Kapitel 1 - Magie gibt es nicht

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(Das Bild da oben zeigt Rivers Handschuhe/Stulpen. Nicht, dass noch einmal Verwirrungen entstehen, warum Lia die Farbe der Fingernägel sieht, obwohl River Handschuhe trägt.)


Lianne, 16 Jahre.

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„Li-an-ne Thomp-soooon." Wie besessen trommelt meine beste Freundin River gegen meine geschlossene Zimmertür. Als ob ich taub bin.

Genervt verdrehe ich die Augen. „Komm rein, du aufgedrehtes Huhn."

Das penetrante Hämmern hört auf. Endlich. Ich rechne damit, dass sie jetzt die Tür aufreißen und irgendeinen (nicht) spektakulären Stunt hinlegen wird, da erklingt auf einmal das Geräusch auf Holz schabender Fingernägel. Habe ich schon erwähnt, dass River eine Meise hat? Eine sehr große sogar. Ich habe schon überlegt, ob ich ihm einen Namen geben soll, so oft, wie ich dem Vogel begegne.

„Lianne, ich bin nicht dein Vater", haucht sie in bester Darth-Vader-Manier durch mein Schlüsselloch.

„Ach." Mit einem Kopfschütteln schließe ich mein Buch. Eigentlich ist River ein Fan von Horrorfilmen. Warum sie ausgerechnet Star Wars so toll findet, ist mir schleierhaft. Letzte Woche haben wir uns in das super bequeme Wohnzimmer ihrer Eltern gesetzt, die gerade ein Date hatten, und haben uns an der Star Wars-Reihe vergriffen. Wir wollten lediglich wissen, warum alle Jungs so darauf abfahren. Tja, dieser Plan ist auch aufgegangen... so irgendwie. Zumindest für River. Seitdem ahmt sie liebend gern diesen einen Satz nach oder beginnt auf einmal wie Yoda zu sprechen. Gestern erst hat sie es in der Schule gebracht, als sie im Deutschunterricht einen Vortrag über richtiges Sitzen halten musste. Langweiliges Thema, was? Hat River sich auch gedacht und einen auf klein, grün und runzelig gemacht. >Um zu sitzen richtig, auf einen Stuhl deinen Hintern pflanzen du musst< So in etwa hat sie angefangen. Nach wenigen Sätzen hatte sie die Brüller auf ihrer Seite, ebenso wie den säuerlichen Blick unserer Deutschlehrerin, die uns eigentlich zeigen wollte, wie man richtig referiert. Nun, River hat ihr das ideale Negativbeispiel geliefert.

Das quietschende Geräusch einer alten sich öffnenden Tür nachahmend, beginnt der große Auftritt der River Lexington. Ich habe Mühe, mir ein Lächeln zu verkneifen, als ich mich in meinem Sessel zurücklehne und die Show genieße. Langsam öffnet sich meine Tür. Als sie weit genug offen steht, damit man bequem hindurchgehen könnte, schiebt sich ein zierlicher, in einem schwarzen Netzstrumpf gehüllter Fuß in mein Blickfeld. Wie in Zeitlupe folgt der Rest des Beins. Der Oberschenkel wird von einem Rock mit Printmuster verdeckt. Kaum ist das Bein in meinem Zimmer, greift eine schlanke Hand mit blutrot lackierten Fingernägeln nach dem Rocksaum und zieht ihn langsam ein Stück nach oben. Dabei summt River mit ihrer herrlich rauchigen Stimme eine Melodie, die irgendwie in einen Stripclub gehört.

Jetzt kann ich nicht mehr widerstehen. Ein fettes Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus und ich pfeife einmal anzüglich.

Sofort ändert sie ihre Melodie zu „Dadada damm." Das ist dieser bekannte Ausschnitt aus irgendeinem Stück von Beethoven. Augenblicklich wird mein Grinsen noch breiter, weil ich mich an die Diskussion in Musik erinnere. Da haben wir uns mit dem Lehrer darüber unterhalten, wie das Stück wohl heißen mag, aus dem das ist. Einer unserer Mitschüler, Tobias, meinte, er wisse wie das hieße und käme gerade nur nicht drauf. Der Lehrer hat uns dann das richtige Stück genannt und schon das nächste Thema –Tonleitern, würg – angesprochen, da springt Tobias auf einmal von seinem Platz auf und ruft euphorisch: „Der Nussknacker!" Da weiß selbst ich, dass Beethoven das nicht geschrieben hat.

„Im Zimmer vor mir sitzt ein junges Mädchen", stimmt River ein neues Lied an. „Sie sitzt allein und sie scheint hübsch zu sein. Zum Glück kenn' ich ihren Namen und ihr kenne auch ihr Ziel..." mit einem weiteren unheilverkündenden „Dadada damm!" springt sie nun vollends in mein Zimmer.

Unter Magiern: Eisblau [Leseprobe, Entwurf]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt