Love bites

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Zitternd stand Ariane auf der schmalen Brüstung der Brücke. Es war nicht nur die Kälte und der leichte Nieselregen, die das Bibbern verursachten. Sie wagte nicht, nach unten zu schauen. Auch so wusste sie, dass sich unter ihr eine tiefe Schlucht befand. Die kleine Brücke, auf der sie stand, gehörte zu einem Wanderweg, der sich zwischen dem Wald und einer bekannten Felsformation erstreckte. Früher war sie gern hier gewesen. Genau deswegen hatte sie diesen Ort für ihre letzte Reise ausgewählt, denn einen Sturz aus dieser Höhe konnte niemand überleben. Sie ertrug die Leere in sich einfach nicht mehr und die mitleidigen oder verständnislosen Blicke ihrer Mitmenschen machten es noch schlimmer. Keine Therapie vermochte es, die Dunkelheit zu vertreiben, die seit Andrés Tod Besitz von ihr ergriffen hatte. Mit Tränen in den Augen strich sie über ihren Unterleib. Kein kleines Leben wuchs mehr dort heran. Der Unfall hatte ihr nicht nur den Mann, sondern auch das Kind genommen. Die Narben auf ihrem Körper erinnerten sie jeden Tag daran: Sie würde niemals Mutter werden können. Das war der nächste Schock gewesen, nachdem sie sich halbwegs von ihren Verletzungen erholt und ihr Verstand begriffen hatte, dass sie allein war.

Zwei Jahre waren seitdem verstrichen. Ihre äußerlichen Wunden waren verheilt und sie hatte mit aller Macht versucht, sich ein neues Leben aufzubauen. Doch es klappte nicht. Egal, was sie tat, ihr Herz blieb tot. Nichts konnte ihr mehr Freude bereiten, andere Menschen ertrug sie nur noch in kleinen Dosen. Deren Glück ließ sie nur noch deutlicher spüren, was sie verloren hatte.

Ich will, dass dieser Schmerz endlich aufhört!

„Schon klar, aber musst du so ein Drama daraus machen?"

Die fremde Stimme in ihrem Rücken ließ sie zusammenzucken. Ariane verlor den Halt und kippte in die gähnende Leere vor sich. In diesem Moment wollte sie plötzlich nicht mehr sterben - nicht so. Kräftige Hände packten sie und zogen sie mit einer Leichtigkeit zurück in Sicherheit als wäre sie ein kleines Kind. Unerwartet wurde sie an einen muskulösen Oberkörper gedrückt.

„Was machst du für einen Unsinn?", fragte der Fremde, der ihr gerade einen gehörigen Schrecken eingejagt hatte.

Perplex starrte sie den Mann an, der sie gerettet hatte. Im Dunkel der Nacht konnte sie nicht viel von seinem Gesicht erkennen. Eine Kapuze verdeckte den oberen Teil seines Kopfes und hüllte ihn bis zur Nase in Schatten. Sein Mund war zu einem frechen Grinsen verzogen, was sie eigentlich ärgern sollte. Schließlich war an ihrer Situation rein gar nicht lustig.

„Hat es dir jetzt auch noch die Sprache verschlagen?"

Sofort versteifte sie sich und stemmte sich gegen seine Brust. Dieser Kerl ist unmöglich! „Lassen Sie mich sofort los", forderte sie empört.

Doch er dachte nicht daran und lief stattdessen mit ihr auf den Armen durch den menschenleeren Nationalpark. „Wozu? Damit du dich noch einmal von der Brücke stürzen kannst? Das ist die reinste Blutverschwendung. Wenn du dein Leben unbedingt beenden willst, dann gibt es viel angenehmere Wege. Ich kann dir gern dabei helfen", meinte er vieldeutig.

„W-was?!" Geschockt blickte sie ihn an. Hatte ihr dieser mysteriöse Fremde gerade angeboten, sie umzubringen? Und was sollte das mit der Blutverschwendung?

Ihre offenkundige Fassungslosigkeit brachte ihn zum Lachen. „Ach, wir wollen doch nicht sterben? Umso besser. Du bist viel zu hübsch, um dein Leben wegzuwerfen. Ariane, richtig?"

„Ja, ich ... Woher kennen Sie meinen Namen?"

Der Fremde zuckte unbekümmert mit den Schultern. „Ich hab ihn in deinen Gedanken aufgestöbert."

Ariane wusste nicht, was sie drauf antworten sollte. Die ganze Situation war absurd und fühlte sich surreal an. Vielleicht ist es auch der Schock, schließlich wäre ich gerade fast gestorben. „Wer sind Sie und wo bringen Sie mich hin?", fragte sie, als ihr Verstand langsam zu arbeiten begann.

Kurzgeschichten zum Vernaschen: Love bites - Vanessa CarduieDonde viven las historias. Descúbrelo ahora