Morgenstund hat Gold im Mund

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Die Sonne schlich bedächtig über den Himmel und vertrieb die rauen Winde der Nacht. Langsam erstreckten sich die orange-gelben Sonnenstrahlen über den Himmel. Keine Wolke zerstörte dieses ausgeglichene blau. Es versprach ein schöner Tag zu werden.

Sie lag zwischen großen Strohballen, welche mühsam zusammen geharkt waren und den typischen Duft ausstrahlten, an den sie sich mittlerweile schon so sehr gewöhnt hatte...so oft hatte sie ihre Nächte schon hier verbracht.
Ihre Augenlider zitterten und schlussendlich öffnete sie diese.
Träge blinzelte sie in die Morgensonne und hielt sich eine Hand gegen die Stirn, um ihre Augen erst einmal an das grelle Licht zu gewöhnen. Was ziemlich komisch war, wenn man bedachte, dass sie auf dem einem Auge vollkommen blind war.
Sie hatte ihr Spiegelbild zwar bisher nur einige Male im Wasser gesehen, doch zumindest wusste sie, wie das 'kaputte' Auge im Gegensatz zu dem Anderen aussah.

Es war wirklich alles andere als schön. Eine lange Narbe zog sich von ihrer Augenbraue abwärts über das Lid, bis hin zum Anfang ihrer Nase. Die Iris selbst war grau und die Pupille darin konnte schon lange kein Licht mehr wahrnehmen. Das dachte sie zumindest. Sie sollte bald eines Besseren belehrt werden.

Alles im Allem sah ihr linkes Auge eben...besonders aus. Sie bevorzugte den Begriff 'besonders', im Gegensatz zu hässlich. Ganz einfach, weil sie nicht an irgendwelche von Menschen erschaffenen Schönheitsideale glaubte.
Doch dennoch wollte sie ihr Auge nicht wirklich präsentieren, die Narbe war ihr egal, aber sie wurde häufig von diesem Auge irritiert. Sie wusste selbst nicht recht wieso, doch manchmal, ganz kurz - für den Bruchteil einer Sekunde, nahm sie kleine Licht Punkte in der vollkommenen Dunkelheit war.
Wahrscheinlich bildete sie sich das einfach ein. Sie war davon überzeugt keinerlei Sehvermögen auf dem linkem Auge zu besitzen und war sich auch sicher, dass ihr Verstand ihr einen Streich spielte. So wie das eben mit dem Verstand von Menschen war: der eine behielt ihn, der andere verlor ihn und der dritte besaß nie einen. Leider war es wohl gerade in der jetzigen Ära der Menschheit so, dass die meisten Menschen ihren Verstand verloren.

Im Moment waren die Wesen der Erde zerstritten. Dank vieler Kriege hatten die 'Humanisten' (so nannte sich die neue Spezies Mensch) über das Zwergenvolk, die Feen und die Trolle gesiegt. Der Frieden der Völker war durchbrochen.
Die Wesen wurden vertrieben, an die dunkelsten Orte der Welt und schworen: Ihr wiederkommen würde bloß Schmerz und Leid hervor bringen. Doch vor einem weiteren Krieg, schien sich niemand der Humanisten Gedanken zu machen. Sie hatten ihre Irrlichter. Aus ihnen extrahierten sie so viel magische Energie wie sie nur konnten und vergeudeten sie auch auf der anderen Seite für Kriege.

Das namenlose Mädchen hatte gerade die Augenbinde festgeschnürt, als sie einen dumpfen Türknall vernahm, sofort sprang sie auf und hechtete auf das einzige kleine Fenster in der Strohkammer zu, aus welchem sie einfach ohne zu zögern sprang. Ein Vorteil des Humanisten: der Körper war eben robuster.
Ihre nackten Füße machten ein platschendes Geräusch, als sie auf den mühsam eingekercherten Steinen , der Straße, landeten.
Aber der Mann, welchem die Kammer gehörte, hatte sie erneut nicht mitbekommen, obwohl sie nun schon gut ein Jahr in dieser Kammer übernachtete. Sie besaß keinerlei Zuhause. Keine Eltern. Sie war ein Waisenkind, was ihr jedoch nichts ausmachte. Das einzige, was sie störte, waren ihre fehlenden Erinnerungen an ihre Kindheit. Sie hatte keine Ahnung, wie sie nach Aurora gekommen war. Eines Tages war sie einfach hier. Einfach so. Wie die Blätter der Wüstenblumen, die durch Wind Kilometer hinter sich gelassen hatten und irgendwann landeten sie und waren eben da, wo sie hingehörten. Mit dem Unterschied, dass die Blätter dort hingehörten. Sie dagegen hatte keine Ahnung, wo ihr Platz war (wenn sie überhaupt einen besaß.)
Fakt war, dass sie nunmal hier war und sie besaß keinerlei Lux-Energie um Aurora zu verlassen. Lux-Energie...also Licht Energie, war die Energie die man gewann, wenn man ein Irrlicht extrahierte.

Irrlichter tauchten leider nur in Stürmen und Gewittern auf, weit über dem Boden der Humanisten. Deswegen segelten die Licht und Sturmjäger mit ihren fliegenden Schiffen in den Himmel, um die kleinen wertvollen Lichter einzufangen und ihre Energie zu extrahieren. Man konnte sagen, was man wollte, doch ohne die Irrlichter Stände die Menschheit nicht über allen Wesen...
Alle rechtfertigten sich damit, dass Irrlichter über kein Bewusstsein verfügten...es war also nicht schlimm, wenn sie durch Menschenhand ihre Energie - also ihre Seele - verloren, und man diese anders einsetzte, um zum Beispiel ein Schiff zum Fliegen zu bringen, oder etwas zu erwärmen.
Ob es nur deshalb gerechtfertigt war, eine Rasse auszulöschen, blieb jedem selbst zu überlassen.

Das namenlose Mädchen zog ihre Kleidung, welche lediglich aus einem Jute ähnlichem Sack bestand, höher und fuhr sich einmal durch die dunklen langen Haare, ehe sie sich in Bewegung setzte und durch die langen Straßen von Aurora glitt, das war eine der großen Hauptstätte der Regionen der Erde.
Aurora war die Hauptstadt von Nebula, das war das einzige, was sie wusste. Die anderen Regionen und Hauptstädte kannte sie nicht. Woher auch? Es gab keine Schulpflicht und ihr weniges Geld konnte sie nicht einfach für teure Landkarten ausgeben.

Es war zwar früh am Morgen, doch die Straßen waren keinesfalls leer.
Viele Humanisten drängten sich an die verschiedensten Läden, wo es beinahe alles gab: Von Trollschweifen für Suppe, bis hin zu Phönixfeder für die schwungvolle Handschrift die manche Humanisten aufwiesen.
Der Unterschied zwischen Arm und reich war riesig. Sie fühlte sich zwischen den gut gekleideten Herren und Damen wie Straßendreck, was jedoch noch lange nicht bedeutete, dass sie den Kopf hängen ließ.
Plötzlich könnte man ein deutliches Raunen von der Stadtmitte vernehmen. Ihr war vollkommen klar, was das bedeutete. Jeder hier wusste es. Spätestens als die Glocken begannen zu schlagen und alle Köpfe sich in die Nacken legten, um staunend in den Himmel zu blicken.
Sie waren da. Die Lichtjäger von Aurora.

Lumière (Deutsch) Where stories live. Discover now