Kapitel 1

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Unsicherheit

Ich glaube an Wunder. Wunder sind das Einzige, das alles, in einer alles berechnenden Welt wie dieser, in Nichts auflöst. Vielleicht kommt irgendwann der Tag, von dem an ich alles richtig machen kann. Wenigstens die Dinge, die zählen.

Ich verließ das Haus früh. Der Morgentau an den Blumen und Gräsern glänzte, als würde er mir Zeichen geben wollen. Vielleicht, dass es der richtige Weg ist. Vielleicht, dass ich bleiben sollte. 

Sicherheitshalber riskierte ich einen Blick durch das große Fenster des Schlafzimmers meiner Eltern. Die Gardine war nicht ganz bis unten zugezogen, sondern bildete über der Fensterbank einen kleinen Spalt, durch die die Morgensonne hindurch schien. Das Bett meiner Eltern stand direkt davor, mit dem Kopfende zum Fenster gerichtet. Sie ließen sich jeden Morgen durch die Sonne wecken. Das sei der schönste Wecker, sagte meine Mutter immer. Ich jedoch verschloss mein Fenster immer ganz, sodass es den Anschein hatte, es gäbe in meinem Zimmer gar keins.

Ihre Augen waren noch fest verschlossen. Sich der Sonne abwendend. Mein Vater war ganz unter der Decke verbarrikadiert. Wahrscheinlich verschwendete er wieder seine Gedanken nur an seine Arbeit. Sogar im Schlaf. Sein Vorgesetzter sagte ihm vor Kurzem, seine Arbeit könne er nicht mehr wertschätzen, weil sie einfach zu schlecht sei. Ich komme ganz nach meinem Vater.

Wie in Trance bewegte ich mein Fahrrad durch unsere Gegend. Keine Ahnung, wie früh es war. 

Meine Eltern sagten mir, als sie unser Haus kauften, am wichtigsten sei ihnen die Ruhe. Und ja, hier bekamen sie Ruhe. Die einzige Ruhestörung, die hier gelegentlich auftrat, war eine muhende Kuh oder ein Auto, das sich hierher verirrte. Doch diese Ruhe machte mich verrückt. Ich schob mein Fahrrad immer weiter, bis ich bemerkte, wofür es eigentlich da war.

AbhauenWhere stories live. Discover now