Der Ritter und der Bräutigam

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Weit im Norden, wo im Sommer die Sonne nicht untergeht und im Winter nur ein Widerhall ihrer Pracht in leuchtenden Farben das dunkle Firmament bemalt, erzählen sich die Menschen in den langen Nächten Geschichten. Eine von ihnen, die schönste vielleicht, ist die vom Wolf und der Sperbereule.

Sie beginnt mit einem Ritter. Dem edelsten und tapfersten, den man sich nur vorstellen kann. Sein Name war Lear von Gnitaheide und er diente seinem Fürsten besonders ruhmreich und tugendhaft. Doch der Glanz seines Sterns war zu prächtig, um von Dauer zu sein. So kam es, dass er einen Auftrag erhielt, der ihm tiefstes Leid bescheren sollte.

Sein Herr schickte ihn aus, damit er dem Prinzen des Nachbarlandes sicheres Geleit gab. Marisandros hieß dieser und man sagte von ihm, er sei ein tollkühner Reiter wie man keinen Zweiten fände, dazu ebenso klug wie anmutig. Er wurde schon als Kind von seinem Vater dazu bestimmt, die Tochter des Fürsten zu heiraten, um Frieden und Wohlstand in beiden Reichen zu sichern. Doch der Weg von seiner väterlichen Burg bis zur Heimat seiner unbekannten Braut war weit und gefährlich. Da war es nicht verwunderlich, dass der Fürst seinem besten Ritter ein hochheiliges Versprechen abnahm, dem jungen Bräutigam seiner Tochter nicht von der Seite zu weichen. Doch keiner von ihnen hatte mit der Tücke Amors gerechnet, der zuweilen seinen Pfeil mitten ins Herz der Menschen schoss, wenn sie es am wenigsten erwarteten.

So verliebten sich Lear und Marisandros, gleich als sie einander zum ersten Mal sahen am ersten Tag der Reise. Lear ritt mit einem kleinen Trupp an der Spitze des Zuges, Marisandros in der Mitte. Damit man ihn nicht als den Prinzen erkannte, trug er einen schlichten Umhang mit einer weiten Kapuze, die sein Antlitz ganz und gar verbarg. Doch bei der Rast auf einer Lichtung des Waldes erhaschte der Ritter einen zufälligen Blick auf ihn, als ein böiger Wind den Stoff hob. Da war es um Lear geschehen, wie auch um Marisandros, denn der Blick des stattlichen Mannes mit wehenden, unbändigen schwarzen Locken und den funkelnden Augen eines edlen Raubtieres drang bis in sein Innerstes. Keiner der beiden verlor darüber auch nur ein Wort, denn es konnte nicht sein, was nicht sein durfte. So litten sie still und jeder für sich. Nur den Dienern und anderen Reitern des Gefolges erschien es bald merkwürdig, dass der Ritter und der Jüngling vermieden, auch nur ein Wort oder einen einzigen neugierigen Blick zu tauschen.

Am dritten Tag der Reise erwies sich all dies als vergeblich. Die Reiter waren erschöpft und tränkten ihre Pferde an einem kleinen See, als plötzlich eine Schar wilder Räuber aus dem Unterholz stürmte und lauter Tumult losbrach. Schon ging ein Diener tödlich verwundet zu Boden, als Lear mit gezogenem Schwert mitten zwischen die Bande sprang, um den Halsabschneidern den Garaus zu machen. Ein Kampf entbrannte, in dem der Ritter stets Ausschau nach Marisandros hielt. Dieser führte ebenfalls sein Schwert in Händen und wehrte einen Räuber nach dem anderen ab. Einer dieser Halsabschneider sprang jedoch plötzlich von hinten unbemerkt an ihn heran. Lear, der dies sah, zögerte nicht, und mit einem blitzschnellen Wurf seines Messers durchbohrte er den Angreifer mitten auf der Stirn. Er war tot, noch bevor er die Erde berührte und der Ritter eilte zu Marisandros, um ihm den Rücken zu decken. Als der Kampf vorüber war, sank der Jüngere erschöpft auf die Knie und begann zu zittern. Der Anblick gewaltsamen Todes war noch neu für ihn und hatte ihn zutiefst erschreckt. Ihm war, als würden seine Sinne schwinden, so kniff er die Augen zusammen und als er sie wieder aufschlug, erschaute er die Ewigkeit im Antlitz des Ritters ihm gegenüber. Nur dieser Mann und kein anderer, auch keine Prinzessin, würde jemals Marisandros' Liebe besitzen. Noch bevor er dies aussprechen konnte, ergriff Lear das Wort.

„Du bist es, der mir alles ist. Größte Freude und bitterstes Leid. Nichts bin ich ohne dich."

Da sprach auch der junge Prinz seinen Entschluss mit festen Worten aus.

„Dich hat mein Herz erwählt und nur dir will ich es schenken. Deinen Fürsten werde ich bitten, die ungeliebte Verlobung zu lösen."

Im selben Augenblick jubelte das Herz des Ritters auf und sein Liebster bekräftigte ihr Versprechen mit einem Kuss, der die umstehenden Männer des Gefolges gleichermaßen in tiefste Rührung, aber auch dunkelste Vorahnung versetzte.

So nahm das Verhängnis seinen Lauf. 

Der Wolf und die Sperbereule - Gay RomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt