Ich und das blau-gelbe Möbelhaus

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"Ich fahre mal kurz zum Möbelhaus!", die mit Abstand größte Lüge meines 20 Jahre langen Lebens. Ich wollte eigentlich nur "kurz" ein paar Kleiderbügel und Schubladenkästen kaufen, aber wer kauft dort schon nur das, was er braucht? Niemand. Und ich auch nicht.

Doch fangen wir vorne an. Der Stress beginnt bei der Parkplatzsuche. Jedes Mal aufs neue Frage ich mich, ob es etwas umsonst gibt, oder warum der Parkplatz des blau-gelben Möbelhauses IMMER voll ist. "Ach, das verläuft sich da bestimmt.", denke ich und muss über mich selbst lachen. Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt, sage ich zu mir selbst während ich im Eisregen von meinem Auto zum gefühlt 5km entfernten Eingang gehe. Aber wo hätte ich auch sonst parken sollen? Die dichtesten Parkplätze wurden von den Familienkutschen mit den typischen "Chantalle, Jerome und Jaqueline on board" Aufklebern belegt. Ja, Chantalle wurde so geschrieben.

Genervt, nass und durchgefroren betrete ich den Haupteingang des Möbelhauses. Vor mir tat sich die riesige Treppe auf, die zu den Möbelausstellungen führte. "Der Architekt gehört verhaftet.", murmle ich und beginne die unzähligen Stufen zu erklimmen. Völlig außer Atem komme ich oben an und feiere mich innerlich: "Sport - erledigt!"

Aber gut, ich wollte Kleiderbügel und Schubladenkästen. Ich überlege kurz, ob ich mich zuerst mit Hilfe des Plans an der Wand orientieren soll, oder ob ich mich auf den mir von der Natur mitgegebenen Ortientierungssinn verlasse und einfach losgehe.

Ich beschließe letzteres und gehe los. Zielstrebig steuere ich auf die Kleiderschrank-Abteilung zu. Während ich durch die Sofa-Abteilung gehe, entdecke ich immer wieder ein mir bekanntes Modell. Entweder kenne ich es von zu Hause, von meinen Nachbarn oder Freunden. Jeder kommt hier auf seine Kosten. Kurze Zeit später erreiche ich die zweitschlimmste Abteilung der Möbelhauskette - Küchen.

"Planen Sie jetzt ihre Traumküche zum kleinen Preis!", preist das große Blaugelbe Schild über dem Durchgang an. Das schlimme an der Abteilung sind nicht die Küchen, die sind allesamt eigentlich ziemlich ansehnlich. Doch die Kunden bestehen überwiegend aus jungen Paaren die in die erste gemeinsame Wohnung ziehen wollen. Auch heute bekomme ich eine typische von Liebe beeinflusste Küchen-Konversation mit.

Sie schaut ihren Freund mit ihren Rehbraunen Augen an und bettelt: "Schaaaaatziiiii...." Das Beste ist, finde ich, immer die Anrede. Daran merkt man, wie wichtig es einer Frau ist - je länger und quietschiger, desto wichtiger. "Die Küche ist ein Traum! In unserer Wohnung würde sie toll aussehen. Und auch von den Farben her, passt sie voll und ganz in unser Farbkonzept." Und schon wieder eine Lüge - UNSER Farbkonzept. Wahrscheinlich lief die GEMEINSAME Planung wie folgt ab: Er sitzt mit einem Bier in der Hand auf dem Sofa und will in Ruhe Fußball gucken. Daneben, voller Euphorie für ihren Deko-Plan, seine Freundin. "Du sag mal, was hältst du davon, wenn wir unsere Wohnung in Latte Macchiato und Lilatönen Streichen? Guck mal.", piepst sie und hält ihrem Freund den Farbkatalog unter die Nase. Ihr Freund schielt ihr zu liebe mit einem viertel Auge auf die Farben und murmelt: "Mhm."

Das war ein Fehler, denn ab sofort hat er alle Rechte abgetreten, sich in irgendeiner Form über die Farbauswahl zu beschweren oder zu versuchen diese noch zu beeinflussen, denn schließlich hat er ja zugestimmt.

