Ich, nicht Er

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An meine erste Begegnung mit Gras kann ich mich genauso gut erinnern, wie an die letzte.
Beim ersten Mal war ich 15 und ich bin fast durchgedreht vor Angst. Angst vor den Folgen, Angst dass meine Eltern es herausfinden könnten, Angst, nicht cool genug rüber zu kommen, Angst die Kontrolle zu verlieren, Angst mich selbst zu verlieren. Diese Angst habe ich nicht mehr, seit mir klar geworden ist, dass wir eh alle verloren sind. Ein happy end gibt es nicht. Für keinen von uns.

Ich wollte unbedingt auf diese Party am Samstag. Luca wollte mich abholen.
Luca mit den schwarzen Haaren.
Luca, in den ich unsterblich verliebt bin.
Luca, mein erster freund.
Luca, der nie ohne Gras aus dem Haus geht. 
Und dieses Gras brauchte ich. Unbedingt.
Ich hatte seit 3 Tagen nicht mehr gekifft, seit dem Tag, als meine Mutter den Stoff in meiner Jackentasche gefunden hat und mich halsüberkopf in die Klapse schicken wollte.
Ich und mein Vater konnten sie gerade noch davon abhalten, indem ich versprach, nie wieder in die Nähe dieses „Zeugs" zu kommen. Dieses Versprechen war eine große Lüge und das wusste jeder, der mich auch nur  ansatzweise kannte. Keiner versteht, dass kiffen mich runterbringt, mich furchtlos und frei macht,mich erst interessant für ihn machte.
Um 9 Uhr klingelte Luca an unserer Tür.
Ich hatte meine Eltern tagelang bearbeitet und nachdem ich endlich ihre Erlaubnis hatte, konnte ich es kaum erwarten, endlich loszufahren.
Nicht ohne meiner Mutter mit den Sorgenfalten auf der Stirn zum 100. mal mein Versprechen zu geben, weder Alkohol noch Drogen anzufassen, stieg ich in Lucas schwarzen Van. Dass er, wie ich, mit 17 nicht fahren durfte, und das auchnoch stoned, war uns beiden egal. Mehr noch, wir genossen es. Im Nachhinein hätte das bereits mein Todesurteil sein sollen.
„Hab extra was für dich mitgebracht" waren seine Worte, die mich zum Strahlen brachten. Schnell griff er in seine ausgebeulte Jackentasche und hielt mir mit einem schrägen Grinsen das kleine Tütchen unter die Nase.
Ich wunderte mich kein Bisschen, wieso meine Hände zitterten und fing gekonnt an, einen Joint zu drehen.
Lachend stupste er mich an und ermahnte mich, ja nicht Alles ohne ihn zu rauchen. Niemals wäre mir das in den Sinn gekommen, alleine ist es nur halb so spaßig.
So wurden wir zwischen flirten und abwechselnden Zügen an meinem Joint immer schneller. Meine haare wehten im kalten Januar Wind der offenen Fenster und ich schnallte mich ab, damit ich mich von ihm küssen lassen konnte.
Laut der Ärzte war es das, was mir das Leben gerettet hat.
Hätte ich es doch nur gelassen.
ich nahm einen weiteren Zug, da sah ich ihn. Einen wunderschönen blauen Vogel.
Er sah so aus wie einer dieser Eisvögel, von   denen Luca mal so geschwärmt hatte und, als würde er mir zuwinken wollen, schlug er mit einem seiner Flügel und stieg vor unserm Auto in die Höhe. Luca war sichtlich verwirrt von meinem Rufen, er solle schneller fahren, um den Vogel nicht zu verlieren, er trat jedoch trotzdem aufs Gaspedal und so rasten wir über die glatte, verlassene Straße.
Ich drehte bereits den Zweiten, als Luca mir das restliche Gras gemeinsam mit einem kleinen Zettel in meine Handtasche steckte. Als ich danach griff, nahm er meine Hand in seine und ermahnte mich, ihn erst zu Hause zu lesen. Also zog ich den Reißverschluss zu.
Als ich wieder nach oben sah, sah ich gerade noch rechtzeitig, wie der Vogel einen Haken schlug und riss schnell das Lenkrad nach rechts.

Was ich danach fühlte weiß ich nicht mehr.
Es muss kalt gewesen sein, in den gefrorenen See zu schlittern.
Vielleicht habe ich auch nach dem blauen Vogel gesucht, den mir die Drogen vorgespielt haben. Der gar nicht existierte.
Als ich aufwachte war ich dann hier. Von der Fahrt im Krankenwagen und dem Ganzen habe ich nichts mitbekommen, wobei ich als Kind immer in einem Krankenwagen mitfahren wollte.
Jetzt fühle ich mich furchtbar einsam.
Klar, meine Familie war hier und das grässliche kleine zimmer quillt über vor Bildern, Blumen und „persönlichen Gegenständen". Aber auch das lenkt nicht ab von den vergitterten Fenstern und der Tatsache, dass ich mich hier nicht einmal rasieren darf.
Ich bin mir sicher, meine Mutter ist froh, dass ich jetzt hier bin. Wenn es nach ihr gegangen wäre, wäre ich schon viel früher in die Klapse gekommen.
Um sich selbst zu beruhigen erzählt sie dauernd, es wäre besser, dass ich hier bin und mit „professioneller Hilfe" wieder zu ihrer kleinen Tochter werde. Dabei blitzen ihre blauen Augen immer traurig auf und ich sehe, dass auch sie die Wahrheit kennt. Dass ich niemals wieder ihre „kleine Tochter" werde.
Neben meinem bedürftigen Nachttisch, auf dem meine Tabletten stehen, die ich nehmen soll, wenn mich „die Sucht nicht schlafen lässt", liegt meine Tasche. Sie wurde wohl von dem Jogger, der uns 40 Minuten nach dem Unfall fand, unversehrt am Ufer gefunden.
Den Zettel darin habe ich in meinen 3 Monaten hier noch immer nicht herausgeholt, meine Therapeuten reden immer auf mich ein, ich sollte ich es tun.
Dieses mal bemerke ich meine zitternden Hände, als ich nach der Tasche angle und den kleinen Brief auseinanderfalte.
Ich erkenne seine saubere, klare Handschrift, er musste ihn geschrieben haben, als er mal vollkommen bei Sinnen war.
„Ich verspreche dir, eines Tages werde ich dich meine Frau nennen."
Ich merke gar nicht, wie die ersten Tränen laufen.
Ich schreie.
Ich schreie und heule und schlage gegen die Wand, aber der Schmerz hört nicht auf.
Er hört auch nicht auf, als mir das Blut über die Hände läuft, ich vor schreien heißer bin und Pfleger reingestürzt kommen, die sich auf mich stürzen und mich am Boden halten.
Ich hätte sterben sollen.
Ich, nicht Er.

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⏰ Last updated: May 01, 2019 ⏰

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