Rosenblut

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Prolog

Es war dunkel und, obwohl ich im Auto saß, fror ich. Ich schaute aus dem Fenster und sah im Seitenspiegel die Lichter meiner Heimatstadt dunkler werden. Obwohl sie meine Heimat war, würde ich sie nicht vermissen. Ich hatte nie wirklich Freunde und die, die ich hatte, haben ich nach der Grundschule aus den Augen verloren, weil wir danach auf unterschiedlich Schulen gegangen sind.

„Wir sind da, Abal." Mein Vater öffnete die Beifahrertür und zog mir den Kopfhörer aus dem Ohr, was seinen Effekt nicht verfehlt, denn ich schreckte aus meinen Gedanken hoch. Mein Blick wanderte über den Innenhof eines Anwesens, das mich zugegebenermaßen sehr erschreckte. Denn ich hatte angenommen, dass Dads Freund ein ganz normaler Mann mit einem ganz normalen Haus sei. Aber so wie das hier aussah, war er steinreich.

Warum hatte ich meinen Vater eigentlich nie nach ihm gefragt? Ich hatte den Umzug einfach so hingenommen. Nach dem Tod meiner Mutter erschien mir das nicht sonderlich schlimm. Ich folgte meinem Vater die Stufen zur Eingangstür hinauf, die sich prompt öffnet. „Patti!" Ein großgewachsener Mann stand in der Tür und umarmt meinen Vater lächelnd. Als sein Blick auf mich fiel, wurde sein Lächeln etwas sanfter. „Du musst Abal sein. Freut mich." Er streckte mir seine Hand entgegen und ich schüttelte sie zögerlich. „Deinem Gesichtsausdruck entnehmen ich, dass du noch nicht weißt, wer ich bin?" Das Einzige was ich wusste, war, dass er ein alter Schulfreund meines Vaters war.

„Du kannst mich Vince nennen. Abkürzung für Vincent." Er schien sich gerne reden zu hören und viel zu lachen. Mein Blick wanderte zu meinem lachenden Vater und plötzlich fühlte ich mich fehl am Platz. Wann ich ihn zuletzt lachen gesehen hatte, weiß ich nicht genau, aber es war vor dem Tod meiner Mutter. Ich zog mein Handy aus der Hosentasche, stöpsel meine Kopfhörer ein und beschloss, die Gegend zu erkunden.

Auf meiner Besichtigungstour sah ich viele Blumen, alle möglichen Blumen -Vince schien Blumen zu mögen-, nur keine Rosen. Ich sah Statuen von Leuten, die ich alle nicht kannte, sowie reichverzierte Springbrunnen, in denen kürzlich noch Wasser gewesen sein musste. Und plötzlich war da nichts mehr.

Das Anwesen, das gerade noch hinter mir war, war verschwunden und einem dichtem Meer aus Bäumen gewichen. Durch meine Kopfhörer hörte ich Nick Cave "As I kissed her goodbye, I said, 'All beauty must die' " singen. Ich nahm die Kopfhörer aus meinen Ohren und stecke mein Handy in die Hosentasche. Als ich mich umschaute, lief es mir kalt den Rücken herunter und ich fühlte mich von allen Seiten beobachtet. Auf einmal spürte ich ein Messer an meinem Hals. „Ich kann dich leider nicht weitergehen lassen", säuselte eine Stimme in mein Ohr. „Soltest du dich bewegen, töte ich dich. Soltest du lügen, töte ich dich. Solltest du versuchen wegzulaufen, töte ich dich." Eine Hand legte sich um meine Taille und ich wurde an einen Körper gedrückt. „Frage 1- keine Angst sie ist ganz einfach- Wer bist du?" „Abal." Meine Stimme zitterte und es dauert einige Minuten, bis ich in der Lage war zu sprechen. „Du bist nur ein harmloses Mädchen? Ich dachte, du wärst eine Polizistin. In der Dunkelheit sieht man nicht so gut." Die Hand um meine Taille löste sich, das Messer verschwand von meinem Hals und ich stolperte nach vorne.

Als ich mich umdrehte, blieb mein Herz für einen Moment stehen. Irgendwo hatte ich ihn schon einmal gesehen. Ein Zeitungsartikel, den ich vor zwei Wochen gelesen hatte, tauchte in meinen Gedanken auf. "Zwei Tote....Mord.....blutige Rosen... Messerstiche....Täter....Bild unten" Unter dem Artikel war sein Bild zu sehen. Ich sank auf den Waldboden. „DDu wirst wegen zweifachen Mordes gesucht." Meine Stimme zitterte so stark, dass ich fast kein Wort rausbekomme. Doch der Junge schaute mich nur ausdruckslos an. „Du kommst aus Bristol?" Ich nickte und es folgte nachdenkliche Stille. „Ich bringe dich nach Hause. Aber wenn du etwas ausplauderst, zögere ich nicht, dich umzubringen. Verstanden?" Ich nickte wieder. „Aber wenn du sowieso vorhast mich umzubringen, warum tust du es nicht jetzt gleich?"

