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song: lana del ray feat. barrie james o'neill - summer wine

Jelena meinte keine Grenzen zu haben, als sie ungeschickt mit ihren dünnen, hohen Schuhen die Felsen hinunterkletterte, um den Strand zu betrachten. Die Dämmerung hatte noch nicht eingetroffen, jedoch konnte sie keine Touristen ausfindig machen, sodass sie sich getraute auch relativ ungeschickt, nachdem sie die großen Steine überwunden hatte, auf den Sand zu setzen. Ihr Glockenrock wehte im Rhythmus zu den Meeresströmungen.

Mit einer mühelosen Bewegung entfernte sie sich ihre Schuhe und schmiegte ihren Rücken gegen den warmen Untergrund. Ein Gefühl der Geborgenheit durchströmte sie. Lange hielt sie diese Ruhe aus, bis sie ihren Kopf anhob und endgültig aufstand. Das Wasser erstreckte sich vor ihren Füßen. Jedes dieser Ausführungen vollzog sie mit einer Eleganz, es war schon an ihren Taten abzulesen, aus welchem Familienhaus Jelena stammte.

Sie lächelte.

So fühlte sich also die lang ersehnte Unabhängigkeit an, welche sie erlangt hatte.

Allmählich lief sie die Spuren entlang, die das Wasser hinterließ wenn es an Ufer gestrandet war und wieder seinen Lauf nahm. Nach einer Zeit tauchten hinter den Felsen die italienische Stadt wieder auf, dessen Menschen sie beobachtete. Ristorante tauchte vor ihrem Auge auf in großer Schrift und ihr Herz setzte aus Freude und Seligkeit kurz aus, als sie wieder daran dachte, wo sie sich befand.

Neapel.

Lange war ihre Suche nach einem Weg der sie wieder auf den Gehsteig brachte, weg vom Wasser. Es hatte seine Zeit gekostet, doch jetzt stand sie vor den unzähligen Angeboten, die für ein Land wie Italien ein unabdingbares Kennzeichen waren. Die Restaurants und die Souvenirläden.

Geschickt zog sie ihren großen Hut, der ästhetisch auf ihrem Kopf saß in ihr Gesicht und zeigte somit aller Welt ihre makellosen, manikürten und mit Nagellack überzogenen Fingernägel. Grazil lief sie an den ganzen verlockenden Düften vorbei, bis sie vor einem französischen Weinladen ihre letzten Schritte traf.

Grands vins de Bourgogne.

Ein Stück Heimat zu sehen, überraschte Jelena. Bevor sie sich die Mühe machte in den Laden zu treten, richtete sie sich ihre Bluse und wischte die letzten Sandbestandteile hinweg, fuhr sich mit ihrer Zunge über ihre rot-bemalten Lippen und öffnete die Türe. Man hörte das Klacken ihrer Schuhe auf dem Holzboden, es roch nach frisch poliertem Lack und starkem Cologne.

Vor ihr erstreckten sich große Regale mit französischem Wein, die schwarzen Behälter schienen ihr entgegen und sie versuchte ein paar Schriftzüge auf den Flaschen zu entziffern, bis sie den Kamin bemerkte, dessen Feuer sie illuminierte, überraschte. Diese Art von Ambiente war sie nicht gewohnt. Der Plattenspieler lag unberührt neben dem Kamin, vorsichtig legte Jelena ihre Finger auf die Nadel und setzte sie auf die Platte und zuckte für einen Moment zusammen, als ein Lied den ganzen Raum erwecken ließ.

Komplett von dieser Atmosphäre benebelt setzte sie ihre langen Beine in Bewegung und lief in die hinteren Ecken des Ladens. Kurz darauf nahm sie eine Weinflasche in die Hand und schmunzelte. Ihre Muttersprache abzulesen, französisch, kam ihr in einem Land wie Italien sehr bizarr vor.

»Château Lafite-Rothschild?« hörte sie jemanden fragen und ließ aus ihrer naiven Ängstlichkeit die kostbare Weinflasche fallen. Rote Flüssigkeit triefte nun aus dem kaputten Glas und sie wagte sich erst nach dem Vorfall dem Mann entgegen zu sehen. Er sah sie an und betrachtete die kaputte Flasche nicht, sondern schmunzelte leicht und nickte.

»Diesen Rotwein hätte ich Ihnen auch nicht geraten, Mademoiselle« scherzte er und sah nun auf die Pfütze unter ihren Füßen.

