oder?"
Er schmunzelte. "Klar. Ich muss übrigens später noch mal weg."
Enttäuschung war deutlich auf ihrem Gesicht, doch sie widersprach nicht. Das tat sie nie. Stattdessen nickte sie und schenkte ihm ein knappes Lächeln, das er durchaus deuten konnte.

Logan nahm die Pfanne von der heißen Platte und häufte die gebratenen Speckstückchen auf zwei Tellern. Einen gab er der Frau und sie ließen sich auf dem blauen Sofa nieder.
Lange hielt die Stille zwischen ihnen nicht an.
"Wo musst du hin?"
Er brauchte einen Moment, um zu verarbeiten, dass sie wirklich gerade hinterfragt hatte, was er tat. Sie hatte ihn noch nie gefragt, wohin er ging. Oder wieso er ging. Sie wusste nicht mal, was sein Beruf war.
"Spielt keine Rolle", winkte er ab, doch sie sah ihn skeptisch an. Sie hatte den Kopf leicht zur Seite gelegt und die Augenbrauen ungläubig zusammen gezogen.

Er aß fertig und stand auf, ohne noch ein weiteres Wort zu ihr zu sagen. Er spürte ihren Blick auf seinem Rücken, sie hatte Fragen, die er nicht beantworten würde. Sie seufzte traurig auf, als er wortlos zur Tür hinausging.
Mit langen Schritten eilte er zu seinem Auto und fuhr davon.
Morgen würde es von vorne losgehen.
Er warf einen Blick auf sein Handy. Der Tag neigte sich dem Ende zu. Es windete stark, aber wenigstens regnete es nicht. Trotzdem wollte er nicht zu ihr gehen. Nicht jetzt.

Der Wagen hielt vor dem heruntergekommenen Apartment an. Wer wollte hier noch drin wohnen? Er kannte da jemanden.
Durch die schmutzigen Fensterscheiben sah man nicht, wer im Inneren war, doch er konnte es sich denken.
Als er den überwucherten Pfad zur Tür entlanglief, wurde ihm bewusst, warum das Haus nicht mehr zur Vermietung freistand.
Die Tür war nur angelehnt. Am Schloss entdeckte er kleine Kratzspuren, deren Ursprung er sehr gut kannte. Er schüttelte mahnend den Kopf und stieß die Tür auf.
"Hallo?"
"Logan?" Er runzelte die Stirn. Die Stimme klang merkwürdig brüchig und leise. So kannte er sie nicht. Er trat um die Ecke. Dort saß sie, auf einem eingestaubten Küchenstuhl, ein Bein nach oben gezogen, der Pferdeschwanz halb aufgelöst und Blut an der Schläfe und auf ihrem weißen Shirt. Sie starrte ihn an, die dunklen Augen aufgeschreckt, und zugleich zornig.
"Lässt du dich auch mal blicken?", fuhr sie ihn an. Sie wischte sich den Dreck aus dem schwitzigen Gesicht.
"Tut mir leid, dass ich nicht früher konnte. Ich musste was erledigen", verteidigte sich Logan und hob abwehrend die Hände.
Grimmig verzog sie das Gesicht. "Ach ja? Lüg mich nicht an. Ich hab's satt. Ich weiß genau, wo du warst und was du wirklich gemacht hast." Sie funkelte ihn an, den Hass in ihrem Blick war er nicht gewohnt. Geschockt starrte er sie an. Was sollte er jetzt machen? War er aufgeflogen?
Ihre Mundwinkel hoben sich, ein humorloses Lachen schallte durch den Raum. "Was denkst du, warum ich hier bin?" Er antworte nicht. "Ich wurde von den Leuten verfolgt, die eigentlich dich verfolgen wollten. Die wussten, das wir zusammen waren." Er hob verwirrt die Augenbrauen und erneut lachte sie auf, diesmal war es jedoch ein hasserfülltes, bitteres Lachen. "Ja, richtig gehört. Es ist vorbei. Ich weiß jetzt, wer du wirklich bist. Und wie du wirklich bist. Und ich weiß auch, bei wem du heute den Tag verbracht hast. Versuch gar nicht erst, dich rauszureden." Ihre Hand fuhr über das halb getrocknete Blut an ihrer Schläfe, sie erhob sich und stolzierte an ihm vorbei, nicht ohne ihm einen giftigen Blick zu schenken.
"Kim..." Der Name fühlte sich an wie Gift auf seiner Zunge.
Bevor sie zur Tür hinausging, drehte sie sich um und starrte ihn an. "Wenn du ein bisschen was gutmachen willst, sag ihr die Wahrheit. Sie braucht sich nicht auf den Arm nehmen zu lassen."
Und damit verließ Kim Deep Water das Apartment. Er würde sie nicht widersehen. Sie sorgte dafür. Nicht nur wegen ihm, sondern auch wegen den Gefahren, die ihr Beruf brachte, änderte sie ihren Namen und verschwand von der Bildfläche. Bis zwei Monate später eine junge Kampflehrerin vor dem Gebäude der Blue Reef High aus einem schwarzen Auto ausstieg und sich als Alisha White vorstellte.


Frei Von DirWhere stories live. Discover now