Vollmond

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Es war wieder Vollmond, der Tag, der seit genau vier Monaten bei uns zum Tag des Horrors wurde. Damals bestaunte man noch den Vollmond, doch das ist vorbei, heute haben alle Läden gar nicht erst aufgemacht. Seit Sonnenaufgang werden Fenster, Türen und andere Ein- und Ausgänge der Häuser geschützt, so dass möglichst niemand mehr rein kann. Diejenigen, die bereits fertig damit waren, sitzen in ihren Hütten und warten im Dunkeln darauf, dass der Horror beginnt.

Von Werwölfen und Hexen wurde das Dorf heim gesucht. Keiner kann mehr aus dem Dorf hinaus laufen, niemand. Ist man zwei Meter hinter den äußersten Häusern, kommt es einem so vor, als ob man einfach stumpf gegen eine Wand läuft, sehen tut man jedoch nichts.

Auch ich sitze schon in unserer Holzhütte und hoffe darauf, dass nicht unsere für den Angriff ausgewählt wird, denn dann sind wir verloren. Der Vollmond steht nun seit ein paar Minuten am Himmel und ich kann schon das Heulen der Wölfe hören. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken und jedes Mal wenn ein Heulen ertönt, zucke ich erneut zusammen. Mein kleiner Bruder, er ist gerade mal elf, klammert sich an meinem Arm fest und zittert die ganze Zeit vor Angst. Meine Sinne sind vernebelt vor Angst und ich höre nur noch ein Rauschen. Ich senke meinen Kopf und weine lautlos, immer wieder laufen mir Schauer der Angst über den Rücken, ich umarme meinen Bruder und schwöre mir ihn nicht los zulassen, egal was passiert, ihm darf nichts geschehen, er ist doch noch so unschuldig.

Plötzlich nehme ich das Heulen wieder wahr, jedoch ist es viel näher, sehr viel näher! Im nächsten Moment höre ich, wie etwas Großes und Schweres immer wieder gegen die dünne Holzwand unseres Hauses springt. Da war es wieder, ich umklammere meinen Bruder und kann mich nun nicht mehr davon abhalten zu schluchzten und immer wieder aufzuschreien. Meine Angst überwältigt mich und ich habe nichts mehr unter Kontrolle. Mein Körper spielt vollkommen verrückt. Kurz habe ich das Bedürfnis zu Lachen, doch das verstummt mit dem nächsten Sprung abrupt. Das Holz splittert. Ich sehe wie viele kleine Holzspäne wie in Zeitlupe aus der Wand brechen. Das Holz hat unter dem schweren Wolfskörper nachgegeben.

Ich sehe den Werwolf gerade zum ersten Mal, denn niemand, der ihn gesehen hatte hat bisher überlebt. Er sieht tatsächlich aus wie eine Mischung aus Mensch und Wolf, er besitzt die Reißzähne und generell den Kopf eines Wolfes, jedoch sind die Hinterbeine länger als die Vorderbeine. Er steht aufrecht und hat die Vorderbeine an den Körper gezogen. Sein ganzer Rücken, Bauch und Hinterkopf ist von dichtem dunkelgrauem Fell überzogen. Sein ehemaliges Gesicht wurde dabei jedoch vollkommen außen vor gelassen.

Ich kann den Werwolf nur anstarren, Unglaube wird gerade auf meinem Gesicht zusehen sein, ein Schock, bevor ich los schreie um mich noch enger an meinen Bruder zu pressen, ihn zu schützen. Sekunden später spüre ich spitze, scharfe Zähne in meinem Rücken. Ich schreie so laut es nur geht, nehme nichts mehr wahr als Schmerz, nur Schmerz. Als der Wolfsmann mit seinen Pfoten auf mein Becken tritt spüre ich wie es bricht und schreie noch lauter. Ich nehme gar nicht mehr wahr was um mich herum passiert, weder, dass ich mittlerweile meinen Bruder losgelassen habe und auf dem Boden liege, noch, dass eben dieser sich die Seele aus dem Leib schreit vor Schmerz. Einmal noch beißt der Wolf zu und trifft dabei meinen Nacken, dabei bricht mein Genick.

Am nächsten Morgen finden die überlebenden Dorfbewohner zwei vollkommen zerbissene und zerrissene, blutüberströmte Körper. Ein Bein, so kann man noch erkennen, liegt einige Meter von den Körpern entfernt auf der Straße und jeder der diese verstümmelten, ja fast unkenntlichen Leichen gesehen hat, übergibt sich ins nächste Gebüsch und hofft nach dem nächsten Vollmond nicht genauso übel zu gerichtet irgendwo herum zu liegen.

HorrornachtWhere stories live. Discover now