Prolog

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Hell is other people.

  -Jean-Paul Sartre  

,,Mama!!'', schreie ich angsterfüllt, wobei kleine Atemwolken aus meinem Mund steigen und sich mit der unendlich kalten Luft vermischen, ,,MAMA!''. Ich spüre wie sich einige Tränen heiß einen Weg über meine Wangen zu meinen Kinn bahnen.

Du wurdest gelehrt keine Schwäche zu zeigen! Was eine Schande! hallt die Stimme meiner Mutter in meinem Kopf wieder. Steh auf und kämpfe du unnützes Kind! Du bist ein Oregon!

Es ist so kalt... Meine Lieder flattern immer wieder, aber ich zwinge mich jedesmal dazu, bei Bewusstsein zu bleiben. Ich bin eine Oregon...ich bin eine Oregon... ich wiederhole diesen Satz immer und immer wieder, wie eine unendlich lange Mantra, klammere mich daran, wie eine Ertrinkende, um nicht in das schöne Reich zu gleiten, in welches ich die ganze Zeit gezogen werde. Meine Füße spüre ich schon lange nicht. Sie fühlen sich nicht mehr wie meine Füße an, eher wie Körperteile, die nicht mehr zu mir gehören. Träge blicke ich zurück und sofort peitscht mir kalter Wind ins Gesicht, der meine Augen austrocknet und sie dazu bringt,, noch mehr Tränen zu verlieren. Gerade noch sehe die blutigen Abdrücke meiner Füße im Schnee, bevor sie auch schon von diesem vergraben werden. Vielleicht werde ich auch so enden, bedeckt mit einer Schicht des tödlich weichen Schnees... 

Ich weiß nicht was passiert ist, alle war so schnell, so verwirrend. Sie haben uns überfallen, direkt in unserem Gebiet...

Sie...haben ihn umgebracht.

Ein leiser Schluchzer entfährt mir, als ich daran denke, wie der große schwarze Mann meinen Zwillingsbruder an den Haaren zu sich zog, auf einen nächstgelegenen Baumstumpf drückte und und ihm, mit einer silber Axt und einer schnellen Bewegung, den Kopf von den Schultern trennte. Sein Blick, so angsterfüllt und wie seine Augen langsam matt und leblos wurden, die boshafte Lache des großen schwarzen Mannes. Dieses psychopatische Grinsen, welches sein Gesicht zierte. 

Mit dem Versprechen, dass ich die Nächste sein werde.

Er hat mir seinen Kopf direkt vor die Füße geworfen, wie eine Trophäe, die er mit so viel Stolz zeigte. Wie seine verdrehten, leblosen Augen in meine geblickt hatten und dieser Ausdruck, als würde er mich bitten ihn zu rächen. Ich kriege es nicht mehr aus dem Kopf! Und wie er danach noch das Blut meines Bruders von seiner Axt ableckte. Argh!

Ich kollabiere, ich kann nicht mehr! Mein Bruder...er war so jung! Wir waren so jung! Ich wollte noch so viel mit ihm machen! Keiner hätte erwartet, dass das Bloodlust Canis Pack so plötzlich in unserem Revier auftauscht und alle niedermetzelt, die nicht auf drei schon weg waren. Besonders nicht mein Bruder...

Der Teil unseres Revieres war in nur wenigen Sekunden zu einem Blutbad geworden. Von überall her betäubte das klirrende Geräusch von aufeinander schlagenden Stahl meine Ohren. Die Werwölfe haben schon seit geraumer Zeit der Benutzung von Feuerwaffen abgeschworen. Diese Waffe ist eine Schöpfung der Menschen und wer sie benutzt, ist schwach. Wer sie benutzt, kann nicht mit einer echten Waffe umgehen! 

Mich schüttelte es, einerseits vor Kälte andererseits wegen der Erinnerung. Sein Körper, der langsam zu Seite neigte und mit einem ohrenbetäubend dumpfen Geräusch auf den Waldboden aufschlug. Ich schwanke so stark, dass ich über meine eigenen Füße stolpere und mit einem matten Geräusch auf dem Boden aufpralle. Der Schnee macht die Landung nicht weicher, er macht ihn sogar schmerzvoller. Ich spüre, wie sich die einzelnen Kristalle des gefrorenen Wassers in meine zahlreichen Wunden, die überall über meinen Körper verteilt sind, bohren. 

