Mute

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"Herr Min hatte einen Schlaganfall. Sein Sprachzentrum ist davon am meisten betroffen. Das heißt, er wird nie wieder in der Lage sein, zu sprechen."

Das war jetzt genau zwei Monate her. Zwei Monate, in denen ich jeden Tag vergeblich versucht habe, auch nur irgendeinen Ton rauszubekommen. Es hat nie auch nur ansatzweise geklappt und so bin ich jeden Abend weinend eingeschlafen. Die anderen Members kamen und kommen immer wieder zu mir um mich zu trösten. Doch jeder weiß, dass es sich so oder so nicht ändern würde, dass ich sogar bald BTS verlassen muss. Ein Rapper bringt Big Hit kein Geld, wenn er keine Stimme hat. Wenn ich Glück habe, darf ich höchstens noch ein paar Songs für sie schreiben.
Das ist allerdings mein kleineres Problem. Das größere: Ich bin in Jimin verliebt. Und ja, ich weiß dass Schwule in Korea nicht gern gesehen werden und schwule Idols wahrscheinlich erst recht nicht. Ich habe eigentlich endlich genug Mut es ihm zu sagen, nur wie? Noch ein Grund mehr um den halben Tag zu heulen...
"Yoongi-Hyung, kommst du essen? "
Kookie wird sowieso keine Antwort von mir kriegen, dass weiß er. Ich schlurfe mit gesenktem Blick in die Küche, wie ich es immer mache seit dem Schlaganfall. Inzwischen kenne ich jeden Zentimeter des Bodens auswendig.
Als ich aufsehe, bemerke ich, dass nur noch ein Platz frei ist: der neben Jimin.
Ich setze mich hin, und sehe, dass Jin Bulgogi gemacht hat. Bestimmt wollte er mir eine Freude mit dem Fleisch machen, aber ich habe, wie fast immer, kaum Appetit. Hoseok erzählt irgendetwas, was ich nicht richtig verstanden habe, und die anderen brechen in lautes Gelächter aus. Wenn Jimin lacht, werden seine Augen zu schwarzen Schlitzen, und verschwinden fast zwischen seinen Hamsterbäckchen, außerdem sieht man den einen Schneidezahn der sich leicht über den anderen schiebt und ihn zu etwas ganz besonders Süßem. Ich könnte ihn knuddeln, so süß sieht das aus. Aber in genau solchen Momenten fällt mir wieder ein, dass ich nicht mal mitlachen kann, und was noch schlimmer ist, dass er nie wissen wird dass ich ihn liebe, dass ich nie seine Lippen auf meinen spüren werde. Diese perfekten Lippen...
Irgendwann bemerkt er, dass ich angefangen habe zu weinen. "Nicht weinen Hyung!", sagt er und umarmt mich. Ich vergrabe mein Gesicht in seiner Schulter und er wiegt mich wie ein kleines Kind hin uund her. Ich will nie wieder hier weg...
Allerdings lässt er mich kurz darauf wieder los. Ich schiebe den Stuhl zurück und gehe zurück ins Zimmer.
Ich glaube ich bin depressiv geworden, ich habe fast nie gelacht in letzter Zeit. Manchmal habe ich sogar schon drüber nachgedacht, einfach alles zu beenden. Das ist wahrscheinlich auch die beste Idee. Ich bemerke erst, als er mich umarmt, dass mir Jimin gefolgt ist. Ich erwidere seine Umarmung und wir verweilen eine scheinbare Ewigkeit so. Irgendwann gähnt Jimin und fragt, ob er hier bleiben kann übernacht, was ich mit einem Nicken beantworte und er sich daraufhin hinlegt. Ich tue es ihm gleich und warte bis er eingeschlafen ist. Dann stehe ich vorsichtig auf, darauf bedacht, dass er nichts mitbekommt.
'Saranghae, Jimin-ah' schreibe ich auf einen Zettel und lege ihn so hin, dass er ihn sieht, sobald er aufwacht. Ich schleiche aus dem Zimmer raus, schlüpfe in meine Schuhe und verlasse das letzte mal den Dorm. Ich muss leicht lächeln, als ich daran denke, dass gleich alles vorbei sein wird. Ein leichter Nieselregen hat angefangen, der mich leicht frösteln lässt. Bald habe ich die Brücke über den Han-River erreicht.
Ich setze mich auf das Geländer und lasse meine Füße runterhängen. Das Wasser glitzert schwarz. Ich stelle mich langsam hin. Ein kräftiger Wind ist aufgekommen, der meinen dürren Körper ins Schwanken bringt. Auf einmal höre ich Schritte hinter mir, jedoch werde ich mich von niemandem aufhalten lassen, es endlich zu einem Ende zu bringen. Ich atme ein letztes mal ein, als die Person "STOP!" ruft. Ich erkenne Jimins Stimme, doch das ist mir jetzt egal. Ich springe.
Ich höre Jimin erschreckt aufschreien, jedoch ist der Wind in meinen Ohren zu laut, um viel mehr zu verstehen. Die einzigen Wörter die ich noch verstehe sind: Ich liebe dich doch auch, Yoongi.
Doch da ist es schon zu spät. Das Wasser schlägt über mir zusammen und umspült meinen Körper. Wasser füllt meine Lungen und ich merke, wie ich schwächer werde.
Dann ist alles vorbei.

MuteWhere stories live. Discover now