Der Anfang der Krankheit

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,,mir geht's gut, Claudia!", sagte ich genervt und  versuchte mein Handgelenk etwas weniger fest zu umklammern. Ich lehnte mein Kopf gegen das kalte Autofenster. Ungläubig sah mich die Betreuerin an:,,Und wieso musste ich dich  dann heut wieder von der Schule abholen?", ihre stimme klang skeptisch und ihre kleinen braunen Augen musterten mich hektisch. Ich überlege. Mist, mir fiel keine Ausrede ein. Ich improvisierte. ,,Naja...ich hatte Kopfweh."Meine Stimme klang etwas dünn und ich hoffte, dass sie es mir glauben würde. Ich konnte unmöglich darüber reden! Sie nickte:,,Na gut, aber du weißt, dass deine Noten darunter leiden werden und denk daran! Heute Zimmerruhe!" Ich nickte. Jetzt begann wieder die übliche Heimkinder-Predikt (jap,ich wohne in einen Heim). Denk an die schule..bla bla...Wie soll das den weiter gehen...bla bla. Das kannte ich alles schon, und ich verspürte nicht die geringste Lust, mir das ganze nochmal Mal anzuhören. In meinem Kopf sang ich meinen Lieblingsong "love will keep you alive* von den
Eagles durch und schaltete vollkommen ab. Erst als Claudias Mund sich aufhörte zu bewegen,  sagte ich was. Das was ich immerhin immer sagte, wenn die Predikt zu Ende war: *Ja, ich weiß* und *du hast recht*. Das stellte die Erzieher zu Frieden, DAS wollten sie hören. Sie wollten nicht hören *das stimmt nicht* oder *das ist falsch*, den das würde ein Ernst zu nehmendes Problem bedeuten. Und was ergibt ein Problem für gewöhnlich? Richtig: Arbeit. Und Arbeit wollte in diesen Heim wirklich keiner haben.
Ich verschwand in mein Zimmer und sperrte mich ein. Wenigstens diese Freiheit wurde uns überlassen. Dort ließ ich mich aufs Bett sinken und rollte mich in meine warme Wolldecke ein.
Die Erzieher hatten Recht. Zumindest in einen Punkt. So geht es nicht weiter. Das wusste ich selbst.

Vor ein paar Jahren wurden bei mir Emetophobie und Depressionen (mittelschweren Grades) diagnostiziert. Es war alles ein schwerer Schock für mich, zu alle dem ich erst 12 war und es mir schwer fiel die gefallenen Begriffe zu verstehen und zu verdauen. Emetophobie äußerte sich damals (bei mir) an regelmäßiger und häufig auftretender Übelkeit, die entweder wieder schnell verschwand oder den ganzen Tag lang anhielt. Ich erzählte meinen Eltern nichts davon (wir hatten nie ein gutes Verhältnis), dafür bekam es die Schule um so mehr mit.
Als erstes fiel es den Lehrern in der Grundschule auf. Ich war vielleicht in der 3 klasse,wenn überhaupt. Im Unterricht bekam ich regelmäßig sowas wie..naja...Anfälle, die sich bei mir in extremen Magenkrämpfen äußerten.  Natürlich bemerkten das die Lehrer und schickten mich meistens ins Krankenzimmer. Dort bettelte und flehte ich darum, dass sie es unter keinen Umständen meinen Eltern sagten. Natürlich war das für eine Dritt-Klässlerin ziemlich  ungewöhnliche,  doch die Lehrer nahmen es hin in fragten auch nicht weiter nach. Irgendwann kam es auf jeden Fall, das meine *Anfälle*  anscheinend zu viel waren für die Lehrer und ich musste mich mit den Rektor unterhalten. Er sagte mir, er müsste wohl oder übel meine Eltern informieren, da die Schule die Verantwortung nicht mehr übernehmen konnte. Natürlich wollte ich nichts verstehen und flehte darum, dass er es nicht tat, doch alles Schreien und Weinen half nichts.  Er musste es trotzdem tun. Wie erwartet waren meine Eltern Stock sauer und ich fing mir (ebenfalls wie erwartet) ein paar saftige Hiebe ein. Ich hatte nie erwartet, dass sie mich wie "normale" Eltern in den Arm nahmen und mir eine warme Wärmflasche machten, aber ich hatte mir gewünscht wenigstens ein bisschen Trost zu bekommen,  doch es half nichts. Natürlich änderte sich nichts an den Situation. Meine Eltern waren genauso widerwärtig wie davor zu mir und meine Bauchschmerzen wurden auch nicht weniger.
Erst als ich aus der Familie rausgenommen wurde und einen Termin bei einer Psychiatrie hat, konnte man herausfinden woran es lag. Mir wurden komische Fragen gestellt, in denen ich allerdings jetzt einen logischen Zusammenhang verstehe:

-Haben dich deine Eltern unterstützt, wenn du dich übergeben hast müssen. also Zum Beispiel, Haare zurück halten und trösten usw..?
   ~nein, eigendlich nicht. Ich habe es                 ihnen meistens auch nicht gesagt.

Warum hast du es ihnen nicht gesagt?
-naja...ich hatte Angst, dass ich ärger bekomme und habe mich halt sehr deswegen geschämt... Also weil ich mich übergeben hab...

-was haben sie gemacht, als du dich übergeben hast?
~naja, wenn sie es mal mitbekommen haben, dann waren sie eher sauer und genervt. Also, dann haben sie mich halt meistens angeschnautzt was das soll und so weiter.

Zu meiner eigenen Überraschung fiel es mir unglaublich schwer über dieses Thema zu reden. Schwerer als es für *normale* Kinder der Fall war. Ich hasste es direkt darüber zu reden. Es war...es war wie als würde man sich darüber unterhalten, wie man sterben könnte. Nach den Gespräch war ich völlig durch den Wind. Ich fühlte mich sehr sehr schlecht und mitgenommen. Man sagte mir, dass es in normalen Familien anders Ablaufen sollte, wenn das Kind krank war. Ich war völlig verwirrt. Meine Familie war doch normal oder nicht?
Damals war ich noch so klein, ich wusste es einfach nicht.

Jetzt weiß ich es: wir waren nie eine Familie. Nie

Emetophobie - Das Unerträgliche LebenWhere stories live. Discover now