So stehen sie also da. Beide haben einen Plan, aber einer wird verlieren. Er will Geld sparen und am liebsten selbst eine Küche bauen - so wie es sich für einen Mann eben gehört. Und sie? Sie möchte die perfekte Küche viel Luxus, viel Schnick-Schnack und das hat seinen Preis.

"Aber Schatz sieh es doch mal so: Wenn mir die Küche gefällt, dann koche ich doch auch viel lieber. Dann kann ich immer was Schönes für uns zwei kochen.", beteuert sie, legt liebevoll ihre Hand auf seine Brust und ihr Kinn auf seine Schulter.

„Die weiß, welche Fäden sie bei ihrem Freund ziehen muss, um zu bekommen, was SIE will.", denke ich und bin wenig verwundert darüber, dass er eingeknickt ist und die Küche kauft.

Schmunzelnd gehe ich weiter und gelange zu den Schreibtischen. Verzweifelt frage ich mich, wie weit es noch ist, als mir plötzlich mein Schreibtisch ins Auge fällt. Und der meiner Freundin, der meines Freundes und meines Nachbarn. Genau vor diesem Schreibtisch steht eine junge Frau, etwa in meinem Alter und überlegt. Ich zögere nicht lange, gehe zu ihr und sage: „Du, der Schreibtisch ist total toll. Bei mir im Zimmer sieht er ziemlich gut aus." Während ich weitergehe, drehe ich mich noch einmal um und füge hinzu: „Ach, und bei meinen Freundinnen übrigens auch!" Diesen Seitenhieb konnte ich mir nicht verkneifen. Perplex blieb die junge Frau stehen und versuchte das eben Geschehene zu verarbeiten.

Mit schmerzenden Füßen und trockener Kehle erreiche ich – endlich – die Abteilung für Kleiderschränke. Siegessicher steuere ich alle „Wühlkörbe" zwischen den Unterschiedlichen Schrankmodellen an – vergebens.

Dann fällt mir ein, dass der ganze Kleinkram in der Markthalle ist. Genervt und mittlerweile schwitzend gehe ich weiter und zwänge mich zwischen den Menschenmassen so schnell es geht hindurch.

Vorbei an Wohnzimmer- und Esstischen und den Betten. Als ich die Kinderwelt erreiche verlangsame ich das Tempo. Die Gefahr über plötzlich aus dem Nichts auftauchende, schreiende Kinder zu stolpern ist mir zu groß. Beziehungsweise habe ich keine Lust mich mit einer der hysterischen Öko-Muttis anzulegen. Wir wollen ja nicht riskieren, dass Martina der vegane Dinkel-Vollkornkeks mit Apfelstückchen runter auf den aus krebserregenden, mit Bakterien und Schadstoffen belasteten PVC-Boden fällt, oder?

Ich erschrecke mich, als plötzlich eine feuchte, kleine, warme Kinderhand die meine packt. „Wo ist Mami?", fragt mich das kleine Mädchen, mit einem -wer hätte es gedacht – Dinkel-Vollkornkeks in der einen und einer Apfelspalte in der anderen Hand. Nett wie ich bin bücke ich mich zu dem kleinen Wesen hinunter und sage: „Keine Ahnung mein Schatz. Wo hast du sie denn das letzte mal gesehen? Wollen wir mal zur Information gehen und sie ausrufen lassen?"

Postwenden fängt das kleine Mädchen an zu schreien und zu heulen. Alles dreht sich zu mir um. Entschuldigend sehe ich mich um, lächele, mache langsam einen Schritt zurück, als mich eine hysterische, panische Mutter anrempelt und das Mädchen in ihre Arme schließt. „Martina! Wo warst du? Ich habe dich überall gesucht!"

„Ich sollte als Wahrsagerin anfangen...", denke ich und gehe weiter, während ich mir meine Speichelhand an meiner Hose abwische.

