Kapitel 1

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Die Blätter fielen langsam auf die Erde, wie kleine bunte Träume, die niemand mehr retten konnte. Der Himmel verdunkelte sich mit jeder Sekunde mehr und auf der anderen Seite des Horizonts verfärbten sich die leicht verzogenen Wolken in ein tiefes Lila. In der Ferne knipsten sich langsam die ersten Straßenlaternen an. Mein Atem lag wie eine kleine Rauchschwade in der Luft. Die letzten Schüler verschwanden auf dem Schlupfweg in dem kleinen Stück Wald und ich folgte ihnen mit meinen Blicken. Der Wind war kalt und er fühlte sich wie Feuer in meinem Rachen an. Ich ließ meine Tasche an den Schultern hinunter gleiten, kramte meinen Schal hervor, zog ihn über mich und hob meine Tasche wieder auf. Mein Blick verfing sich in einem kleinen Blatt, welches mit leichter Kraft von einem dürren Zweig gerissen wurde und tänzelnd zur Erde glitt. Ich dachte nach. Wie es wohl wäre jetzt und hier zu sterben. An diesem wunderschönen Herbsttag. Zwischen all diesen gelben, roten und orangene Bäumen, die aussahen wie gemalt. Die Angst, den Schmerz und all das, was mich zu dem Menschen machte der ich war, zurück lassen. Dort, in diesem perfekten Waldstück. Doch ich entschied mich für meinen iPod, zog ihn aus der Jackentasche und steckte mir die noch angekühlten Stöpsel in meine Ohren. Vorsichtshalber drehte ich mich noch einmal um und stellte zu meinem Glück fest, dass ich der Einzige auf dem Schulhof war. Erleichtert atmete ich auf, öffnete eine x-beliebige Playlist und verschwand dann ebenfalls durch den schmalen Schlupfweg. Eine alleinstehende Laterne, am Rand des kleinen Waldwegs, erhellte die Sicht ein kleines bisschen. Ich vergrub meine eisigen Hände in den Hosentaschen und stolperte den dunklen Weg entlang. Man konnte förmlich spüren, dass die Temperatur immer tiefer sank und ich versteckte die untere Hälfte meines Gesichts in meinem Schal. Es dauerte nicht lange, bis ich das Waldstück hinter mir gelassen hatte und sich langsam die ersten Häuser und die beleuchteten Straßen vor mir errichteten. Ich schlenderte weiter und mittlerweile war der Himmel in ein tiefes Schwarz gelegt. Ein paar einzelne Sterne leuchteten hier und da mal auf. Mein Schritt wurde schneller, denn die Kälte schlich sich unter meinen Hosenbeinen hinauf an meinen Waden entlang und meine Knie fingen an zu zittern, während sich eine Gänsehaut auf meinem Körper breit machte. Ich erhöhte noch einmal das Tempo und rannte nun schon durch die Straßen. Die Tasche peitschte gegen meine Hüfte und die Kälte brannte mit jedem Atemzug mehr in meinen Lungen. Doch es dauerte nicht lange, bis ich das kleine Haus mit der gepflasterten Einfahrt und der kaputten Holzbank erreichte. Zitternd drückte ich auf die Klingel und es dauerte einen kurzen Moment bis die Tür gewaltsam aufgerissen wurde.

"Wo zum Geier ist dein Schlüssel?", fuhr mich Bob an.

"Auf meinem Schreibtisch", gab ich ausdruckslos zurück.

"Vollpfosten!" Er steckte seinen Kopf aus der Tür, spuckte auf den Boden und zog mich dann hinein. "Morgen kannst du draußen erfrieren. Seh ich aus wie dein persönlicher Türöffner?" Ich stellte mir Bobs Kopf vor, wie er an einem Schlüsselbund befestigt rummotzte und grinste breit in meinen Schal. Als er im Wohnzimmer verschwand, atmete ich genervt auf und hing Schal und Jacke an die Garderobe, stellte Tasche und Schuhe darunter und begab mich in die Küche. Dreckiges Geschirr lag in der Spüle und ich krempelte mir die Ärmel hoch, griff nach dem Spülmittel und drehte das Wasser auf. Die Hitze legte sich über meine Hände und sie färbten sich rot. Meine Finger entspannten sich von der Kälte und ich fing nach und nach an die Teller und Gläser zu spülen.

Als ich fertig mit Abtrocknen war, schnappte ich mir einen Joghurt und verschwand danach in meinem Zimmer. Es war nicht groß, aber es hatte Charakter. Die komplette Wand neben meinem Bett war voller Fotos. Fotos, die ich alle selbst geschossen hatte. Mit der Kamera, die ich mir von meinem selbstverdienten Geld gekauft hatte. Ich hatte eine Schwäche für die Fotografie. Eines der wenigen Dinge im Leben, die mich echt glücklich machten. Ich ließ mich auf meinen Bett fallen und löffelte dann sauer den Joghurt aus. Jeden Abend um die gleiche Zeit saß ich dort. Den Bauch voller Hass auf Bob und den Gedanken daran, dass ich bald achtzehn war und endlich von hier weg konnte. Frei sein, mein eigenes Leben auf die Beine stellen und nicht mehr unter irgendwelchen Zwängen leben. Das Einzige was mir fehlte: Geld. Aber ich saß schon lange an einem Plan der mich aus diesem kaputten Loch hier rausholen sollte.

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⏰ Last updated: Dec 13, 2013 ⏰

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Fading Dreams.Where stories live. Discover now