1. Kapitel: Trost

20 1 0
                                    

Dunkelheit, überall Dunkelheit. Nicht einmal die Hand vor Augen konnte ich sehen. Die warmhaltende Bettdecke über meinem Kopf fühlte sich weich an und der Geruch von Weichspüler stach mir in die Nase. Mom hatte die Bettwäsche wieder gewaschen. Unter anderen Umständen würde ich mein Gesicht in meiner Decke vergraben, um den Duft ganz in mich aufzunehmen. Doch im Moment fühlte sich jede Bewegung schwer an, als würde eine Eisenplatte auf mir liegen.

Schritte vor meiner verschlossenen Tür. Ich konnte nur hoffen, dass sie nicht für mich bestimmt waren. Ich konnte und wollte noch nicht mit der Außenwelt sprechen. Stimmen mischten sich dazu, es dauerte einen Moment, bis ich sie meiner besten Freundin Rachel zuordnen konnte. Noch einen Moment brauchte ich, um zu verstehen, was sie sprach. Eigentlich war es mir ja schon klar. Sie redete über mich.

"Ich weiß nicht, ob sie noch schläft, vorhin hatte ich ihr die Bettdecke neu bezogen, da hat sie geschlafen."

Falsch, ich hatte nur so getan, Mom.

"Danke", hörte ich Rachel sagen. "Ich werd' einfach mal schauen. Vielleicht tut sie auch nur so."

Ehe die Tür aufging und ein sich Spalt Licht bildete, zog ich mir die Decke ganz über den Kopf. Verdammt, meine beste Freundin durchschaute mich immer.

"Rebecca? Bist du wach?" Leise fiel die Tür wieder ins Schloss, dafür war ich ihr dankbar. Fürs Erste antwortete ich nicht, vielleicht würde sie einfach wieder gehen. Schnell merkte ich, dass das keine Option war. "Ja bin ich." Mit einem Seufzen schlug ich die Decke auf und richtete mich im Bett auf. "Und das ist auch so das einzige, was ich bin."

Ein mildes Lächeln setzte Rachel auf. "Was auch immer das bedeuten soll." Sie setzte sich neben mich auf das Bett, die Matratze gab ein wenig nach. Dann strich sie mir über den Arm. "Ich vermisse dich. Wir vermissen dich."

Ich gab mir Mühe, ebenfalls ein kleines Lächeln aufzusetzen. "Ich vermisse euch auch. Aber ich brauche noch Zeit."

Wir schwiegen uns an. Rachel war immer die Gesprächige gewesen, die jede Stille füllte. Doch wenn jemand traurig war, entwischten ihr jegliche Worte. "Das ist völlig okay, dass du noch Zeit brauchst. Wir haben uns gedacht, wir könnten mit Tee und Spekulatius zu dir kommen. Damit du wieder mit jemandem redest."

Leicht hob ich den Kopf, doch schaute ihr nicht in die Augen. "Es gibt jetzt schon Spekulatius?"

Sie nickte.

Ich zog die Beine nah an meinen Oberkörper. Mir war klar, ich könnte meinem Freund, Jonas, nicht für immer hinterher trauern, irgendwann müsste ich dieses Zimmer verlassen, müsste wieder mit Menschen sprechen. Die Welt drehte sich weiter, nicht eine Sekunde blieb sie stehen, seit er nicht mehr war. Wieder auf die Straße zu treten, schien mir in diesem Moment wie eine unmögliche Aufgabe. Also warum nicht klein anfangen?

"Weißt du was? Rachel?" Endlich schaffte ich es, ihr in die dunkelbraunen Augen zu schauen. "Ja. Bring die anderen her. Ich kümmere mich auch um den Tee." Ich machte eine kurze Pause. "Aber vergiss den Spekulatius nicht."

Scheinbar war das mehr, als sich Rachel erhofft hat, denn ihre Augen begannen, so gut wie ich das in der starken Dunkelheit erkennen konnte, zu funkeln. "Natürlich! Du kriegst alle Sorten, die wir finden können!" Etwas energischer, als mir lieb war, kam sie wieder auf die Beine. "Ich bring' Unokarten mit! Oh, das wird toll! Sollen wir eine Übernachtungsparty daraus machen?" Ein Blick auf mein bleiches Gesicht reichte für sie, zu merken, dass sie wieder zu laut wurde.

 "Entschuldigung. Du kennst mich ja. Immer over-the-top." Verlegen lachte sie. "Na ja, ich werde dann gehen. Heute Abend gegen acht sind wir dann bei dir, okay? Liebe dich." Erneut strich sie mir über den Arm. Das tat sie immer, anstelle von Worten und das schätzte ich viel mehr, als die teilweise leeren Worte der anderen in den letzten Wochen.

You've reached the end of published parts.

⏰ Last updated: Oct 02, 2023 ⏰

Add this story to your Library to get notified about new parts!

Als du da warstWhere stories live. Discover now