Und da ist sie: Die Treppe zur Markthalle. Links daneben eine Rutsche für die Kinder, rechts der Fahrstuhl und ich stehe vor der Treppe. Meine Augen wandern zwischen der Rutsche, der Treppe und dem Fahrstuhl hin und her. „Was solls.", denke ich und zucke mit den Schultern. Ich schaue mich kurz um und rutsche dann die Rutsche hinunter. "YOLO!", brülle ich, reiße die Arme hoch und ein paar der Öko-Muttis drehen sich zu mir um, während sie den angelutschten Dinkel-Keks ihrer Kinder zu Ende essen. Als ich bemerke, dass diese aber nur bis zur Hälfte der Treppe reicht, bereue ich die Entscheidung nicht den Fahrstuhl genommen zu haben. Frustriert krabbele ich durch den Kinderausgang raus zur Treppe.

Unten angekommen trennt mich nicht mehr viel von meinen Kleiderbügeln und Schubladenkästen... Dachte ich...

Während ich am Küchenlöffel MIXA und den Kochtöpfen OUMBÄRLIG vorbeigehe frage ich mich, wer sich eigentlich die ganzen Namen für alle Produkte dieser Möbelhauskette ausdenkt.

Auf meinem Weg zu den Kleiderbügeln begegne ich immer wieder ein paar Pärchen die sich MITTEN AUF DEM WEG gegenseitig verschlingen. „Mein Gott, nehmt euch ein Zimmer, das ist ja ekelhaft.", murmele ich und gehe weiter.

Zwischendurch kommen mir aber auch ein paar orientierungslose ältere Damen entgegen, die wahrscheinlich mittlerweile von ihren (Enkel-)Kindern gesucht werden.

Augenrollend, schwitzend, mit schmerzenden Füßen und Knien gelange ich zu den Duftkerzen. Moment mal... Hätte ich nicht längst an den Kleiderbügeln und Schubladenkästen vorbeikommen müssen?

Ich entschließe mich, eine Verkäuferin zu fragen. In ihren gelben T-Shirts müsste ich sie schnell finden. Dachte ich. Aber weit und breit war keine zu sehen. „Kann ich Ihnen helfen?", fragt eine freundliche Stimme hinter mir. „Äh ja... Ich suche Kleiderbügel..."

„Ach, da sind sie schon vorbei. Die sind vor den Lampen.", erwidert die Verkäuferin und deutet zurück.

Brodelnd vor Wut zwänge ich mir ein Lächeln auf die Lippen und stapfe zurück.

Ich greife nach den Bügeln (ich nehme gleich 6x eine Viererpackung mit, man weiß schließlich nie was noch kommt), nehme noch 2 von den Schubladenorganisationssystemen und steuere auf die Kasse zu. Zwischendurch halte ich noch bei den Kerzen an und klemme mir 4 davon unter den linken Arm und 3 Bilderrahmen unter den rechten. Was ist den ein Einkauf bei diesem Möbelhaus ohne Duftkerzen? Geht das überhaupt? Und Bilderrahmen kann ich auch immer gebrauchen. Vorbei an den SB-Regalen und der Fundgrube, stehe ich dann völlig geschafft an der Kasse und vor mir eine Großfamilie mit vollbepacktem Einkaufswagen. Jetzt bin ich noch genervter. Während mir meine Bügel, Kerzen, Bilderrahmen und Schubladenkästen fast runterfallen und ich einen Krampf im linken Arm bekomme, fängt der Vater vor mir an, sein Kleingeld zusammen zu suchen. 1 Cent, 2€ ein 50ct Stück, dann noch 10 Cent und so weiter - Stück für Stück tastet er sich an die Summe von 807,99€. Es dauerte eine Ewigkeit. Aber ist das ein Wunder, wenn man versucht diese Summe mit Münzgeld zu bezahlen?

Bevor mir alle Sachen runterfallen schmiss ich alles stöhnend auf das Band. Als ich endlich bezahlen konnte und meine Errungenschaften in der blauen Plastiktüte verstaut habe steuere ich auf das Bistro zu.

Gegen den Stress hilft nur noch eins: „HotDog essen!"

Der Alltag und ichWhere stories live. Discover now