Prolog

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Der äußere Anschein täuschte häufig- die wenigsten Dinge waren wirklich zu verstehen, wenn man sie nur oberflächlich betrachtete, und Menschen gehörten wohl erst Recht dazu. Um jemanden zu verstehen- zu verstehen, was in der jeweiligen Person vorging, reichte es  definitiv nicht aus, nur die äußerliche Erscheinung, die Ausstrahlung jener Person zu studieren, denn dies würde früher oder später zu falschen oder voreiligen Schlüssen führen. Es gab zu viel an all dem, das täuschend sein könnte- zum Beispiel könnte jemand gefasst, geradezu ruhig wirken, während innerlich ein ziemlicher Tumult in ihm herrschte. Es konnte sein, dass jemand geradezu erschreckend ruhig und entspannt wirkte, während sein Herz raste, und seine Gedanken Karussell fuhren. 

So ähnlich fühlte sich Albus Dumbledore. Der rothaarige Zauberer befand sich in seinem Büro in Hogwarts, genauer gesagt an seinem Schreibtisch. Seine Haltung war ein wenig nach vorne gebeugt, die Augen auf ein Stück Pergament gerichtet, dass diese wieder und wieder überflogen. Es war in der Tat eine her lässige Haltung, und man könnte meinen, der junge Lehrer wäre gerade dabei, die Aufsätze einiger seiner Schüler zu korrigieren. Allein der dünne rote Strich, den sine zusammen gekniffenen Lippen bildeten, und die unnatürliche Blässe, die seine Haut an einem Tag prägte ließen  bereits erahnen, dass etwas nicht ganz in Ordnung war. Auch die hellblauen Augen, die wieder und wieder ruhelos über den Text wanderten, als würde die Person zu der sie gehörten schlicht nicht begreifen konnte, was vor ihm geschrieben stand waren wie im Schock leicht gewietet. Er kam sich beinahe vor wie ein Schüler, der für seine Hausaufgaben recherchierte, dem der Text, aus dem er die Informationen zog jedoch so kompliziert vorkam, dass er ihn immer und immer wieder durchgehen musste, um etwas zu begreifen.

Nun, der Text mit dem Albus es zu tun hatte war eigentlich alles Andere als kompliziert. im Gegenteil, es war mehr oder weniger klar worum es ging. Es war viel mehr die Tatsache, von wem jener Brief stammte, der ihn so um die Fassung ringen ließ. Die Tatsche, dass er von einer Person stammte, die Albus seit mehr als zehn Jahren gesehen hatte- zwanzig Jahre. Wenn er genau sein wollte wusste er, dass es ungefähr zwanzig Jahre her war, seit er ihn zuletzt gesehen hatte. Damals, in Godrics Hollow. Damals, als sie geglaubt hatten, zusammen die Welt verändern zu können. damals, als sein jugendlicher Übermut und seine blinde Liebe zu dem anderen Jungen die Oberhand über seine Vernunft gehabt hatten. Damals, als er geglaubt hatte, dass es zwischen ihnen wirklich ein wir geben könnte. Damals, bevor Gellert verschwunden, gegangen war, und einen Teil von Albus' eigenem Herzen mit sich genommen hatte. 

Albus schluckte trocken. Es schien Ewigkeiten, Jahrhunderte her zu sein, seit all das passiert war. Ewigkeiten seit jenem ungewöhnlich warmen Sommer in Godrics Hollow, Jahrhunderte seit er den Jungen mit den goldblonden Locken kennengelernt hatte, der ihm einst alles bedeutet hatte, und der noch immer seine Erinnerungen- und manchmal seine Träume- heimsuchte. Es war so lange her, dass er sich manchmal dabei ertappte wie er sich fragte, ob überhaupt etwas davon wirklich gewesen war. Ob überhaupt etwas davon wirklich so geschehen war. Doch dem musste wohl so sein, denn der Brief vor ihm war durchaus real, und obgleich sein Verstand sich noch weigerte zu glauben, was seine Augen sahen war unverkennbar, von wem der Brief stammte. Es war kaum zu glauben, ein Teil von ihm wollte es vielleicht auch gar nicht glauben, doch obwohl er diese elegante, geschwungene Schrift zuletzt vor mehreren Jahrzehnten gesehen  hatte, wusste er, dass er sie überall wieder erkennen würde- ganz abgesehen von der Art, wie der Absender des Briefes diesen unterzeichnet hatte. Es gab kaum einen anderen Menschen mit einem solchen Kürzel, den Albus kannte. 

Es war ewig lange her, und doch fühlte es sich nicht so an. Und doch waren seine Erinnerungen so lebendig, dass es schmerzhaft war. Sie schienen wieder zu ihm zurück zu kehren, nachdem er sie ins einen Hinterkopf verbannt hatte, versucht hatte zu vergessen, was damals passiert war- das musste er. Es wäre nicht ratsam, nicht mit der Vergangenheit abschließen zu können, und die Wunde von damals weiter und weiter bluten zu lassen, satt sie zu verbinden. Statt sie zu flicken. Aber hatte er das jemals wirklich getan? Während er mit zugeschnürter Kehle und rasendem Puls vor jenen Zeilen saß, war er sich da nicht mehr so sicher. Er dachte, er hätte damit abgeschlossen, zumindest so gut es ihm eben möglich war. Doch innerlich hatte er es schon immer besser gewusst, nicht wahr?  Er hatte versucht, Gellert aus dem Kopf zu bekommen, und doch war er sich nie sicher gewesen, ob es ihm jemals gelingen würde den Jüngern auch aus seinem Herz zu verdrängen. Ungeachtet dessen, wie alles geendet hatte, ungeachtet dessen, was bis jetzt geschehen war. Ungeachtet dessen, in welche Richtung Gellert sich allmählich zu entwickeln schien. 

The Enemy // GrindeldoreWhere stories live. Discover now