Jelena schluckte und bemerkte wie ihre Finger unkontrolliert anfingen zu zittern, sie öffnete den Mund und versuchte sich zu entschuldigen.

» Ah mon dieu! Pardon, ich- ich wollte das nicht. Wirklich.«

Schnell kniete sie sich zu der Unordnung die sie durch ihre Ungeschicktheit verursacht hatte und versuchte die Scherben aufzusammeln.

Sie wurde während ihrer Tat unterbrochen.

»Mademoiselle?«

Jelena hob ihren Blick.

»Wir kümmern uns darum.«

Zögernd ließ sie die Scherben los und richtete sich auf, roter Wein hatte sich am Ende ihres Rockes als Fleck befestigt. Sie versuchte die Tatsache zu ignorieren und blickte ein weiteres Mal hoch. Der junge Mann, der ihr gegenüber stand lächelte sie kurz an und verschwand dann hinter den Regalen.

Ohne einen weiteren Augenblick vor ihrem Unglück zu stehen, ging sie ihm nach und versuchte ihn aufzuhalten, doch er bemerkte schnell ihre Intention, sodass er ohne Aufforderung sich in ihre Richtung gedreht hatte.

»Es tut mir wirklich sehr leid. Ich bezahle die Flasche definitiv« kommentierte Jelena und zog nun ihren Hut aus ihrem Gesicht und in ihren Nacken, sodass sie dem jungen Mann vor ihr eine Möglichkeit bat ihr in die Augen zu sehen.

Es herrschte kurz Stille. Sie wechselten nur Blicke aus.

Jelena vergaß für diesen Moment die Weinflasche, die Tatsache dass sie diese zerstört hatte, oder das sie in einem sehr luxuriösen französischem Laden der Heimweh in ihr auslöste, einen Plattenspieler dazu gebracht hatte, zu spielen. Sie vergaß alles für diesen einen Moment, als sie sich ansahen.

Ein unheimliches Gefühl der Bekanntschaft und wieder dieses verfluchte Gefühl der Geborgenheit durchschwemmte ihren Körper und ließ sie in kompletter Ratlosigkeit aus. Der Geruch seines exzellenten Eau de Colognes benebelte sie. Sie standen sich gegenüber ohne ein Wort gewechselt zu haben und Jelena überkam es, denn sie wusste: dieser junge Italiener der sie mit wunderschöner französischer Aussprache Mademoiselle genannt hatte, löste etwas in ihr aus. Jelena konnte nicht entscheiden, ob sie diese Emotion einordnen und bewerten konnte, doch ein weiteres Mal blockierten ihre Gedanken ihre Zunge.

»Nein, auf gar keinen Fall. Aber falls Ihre Person Interesse an Wein hätte, könnte ich Sie trotz der Unannehmlichkeiten begleiten und beraten« kam aus ihm und er sprach so gehobenes Englisch, sodass Jelena sofort ein Fazit ziehen konnte:

Er hatte eine Affinität für Sprachen.

Sie kam erst zu sich, als die Türe des Ladens aufging und eine sonnengebräunte Familie hineinkam. Jelena blickte zu ihnen, lächelte sie aus simpler Übereinkunft an und sah wieder zu dem jungen Mann.

»Ich bitte Sie dieses Geld anzunehmen« sprach sie hastig und kramte aus ihrer kleinen Tasche die sie über ihre Schulter geworfen hatte ein paar Scheine hinaus. Ihre langen Finger legten sich kurz auf seine Handfläche, als sie ihm das Papier übergab und lächelte.

Mit schnellen Schritten ging sie an ihm vorbei und auch an der Familie, die sich dem Weißwein gewidmet hatte und verließ für sie das kleine Stück Frankreich. Nun stand sie wieder in der prallen italienischen Sonne und blickte auf sich herab. Ihr grauer Glockenrock war immer noch deutlich sichtbar vom Wein befleckt, es sah grässlich aus und fiel auf.

Jelena atmete tief aus und zog sich ihren Hut wieder in das wunderschön geformte Gesicht. Ihre Haare warf sie auf ihre Schultern und sah noch ein weiteres Mal in den Laden und betrachtete den attraktiven, jungen Mann, der sich mit der Mutter der eingetretenen Touristenfamilie beschäftigte.

»Mademoiselle..« wiederholte Jelena leise lächelnd und lief weiter.

trailer & cover credit:

roIIingstoned

summer wine [au]Where stories live. Discover now