Viral gehen

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»Das nächste Video muss einfach viral gehen! Sorgen Sie dafür! Wofür um Gottes Willen bezahlen wir Sie und Ihre Abteilung denn, Halberström?«Es war Montagvormittag und mein Chef hatte bereits eine fabelhafte Laune. Er hatte gerade die Marktanalyse von unseren Statistikern reinbekommen und mich direkt zu sich bestellt. Wir hatten jüngst einige Flops hinnehmen müssen und nun ja, die Konkurrenz schläft eben nicht. Unsere Position als Marktführer schien ernsthaft in Gefahr zu sein. Besonders in den heutigen Zeiten, Sie wissen schon. Das Internet, der alte Datenelefant, vergisst zwar nie etwas, in Vergessenheit gerät etwas bei diesen aberwitzigen Content-Strömen aber umso schneller. Was nicht direkt nach Release massenhaft verbreitet wird, also viral geht, wird von diesem Bit-Mahlstrom einfach weggesogen, irgendwo in die Tiefen der Bedeutungslosigkeit des Webs gespült und verrottet dort als Datenmüll. Passiert so etwas mit unseren Inhalten, schrillen in der Chefetage direkt alle Alarmsirenen auf. Und das ist der Punkt, an dem alles auf mich zurückfällt. Einen muss es schließlich treffen, nicht wahr?

Der Montag war an sich gelaufen, dabei hatte er noch nicht mal begonnen. Kaum hatte ich das Büro vom Chef verlassen, wurde ich schon angesprochen. »Halberström! Wusste nicht, dass Sie beim Chef waren. Ich suche Sie schon überall.«Ben Benson, mein persönlicher Assistent, kam in seinem typischen Entengang auf mich zu gewatschelt. Sein mintfarbenes Button-Down Hemd war zerknittert und trotz der Vollklimatisierung bei uns durchgeschwitzt. »Es gibt ein Problem«, sagte er schnaufend und stach mit dem Smartphone in seiner Hand in die Luft.Wann gibt es das mal nicht, dachte ich mir und fragte: »Wo brennt's denn?«»Max ist am Durchdrehen. Er ist heute extrem gereizt und hat sich an Mindy vergangen.«Ich atmete tief durch und rieb mir mit geschlossenen Augen die Nasenwurzel.

Max ist einer unserer Stars. Mit ihm haben wir einige erfolgreiche Episoden gedreht, die aber mal so richtig viral gegangen sind. Außerdem ist Max ein Bonobo und auch unter dem Namen Büroaffe-mit-sehr-schlechtem-Benehmen bekannt. Wilkins vom Editing hat ihn für uns aufgetrieben. So halblegal, wie er zugegeben hat, aber die Generierung von Klickzahlen erlaubt keine Skrupel. Wilkins hat Connections zum Zoll und die greifen manchmal ein paar Irre auf, die exotische Tiere illegal ins Land oder aus dem Land heraus schmuggeln wollen. Die genauen Hintergründe der Story kenne ich nicht, aber Wilkins hat uns Max über irgendwelche alten Gefälligkeiten besorgt und wir haben wie gesagt ein paar erfolgreiche Videos mit ihm produziert (weil er total auf Nikotin abfährt, macht er die verrücktesten Sachen für einen Zug). Als dann aber die Klick-Rate seiner Videos gesunken ist, haben wir Max aus dem Programm gestrichen und eigentlich nicht mehr gebraucht. Losgeworden sind wir ihn aber nicht. Wir wollten ihn über das Internet verkaufen und beinahe hätte ihn auch ein Sohn eines Ölscheichs gekauft, aber der Deal platzte in letzter Sekunde. Also richteten Anita und Mindy für Max ein altes Studio ein, in dem er jetzt wohnt und ab und zu etwas von dem nicht mehr gebrauchten Equipment kaputt schlägt - wenn er nicht mit seinen Fäkalien um sich wirft. Seitdem ist es Aufgabe unserer Praktikanten, Max drogenversetztes Futter durch eine Katzenklappe zu schieben, damit sie nach ein paar Minuten Wartezeit sein Reich oberflächlich säubern können.

Letztens ist dem Chef Max wieder eingefallen: »Wir hatten doch so einen Affen, der alles für eine Zigarette gemacht hat. Sau komisch! Was ist eigentlich mit dem? Steht er zur Verfügung, Halberström?«Da Max ein unangenehmer Zeitgenosse ist und ich keine Lust auf Eskapaden mit einem eingesperrten Bonobo verspüre, hätte ich mir besser eine Ausrede einfallen lassen, aber leider war ich nicht schlagfertig genug gewesen. Und so war eins zum anderen gekommen. Unsere Jungs vom Storytelling hatten Extra-Schichten eingeschoben und heute war der erste Drehtag für eine neue Folge mit Max angesetzt. Die Idee dieser geisteskranken Möchtegern-Schreiberlinge war, Max Russisch Roulette spielen zu lassen. Für jedes Klicken vom Revolver sollte er ein paar Mal an einer Kippe ziehen dürfen. So zumindest mein letzter Stand.

Viral gehenWhere stories live. Discover now