Einige der Wunden hatte mir der große schwarze Mann hinzugefügt, nachdem er mein Bruder abgeschlachtet hatte, wie ein Reh, welches schon lange im Visier des Jägers war. Er hatte mich an meinem Hals gepackt und hinter den nächstgelegenen Baum geschleudert. Ich war noch zu schockiert von dem was ich noch Sekunden davor gesehen hatte. So merkte ich auch kaum wie er meine Klamotten zerriss und mir mit einer dreckigen Stimme ,,Weißt du was der Vorteil von kleinen Mädchen ist? Die sind immer so unschuldig und süß. Dann ist es immer am geilsten ihre Unschuld zu nehmen! Auch wenn die nur 5 sind, wie in diesem Fall...'' in mein Ohr säuselte, wobei er sich noch kurz über die Lippen leckte. Ab diesen Punkt realisierte ich, was er meinte und sofort hatte ich mich panisch versucht loszureißen. Er hatte nur höhnisch aufgelacht und meine Kleidung weiter zerrissen. Doch nur ein Augenblick später schoss eine Pfeilspitze durch sein Schädel und durchbohrte sein Gehirn, woraufhin er seine Augen verdrehte und leblos zu Boden fiel. Sein Blut spritze mir ins Gesicht, gelang in meine Augen und meinen Mund, jedoch war ich so benebelt, dass ich das gar nicht realisiert hatte. Es war eine so große Genugtuung, dass ich die restliche Welt kurzzeitig ausgeblendet habe.

Jedoch, als mich jemand am Haar packte und mich vom Baum schleuderte, an welchen ich noch Momente zuvor gedrückt wurde, überkam mich wieder die Panik. Als ich dann aber aufschaute, viel mir ein Stein vom Herzen, denn es war unser Beta Lionel. Er schrie mir zu, dass ich laufen sollte und das so weit wie möglich, doch nur eine Sekunde später wurde sein Kopf von einer Silberaxt gespalten. Sein Blut verteilte sich über meinen Körper und vermischte sich mit dem des anderen Mannes.

Ich schrie auf, konnte nicht glauben, noch einen geliebten Menschen verloren zu haben. Sein toter Körper fiel mit seinem vollen Gewicht auf mich und presste mir damit die Luft aus den Lungen und ich konnte deutschlich den metallernen Geruch aufsteigen spüren. Dieser Anblick... so grauenvoll...

Jedoch schaffte ich es mich unter seinem Gewicht irgendwie hervorzuhieven und rappelte mich auf, bevor auch schon meine Füße anfingen zu rennen. Ich rannte schnell ich konnte. Keine bestimmte Richtung, tat nur das was Lionel von mir verlangt hatte.

Die Demonhunters und die Bloodlust-Canis sind schon seit Jahrtausenden verfeindet, jedoch hatte noch niemand jemals gewagt, jemanden im eigenen Revier anzugreifen. Ich spüre wie das kristallisierte Wasser in weitere meiner Fleischwunden dringt, die ich mir noch durch den Lauf durch das Schlachtfeld zugezogen hatte. Mal flog ein Pfeil, der meine Haut zerriss, mal wurde ein Schwert geschwungen, welches dann meine Zellen teilte. Einmal habe ich jedoch etwas gehört, was mich erschaudern ließ. Das Abfeuern einer Pistole.

Langsam gefriert das Blut und stoppt schließlich aus meinen Wunden zu strömen. Mein ganzer Körper wird taub und ich kann mich nicht mehr bewegen. Leise rieselt der Schnee auf mich herunter und umhüllt mich sanft mit seiner tödlichen Kälte.

Ich darf nicht...schlafen... Ich muss weiter... rufe ich mir ins Gedächtnis. Entmutigt versuche ich mich aufzurichten. Jedoch knicken jedesmal meine Arme zusammen. Es ist aussichtslos! Ich kann in dieser Kälte nicht überleben. Ich gebe auf... Letztendlich schließe ich meine Augen, gebe mich dem Verlangen hin.

Der Schnee bedeckt nun meinen ganzen Körper, lässt mich wie ein kleiner Hügel aussehen, der jedoch nicht hierhin gehört. Langsam weicht auch das letzte Stück Leben aus meinem Körper. Erleichtert atme ich das letzte Mal die eisige Luft ein, dann atme ich sie aus...

Das Letzte, was ich höre, sind Schritte, die sich rasch nähern. ,,Sie ist hier! Schnell!'', eine klare Stimme ruft diese vier Wörter...oder sind es doch nur drei? 

Bruder...

DesireWhere stories live. Discover now