Ich hattee so oft darüber nachgedacht, wie der Tod wohl wäre. Aber dass er ein 18-jähriger Junge sein würde, hätte ich nicht gedacht. „Ich töte Menschen nicht ohne Grund. Außerdem brauche ich eine Schlafgelegenheit." „Und wer sagt, dass ich dich bei mir wohnen lasse?" „Ich!" Er grinste mich frech an und ich wusste, dass ich verloren hatte.

Es war eine Woche vergangen, seit ich Leylan im Wald begegnet war. „Worüber denkst du nach?" Leylan lag auf meinem Bett und schaute mich fragend an. „Also? Worüber denkst du nach?" Er strich sich eine Strähne seines dunkelblonden Haares aus dem Gesicht und kurz darauf umspielte ein Lächeln seine Lippen. „Du hast doch nicht vor mich rauszuschmeißen?" „Warum sollte ich dich denn rausschmeißen? Du bringst wenigstens ein bisschen Abwechslung in mein Leben, das sonst nur von Aufstehen, Essen, Schule und Schlafen bestimmt wird." Es herrschte einige Minuten unangenehm Stille, die von der Stimme meines Vaters unterbrochen wurde, der mich aufforderte zum Abendessen zu erscheinen. Ätzend dieses Abendessen.

Als ich nach dem Essen zurück in mein Zimmer kam, war Leylan verschwunden. Stattdessen lag ein Zettel auf meinem Schreibtisch und das Fenster war weit geöffnet. »Zwölf Uhr, Garten« war alles, was auf dem Zettel stand. Ich wusste nicht warum, aber ich stand um 12 tatsächlich im Garten und wartete auf Leylan. „Ich hätte nicht gedacht, dass du kommst. Hast du dir so große Sorgen um mich gemacht?" „Warum sollte ich mir Sorgen machen? Bist du nicht alt genug um auf dich selber aufzupassen?" „Bin ich, aber ich dachte..... Egal, darum geht es jetzt nicht. Ich möchte dir etwas zeigen. Schließe deine Augen und öffne sie erst wieder, wenn ich es sage." Ich befolgte Leyland Anweisung, griff nach seiner Hand und ließ mich von ihm durch die Nacht führen.
Nach gefühlten zwei Stunden öffnete ich, auf Leylans Aufforderung, meine Augen und schaute auf ein London, das ich bis dahin nicht kannte. Londons Lichter ließen die Nacht zum Tag werden.

Ich drehte meinen Kopf zu Leylan. „Warum zeigst du mir das?" „Du hältst mich bestimmt für einen gefühllosen Mörder, der den Sinn für das Leben und alles Schöne verloren hat. Ich möchte dir beweisen, dass das nicht so ist. Ich möchte nicht, dass du mich hasst, weil du die erste Person bist, die ich wirklich gern habe, die mir wichtig ist." „Ich habe dich nie gehasst......Du hast gesagt, du tötest Menschen nicht ohne Grund. Warum hast du dann die beiden in Bristol umgebracht?" Leylan drehte mir den Kopf zu und ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen. „Meine Eltern waren in zwielichtige Geschäfte verwickelt. Eines Tages kam die Polizei diesen Geschäften auf die Spur und nahm meine Eltern fest. Sie sollten gegen gewisse Personen aussagen. Doch bevor es zu der Aussage kommen kinnte, wurden sie erschossen und die Ermittlungen aufgrund von fehlendem Beweismaterial eingestellt. Drei Jahre später haben sie dann den Mörder meiner Eltern geschnappt. Er sagte aus, dass er meine Eltern auf Befehl der Geschäftsleitungs umgebracht habe. Aber die Beweise haben nicht gereicht, um die Geschäftsleitung hinter Gitter zu bringen. Ich habe versucht herauszufinden, wer den Betrieb leitet und bin auf eine Reihe von Namen gestoßen, die damals in die Geschäfte involviert waren. Diese Menschen sollen für den Tod meiner Eltern bezahlen." Einige Minuten verstrichen, in denen niemand von uns etwas sagt. Dann spürte ich Leylans Lippen auf meinen. Es ist ein schönes Gefühl, auch wenn der Kuss unerwartet kam. Wäre da doch nicht dieses rasch näherkommende Sirenengehäule, das die Stille durchbrach und uns daran erinnerte, wo wir waren. Doch trotz des Lärms war das Einzige was ich hörte, Leylans Stimme. „Warte auf mich, mi Rosa." Dann war er verschwunden.

Epilog

Es waren sieben Jahre vergangen, seit Leylan verschwunden war und mich alleine gelassen hatte. Ich wusste nicht warum ich immernoch in London lebte und auf ihn wartete, obwohl ich wusste, dass er ein Mörder war. Wahrscheinlich lag es daran, dass ich in ihm keinen Mörder, sondern nur einen ganz normalen Jungen sah.

Mein Blick schweifte über den Küchentisch und blieb an einer Rose hängen, von der ich mir sicher war, dass sie bis eben nicht dort lag. „Ich bin dich holen gekommen, mi Rosa." Ich drehte mich um und schaute in zwei blaugraue Augen. „Eine Rose ist noch übrig, aber ich habe erledigt was ich erledigen musste." „Warum hast du überhaupt Rosen hinterlassen?" „Jeder Mensch hat das Recht, wertgeschätzt zu werden, auch wenn er tot ist."

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