Vom König der Krähen

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Es war ein alter Mann, sein Name spielt keine Rolle, der fristete sein Leben in Armut. Doch es war die Unwissenheit über das Leben - nicht über den Tod, die ihm zu schaffen machte. Sein Bruder, der Gänsehirte war schon gegangen mit dem Tod, Arm in Arm. Und bald konnte er die Schreie seines törichten Bruders über den Fluss schallen hören. Ja, der alte Mann kannte den Tod, der Bruder jedoch nur die trügerische Maske des Todes.
Und so zog er los, um seine letzte Tat zu vollbringen. Tief im Inneren wusste er: Es würde nur Einen geben können - ihn oder den Tod. Und da begang er seinen ersten und letzten Fehler, denn wer mit dem Tod verkehrt, der erreicht nie sein Ziel.
Doch der Glaube des Mannes war stark und er zwang den Tod beinahe in die Knie, denn Gott war ebenso mit den Strategien vertraut.
Doch, banalerweise, starb der Mann nach einigen Jahren unaufhörlichen Kämpfens an Altersschwäche. Und so wurde sein Gott in ein Gefängnis gesperrt, der Schlüssel weggeworfen und seine Existenz vergessen. Und eines Tages kam der Tod zu dem alten Mann, seinem größten, aber besiegten Feind und schlug ihm einen Tausch vor: Dafür, dass er wieder auf festem Boden stehen dürfe, müsse er seine Seele geben. Der Widerstand war noch nicht gebrochen, doch der Tod wollte die Geheimnisse, die im Kopf des Alten warteten. Alsbald überwog die Gier und er brach den Mann und wurde sich seines Fehlers im letzten Moment bewusst: Er brach ebenso den Vertrag mit den Neun, seinen Vorgesetzten, um allmächtig zu werden. Das Allmachtsparadoxon, eine Regel der Neun, verbot die Allmacht. Und so war es der Tod selbst, der sich sein Grab schaufelte.
Der alte Mann, gezeichnet vom Tode, wurde zu den Neun gerufen und ihm wurde eine Aufgabe gegeben. Er sollte die Dunkelheit und andere Mächte überwachen und davon berichten, da er ohne Sinn, Zweck, Seele und Herz wie dafür geschaffen war.
Er nahm viele Formen an: Als Sprecher, Lichtsammler, Hüter oder selten auch als Agent der Neun, doch seine Wahre Gestalt blieb hinter einer Mauer verborgen. Er sollte sie nur zeigen, wenn sich die Dunkelheit oder andere Obszönitäten aus dem Strom der Gezeiten loslösen sollten.

Dieser Tag war nun gekommen und er machte dem König der Krähen Angst, denn es war nicht die Dunkelheit, die dort kam, es war sein Bruder, der nicht mehr vergleichbar war mit dem Wort Mensch. Es war etwas Anderes... viel, viel schlimmeres, das spürte er.

-Auszug aus dem Archiv der Gezeiten

"Es ist schon lange nicht mehr der Tod, der über unser Ableben bestimmt"
-Die Fremde

"Der König der Krähen - was ist an ihm ein König, er hat keine Seele, kein Herz, und kein Königreich und Krähen sind nur dumme Vögel"
- Toland der Törichte

Der König der KrähenWhere stories live. Discover now