Ein Morgen im Herbst

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Es war einer jener Herbsttage, an denen das noch leicht gefrorene Gras der Wiesen in den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne glitzerte. Die Luft war noch eiskalt, schmerzte beim Einatmen und war verhangen voll Nebel. Ein Stück hinter den weiten Wiesen des Stadtrandes erstreckte sich ein riesiger Wald. Die farbenfrohen Blätter der Laubbäume schmückte den Boden, hier und dort ragten einige Nadelbäume gen Himmel. Der Wald war noch dabei aufzuwachen, außer den Schritten einer Spaziergängerin, die ein leises Knirschen des gefrorenen Laubes erzeugten, war nur das Schnuppern ihres Hundes ein paar Meter weiter zu hören. Die Atmosphäre hatte etwas Friedliches an sich. Der Wald bot an diesem Morgen einen Ort der Auszeit, hier ließ sich der Rest der Welt vergessen, die Zeit stand für einen Augenblick still. Kleine Wolken entstanden dort, wo die Spaziergängerin ausatmete und schließlich ihren Mund öffnete, um ihren Hund zu sich zu rufen. Es war ein ganz gewöhnlicher Befehl, wie sie ihn so oft an einem Tag wie diesem aussprach. Hund und Halterin waren ein eingespieltes Team. Nur an diesem Tag verharrte der Hund, die Nase im Laub vergraben, den Waldboden absuchend, ganz dem Anschein nach, als habe er eine besonders interessante Fährte aufgenommen. Auch ein zweiter Ruf prallte an den Ohren des Tieres ab, stattdessen erhob sich die Rute des Hundes aufgeregt wedelnd, bevor er allen Rufen zum Trotz mit einem Sprung den kleinen Waldweg verließ, den sie entlanggekommen waren und im Unterholz verschwand. Die einstige Stille wurde nun von weiteren, wütenden Rufen zerrissen, unter die sich ein erregtes Bellen mischte. Erst als die Spaziergängerin ebenfalls hektisch ins Unterholz verschwunden und nach einigen Minuten ihren Hund wiedererblickte, den sie dank seines Bellens gut hatte lokalisieren können, stoppten die Rufe abrupt.

Der Hund indes verstummte nicht, gab weiter laut kund, dass er etwas gefunden hatte. Etwas, das einen so eigenen Geruch versprühte, dass er der feinen Hundenase nicht hatte entgehen können. Etwas, das jetzt auch der Spaziergängerin nicht mehr verborgen blieb. Vor ihren Füßen lag eine Frau. Die Fremde hatte ihre Arme zu beiden Seiten ausgestreckt, es sah ein wenig sah es so aus, als habe sie ihre Arme ausgebreitet und sich mit dem Rücken voraus in das Laub fallen lassen. Wie ein Kind, das einen Engel in das Laub formen wollte. Doch die Szene hatte nichts Verspieltes an sich, denn dort wo wunderschöne dunkelbraune Augen in ihren Höhlen ruhten, starrten riesige Pupillen in den Himmel, nur wenige Zentimeter von bleichen Lippen entfernt, die wie zu einem Schrei aufgerissen waren. Ein Schrei, der womöglich nie erklungen war, wenn man die dunklen Male am Hals der Fremden in Betracht zog. Es brauchte keiner suchenden Hand nach einem Puls, keinem Schütteln der Schulter oder einem gesprochenen Wort, um zu erkennen, dass die Fremde tot war. Auch wenn der Ausdruck ihrer Augen etwas Anderes zu sagen vermochte. Die Augen der Fremden waren wild, in ihnen spiegelte sich ein Kampf, der bereits verloren war, der aber so plötzlich ein Ende gefunden haben musste, dass sie wahrscheinlich keine Zeit gehabt hatte, das Ende zu realisieren. Sie hatten direkt in den Tod gesehen und sich ihm mit allem, was in ihr gesteckt hatte, entgegengesetzt. Als endlich ein Schrei ertönte, war es viel zu spät für die Fremde am Boden, als die Spaziergängerin den Notruf wählte, war es schlussendlich nur die Polizei, die eintraf, um den Tatort zu sichern. Zu diesem Zeitpunkt wusste noch niemand, dass dieser Morgen im Herbst nicht nur der Zeuge eines Endes, sondern auch der Zeuge eines schrecklichen Beginns war. Niemand schenkte der kleinen, silbernen Kette mit dem Vogelanhänger zunächst Beachtung, die knapp unter den Malen am Hals der Toten hing. Es wirkte wie ein kleines Detail, dabei war es so viel mehr, nicht nur ein Geheimnis an sich, sondern auch ein Zeichen, dass es sich hier um keinen gewöhnlichen Mordfall handelte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 11, 2021 ⏰

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