Prolog

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Ich habe noch nie überlegt, wie mein Leben enden würde, was auf mich zukommen oder was ich mal aus meiner Zukunft machen wollte. Mein Leben bestand nur aus Arbeiten und am Wochenende Schule. Man konnte es irgendwie mit Knete vergleichen. Ich war so formbar und wenn man etwas fester zudrückte, hinterließ das seine Spuren in ihr. Meine Eltern schlugen mich oft. Und jedes einzelne Mal prägte mich sehr. Nicht nur mein Körper schmerzte, sondern auch meine Selbstsicherheit und mein Selbstbewusstsein litten sehr darunter. Man fühlte sich dann wie ein Tier, das man behandeln und verschieben konnte, wie es einem passte. Oder wie Knete, die man formt und eindrückt und dann zurück in die Dose tut, um diese dann zurückzustellen. Wenn ich mal nicht arbeiten musste, lief ich im Wald spazieren und träumte mich weg. Etwas andere kannte ich nicht. Spielsachen oder Puppen waren viel zu teuer für uns, also musste ich meine Zeit anders vertreiben. Mit Nachdenken zum Beispiel. Aber selbst dafür blieb mir irgendwann keine Zeit mehr. Als ich noch kleiner war, schlich ich mitten in der Nacht aus dem Haus, um dann Barfuß im Wald in Pfützen zu springen, auf Bäume zu klettern oder als Prinzessin in der verfallenen Ruine, die am anderen Ende des Waldes stand, ein rauschendes Fest mit süßen Prinzen zu feiern und dann später ein geheimes Treffen mit diesen unter einer großen Trauerweide, neben der sich auch ein kleiner Teich befand, abzuhalten und dabei verträumt in den klaren Sternenhimmel blicken oder aber auch mit meinen Fantasiefreundinnen eine Teeparty zu veranstalten. Hauptsache ich hatte mal ein bisschen Zeit für mich und musste sie nicht mit anderen teilen. Aber manchmal, wenn der Tag wieder sehr anstrengend gewesen war und mir alle Knochen von dem vielen Arbeiten auf dem Bauernhof weh taten, saß ich einfach stundenlang auf einem morschen Baumstumpf und dachte nach. Ganz lange und über die unterschiedlichsten Themen. Meine Knochen dankten mir diese Pause, indem sie am nächsten Tag dann wieder in Topform waren. Wenn am nächsten Morgen dann die Sonne aufging, versuchte ich immer so leise wie möglich in das Haus zu schleichen, aber jedes Mal war ich so dreckverschmiert und müde von dem heimlichen Ausflügen, dass ich erst zu spät mitbekam, dass meine Mutter (ich hatte keine Ahnung, wie lange sie schon auf mich gewartet hatte) in meinem Zimmer auf mich wartete. Meine Mutter hielt nichts von langen Reden, sondern zeigte mir lieber, was sie von meinen Ausflügen hielt. Meistens am Rücken oder an den Beinen. Es setzte dann so lange Schläge, bis mein Rücken rot und entzündet war. Irgendwann hörte ich dann auf die Hiebe zu zählen. Aber man gewöhnt sich nie daran. Es tat immer gleich weh. Meine Eltern betrieben einen Bauernhof und hatten nicht genug Geld, Angestellte zu bezahlen. Also brauchten sie mich. Ein kleines Mädchen, das kein Geld kostete, tagsüber eine Beschäftigung hatte, und so keine Dummheiten anstellen konnte, passte ihnen sehr gut. Das ich nachts abhaute, überhaupt nicht. Schließlich konnte jemand, der seine Augen vor Müdigkeit nicht mehr aufhalten konnte, nicht die gleiche Arbeit erbringen, wie ein frisch ausgeschlafener Mensch. Dass sie mir regelmäßig meinen Rücken wund schlugen, machte daher keinen Sinn, da mir so jede Bewegung, die ich machte, weh tat. Erklärungsversuche, dass ich mir wenigstens nachts ein wenig Freizeit verschaffen wollte, lehnten meine Eltern entschieden ab. Ihre Welt bestand nur aus Arbeiten, Essen und Schlafen. So etwas wie Spaß, Freizeit, Urlaub oder Hobbys waren für sie Fremdwörter. Jeden Morgen drohten meine Mutter und mein Vater mir damit, meine Zimmertür abzuschließen und das Zimmerfenster von außen zuzunageln, wenn ich nicht drinnen bliebe. Aber zum Arbeiten ließen sie mich raus. Was ich dann wiederrum als Chance nahm abzuhauen. Mich und den Wald zu trennen war eben schwer. Ich liebte so sehr die Natur, das Rauschen der Blätter, die Wärme der Sonne auf meiner Haut, die Erde unter meinen Füßen, dass ich mich von ihr nicht fernhalten wollte. Da wir fast kein Geld hatten, war auch nichts übrig für Schuhe. Dies störte mich aber wenig. Das weiche Gras der Wiesen um unseren Bauernhof, der steinige Weg, der zum Wald führte, das Wasser an meinen Füßen, wenn ich in eine Pfütze sprang, das alles zu spüren, verband mich nur noch mehr mit Mutter Natur. Ich war nicht zu bremsen und erfand jeden Abend kreativere Ausbrechungsmethoden, die meinen Eltern nicht unentdeckt blieben. Also unternahmen sie etwas gegen die Erste und ich entwickelte schon eine Nächste. Jahre lang ging das so weiter, aber als ich dann älter wurde, traute ich mich mehr. Schläge setzte es seit meinem 13. Geburtstag nicht mehr und da ich jetzt begriff, dass sie mehr auf mich angewiesen waren als ich dachte, nahm ich mir auch während des Tages ein bisschen frei und ging regelmäßig Richtung den Bäumen die den Horizont säumten. Ich wollte zwar keine Prinzessin mehr sein, aber mir einen ruhigen Platz suchen und über verschiedene Dinge in meinem Leben nachzugrübeln, brachte mich regelmäßig in meine kleine, persönliche Traumwelt, die ich mir während der letzten Jahre angeeignet hatte und in der ich mein Leben so gestalten konnte, wie ich wollte und nicht mehr an einen Arbeitsplan meiner Eltern gebunden war. Ich konnte mein Leben abwechslungsreich gestalten, mit dem Mann meiner Träume ein Baumhaus in freier Natur bauen, einen Garten mit Obst und Gemüse anlegen, um dieses dann wiederum zu verkaufen, um so mein Geld zu verdienen. Und ich wollte mir unbedingt eine kleine Hütte in meinem Obst- und Gemüsegarten aufbauen, um mir einen Liegestuhl davor aufzustellen und mit einem Strohhut auf dem Kopf und einem Glas Limonade mit Strohhalm in der noch vom in der Erde graben dreckigen Hand auf mein erreichtes Ziel anzustoßen. Aber mit meinen 15 Jahren konnte ich nur davon träumen und die Zukunft war noch so weit entfernt, dass es sich noch gar nicht lohnte, großartig Gedanken zu machen. Aber wer weiß? Vielleicht kommt ja irgendwann der Tag, an dem mein Schicksal beschließt, mich aus diesem Gefängnis zu befreien und mich weit weg von hier mitzunehmen. Ich gebe die Hoffnung nach all den Jahren immer noch nicht auf. Wie er kommt ist unklar. Vielleicht kommt er auf Umwegen oder so schnell, dass ich es gar nicht mitbekomme, aber er wird kommen. Irgendwann. Und dann muss ich bereit sein mitzugehen. Koste es, was es wolle.


Elements - das Element der ErdeWhere stories live. Discover now