Lost Soul

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Mary Poppins

Es war eine ganze Weile her, seit sie in London war. Genau genommen waren es 743 Tage und der Wind hatte sich in diesen Tagen von ihr abgewandt. Mary hatte ihren Schwur gebrochen. Sie saß, mit einem Glas Rumpunsch, in ihrer kleinen Wohnung, die sie sich mieten musste, und starrte aus dem Fenster. Doch sie trank nicht. Mary wusste, dass sie nach London zurück musste. Und sei es nur wegen einer Entschuldigung. Mary stellte seufzend ihr Glas ab und stand auf. Sie brauchte frische Luft. Mary traute sich erst garnicht einen Blick in den Spiegel zu sehen, griff nach ihrem Mantel und verschwand zur Haustür heraus. Sie ging gedankenverloren die alten verschneiten Straßen von Southhampton entlang. Was Mary nicht bemerkte war, dass ein Mann ihr folgte. Mary hielt den Blick gesenkt. Es war nichts mehr übrig von der stolzen, perfekten Mary Poppins, das unfehlbare Kindermädchen. Sie blieb vor einem kleinen Cafe stehen, Erinnerungen durchfluteten sie. Der Mann stellte sich neben sie, blickte durch das Schaufenster und schwieg. Mary sah eine Spiegelung, reagierte aber erstmal nicht, bis ihr die Gestalt bekannt vorkam. Sie drehte ihren Kopf zu ihm.

"Bert!", rief sie überrascht. Nun drehte auch er sich zu der eigentlich so bekannten Frau.

"Mary Poppins", lächelte er. Doch sie lächelte nicht zurück. Schuld überkam sie.

"Du solltest nicht hier sein..."

"Ich arbeite hier, Mary. Was machst du hier? Eine neue Familie?" Mary sah wieder weg und schüttelte leicht den Kopf.

Bert überlegte, er wollte sie unbedingt zum Essen einladen doch wusste nicht, ob er genug Geld dabei hätte. Doch er dachte sich, dass es für einen Kaffee reichen würde.

"Lass uns einen Kaffee trinken.", schlug er also vor und zeigte auf das Cafe vor Ihnen. Mary wollte sofort ablehnen, doch sie wusste, dass Bert sich danach wieder schlecht fühlen würde. So stimmte sie zu und sie betraten das Cafe, mit den schmerzhaften Erinnerungen. Mary versuchte unauffällig einen Tisch an der Wand zu bekommen, möglichst weit weg von den Erinnerung und setzte sich mit dem Rücken zum Fenster. Bert nahm ihr davor noch den Mantel ab und hing ihn an einen Ständer. Dann setzte auch er sich und bestellte zwei Kaffee. Mary starrte auf den Tisch, während Bert seine alte Freundin besorgt musterte. Die Mary Poppins, die vor ihm saß, war eine ganz andere. Es war wie als hätte jemand ihr ihre gesamte Würde genommen.

"Wie geht es dir?", brach er dann die Stille. Mary sah auf und ihn leicht abwesend ins Gesicht.

"Es geht...", antwortete sie und versuchte ganz normal zu wirken. Bert seufzte.

"Wie geht es dir wirklich?" Mary antwortete nicht. Sie wollte nicht darüber reden. Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht mit ihm. Obwohl es keinen Weg drum herum gab.

"Was führt dich nach Southhampton?" Nun lief eine einzelne Träne über Marys Gesicht.

"Ich wohne hier." Bert war überrascht.

"Du hast ein Eigenheim?" Mary nickte leicht.

"Und du?", stellte sie die Gegenfrage.

"Nun, wie gesagt: die Arbeit. Eine Firma hat hier geöffnet für Künstler und ich habe eine Festanstellung.", lächelte er stolz.

"Wie schön." Mary versuchte wirklich sich für ihn zu freuen, doch es fiel ihr schwer. Leider bemerkte Bert dies sofort. Er legte seine Hand auf ihre und drückte sie leicht.

"Du kannst mit mir reden, Mary. Dich bedrückt doch etwas. Was ist es?"

Mary schwieg. Die Schuldgefühle überfielen sie und sie fühlte sich unwohl.

"Nicht hier Bert.", sagte sie dann schließlich. Bert seufzte.

"Mary, ich kann dir nicht helfen, wenn du nicht mit mir redest." Sie sah ihn wieder an, tränenverschmiert.

"Ich kann nicht.", hauchte sie. Der Kellner brachte Ihnen ihre Kaffees und verzog sich eilig wieder.

"Du kannst. Ich glaube daran. Wo ist die Mary Poppins in die ich mich verliebt habe? Die perfekte, stolze, lächelnde und strenge Mary Poppins?"

"Sie ist mit ihm gestorben.", erwiderte sie nur.

"Danke für den Kaffee, Bert." Ohne auch nur einen Schluck getrunken zu haben, stand sie auf, schnappte ihren Mantel und verließ das Cafe. Bert bezahlte schnell und lief ihr hinterher. Irgendwas stimmte da ganz gewaltig nicht. Bert rief die leere Straße entlang, sie hatte dann doch ein wenig Vorsprung.

"Wer ist gestorben, Mary?" Mary Poppins reagierte nicht. Sie ging weiter die Straße entlang, wollte der Situation entfliehen.

"Mary! Bleib stehen!", rief er ihr nochmal hinterher. Diesmal reagierte sie und blieb stehen. Er holte langsam auf und stellte sich hinter sie. Er sagte nichts. Er wusste, dass er nichts sagen musste.

"Er ist gestorben, Bert... Unser Sohn..." Sie sprach ganz leise. Bert hatte sie beinahe nicht verstanden. Er erstarrte bei ihren Worten. 'Unser Sohn', klang es noch nach.

"Du..." Nun drehte sich Mary zu ihm um.

"Ja, Bert!", fuhr sie ihn an.

"Ich habe einen Sohn geboren. Er wäre heute ein Jahr alt geworden, Bert." Ihre Gesichtsmuskeln verzogen sich zu einer Grimasse. Es tat weh. Es war das erste Mal, dass sie über ihn sprach. Bert stockte kurz. Er hatte einen Sohn gehabt. Mary konnte sein Gesicht nicht mehr sehen. Die Schuld fiel über ihr zusammen. Sie drehte sich wieder um und ging eilig davon. In dem Moment reagierte Bert.

"Wieso hast du mir nichts von ihm erzählt?" Mary hielt wieder an. Ihr Herz brach ein weiteres Mal, als sie die Enttäuschung aus seiner Stimme heraushörte.

"Ich hatte Angst..."

"Aber wovor? Dass ich dich abweisen würde? Mary, ich liebe dich!" Mary nickte. Sie wusste, dass Bert mehr als ein Freund war, sonst hätte sie auch nie mit ihm geschlafen.

"Er hatte eine Lebensdauer von 13 Tagen, Bert. Ich wollte dir das nicht antun." Tränen liefen nun unaufhaltsam über ihre Wangen und dann verschwand sie. Bert blieb einfach stehen. 

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