Feuerwind und Wassererde

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Hermas P.O.V.

Ich blickte zu Trizy. Meine jüngere Schwester formte etwas aus Erde und Wasser. Ich betrachtete das Kunstwerk aus Schlamm. Es war ein äußerst detailgetreuer, fliegender Vogel. Man könnte sogar die einzelnen Härchen an den Federn erkennen.

Trizy deutete auf die schwebende Skulptur und krümmte einen Finger, um den Nacken nachzubearbeiten.

Nach einiger Zeit war sie fertig. Sie schaute mich an und nickte. Ich klatschte in die Hände, nahm sie wieder auseinander, machte eine Faust, drückte den ausgestreckten Daumen und den ausgestreckten Zeigefinger aneinander, spreizte sie und ließ die Flamme, die sich zwischen den Fingern gebildet hatte, auf den Vogel zusausen.

Das Feuer umhüllte die Skulptur knisternd und rauschend. Ich streckte die Hand aus, spreizte die Finger und machte eine Faust. Die Flamme erlosch.

Trizy und ich hatten diese Kräfte noch nicht so lange, etwa seit drei Monaten. Wir hatten uns schon daran gewöhnt, dass ab und zu mal etwas, was ich anfasste, in Flammen aufging oder dass Trizy manchmal eine Überschwemmung in unserem gemeinsamen Zimmer auslöste.

Ich beherrschte Feuer und Wind, Trizy kontrollierte Wasser und Erde. Manchmal nannten wir uns nicht Trizy und Herma, sondern Feuerwind und Wassererde.

Trizy hob den auf dem Boden liegenden Vogel auf, ließ ihn aber sofort fluchend wieder fallen.

"Der ist ja noch heiß!", fauchte sie mich an. Ich zuckte mit den Schultern. Wir konnten unsere Fähigkeiten eben noch nicht so gut kontrollieren.

Ich schnipste und zeigte auf die Vogelskulptur. Ein Windstoß entfuhr meinem Finger. Vorsichtig berührte Trizy den Vogel. Sie schien zufrieden.

Da hatte ich eine Idee.

"Was hältst du davon, wenn wir die Bewegungen und ihre Wirkungen aufschreiben? Vielleicht hilft uns das, sie zu kontrollieren!"

Trizy nickte und nahm Stift und Papier vom Schreibtisch. Dann schrieb sie:

Trizy: Handvoll Erde in die Luft werfen,

           Erde schwebt. (Wenn keine Erde da,

           Faust öffnen)

           In Hand pusten und Hand nach

           vorne stoßen, Wasser schwebt.

Herma: Klatschen + Hände auseinander +

             Faust + Zeigefinger und Daumen

             aneinander + spreizen + pusten,

             Flamme fliegt.

             Hand spreizen -> Faust, Flamme

             verschwindet

             Schnipsen + auf etwas zeigen,

             kalter Windstoß

             Finger reiben + auf etwas zeigen,

             warmer Windstoß

"Gut so?", fragte sie.

"Ja, das reicht. Gute Nacht."

Mit diesen Worten legte ich mich schlafen.

Trizy rüttelte mich. Ich knurrte.

"Herma, wach auf! Herma!", raunte sie.

Ich ignorierte sie und drehte mich auf die andere Seite.

Sie seufzte.

Einen Augenblick saß ich aufrecht und tropfnass im Bett.

"Trizy!", schrie ich.

Keck guckte sie mich aus ihren braunen Augen an.

"Hörst du mir jetzt zu?", fragte sie genervt.

Als Antwort ließ ich einen doppelgeschnipsten, also eiskalten, Windstoß auf sie zusausen. Die klirrendkalte Luft umfing sie. Sie zitterte und bibberte. Ich zog die Luft zurück, indem ich tief einatmete. Trizy war immer noch kalt, also schuf ich einen Ring aus Feuer um sie.

Dann gab ich ihr eine richtige Antwort.

"Nein." Ich ließ das Feuer verschwinden und legte mich wieder hin.

Mitten in der Nacht piepte meine Uhr. Ich stand auf, zog mir ein T-Shirt und eine Jeans an und rannte zu der Blumenwiese am Waldrand. Die Nacht war mild und die Blumen dufteten, Mit einem Schnipser fing ich den Geruch ein und ließ mich auf einer Luftsäule zurück zum Haus tragen und lief zu Trizys Bett. Dort ließ ich den Blumenduft frei und Trizy nieste und wachte auf.

"Was'n los?", fragte sie total verpennt.

Ich verdrehte die Augen und schoss ihr einen kalten Windstoß mitten ins Gesicht.

"Jetzt wach?"

Sie gähnte. "Ah ja, genau", murmelte sie.

"Richtig, Himmelblau und Feuerstern", sagte ich ungeduldig. "Und jetzt komm, oder willst du hier Wurzeln schlagen?"

Langsam zog sie sich eine kurze Hose und ein Top an, dann konnten wir endlich gehen.

Himmelblau und Feuerstern waren unsere Pegasi. Anfangs, als wir sie das erste Mal gesehen haben, haben wir unseren Augen nicht getraut. Doch sie lebten nun schon drei Jahre in dem nahen Wald und wir suchten sie jede Nacht für eine Weile auf.

Himmelblau war eine Stute. Sie hatte glänzendes, weißes Fell, Mähne und Schweif waren blassblau und wellig. Ihre Flügel waren ebenfalls weiß und wurden zu den Spitzen hin blau. Sie war die Gefährtin von Trizy.

Feuerstern war ein Hengst, sein Fell schimmerte hellgelb. Seine glatte, feuerfarbene Mähne war etwa so lang wie mein Unterarm, sein Schweif reichte bis zum Boden. Die Spitzen seiner Flügel waren pure Flammen, wenn er sie ausbreitete. Zusammengefaltet waren sie "normal".

Nun rannten Trizy und ich zu den beiden. Noch weit von der Lichtung entfernt sah ich Feuersterns Fell durch die Bäume leuchten. Was machte er so weit weg von der Lichtung? Ich hörte sein schrilles Wiehern, etwas war definitiv nicht in Ordnung!

"Das war es, was - ich dir vorhin - sagen wollte. Ich - habe geträumt, dass etwas passiert ist!", keuchte Trizy beim Rennen. "Wieso hast - du mir das nicht gleich gesagt?", antwortete ich.

"Wollte ich ja, aber - du hast mir ja nicht - zugehört!"

Ups.

Da erreichte ich Feuerstern und im Laufen schwang ich mich auf seinen Rücken. Ich hielt Trizy die Hand hin, um ihr hochzuhelfen, doch sie schüttelte den Kopf und rief: "Ich komm nach!"

Feuerstern begann zu galoppieren.

Thubanias Rettung *abgebrochen*Where stories live. Discover now