Auf der Suche nach einem Stück von mir selbst

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Ein neues Jahr beginnt und wie viele Menschen stürze auch ich mich voller Tatendrang in meinen Neujahrsvorsatz: Einmal in der Woche schwimmen gehen. Easy! Voll machbar, denke ich, zumal der Weg zum Schwimmbad echt nicht weit ist.

Die größte Hürde, dass tatsächliche losgehen, war geschafft.
Ich verlasse die Wohnungstür und schlendere los. Ohne Kopfhörer, alleine mit meinen Gedanken, alleine mit mir. Ich höre mich aufgeregt plappern, ein Gedanke überrollt den Nächsten. Ich bin nicht oft mit mir alleine, suche ich mir ja ständige Ablenkung, durch Musik, Netflix, an guten Tagen, ein Buch. Irgendwie macht mir das, mir selbst Begegnen Angst. So finde ich Auswege, flüchte vor mir selbst, ohne genau zu wissen wovor. Kunststück.

Karte reinschieben, und ab durchs Drehkreuz. Da stehe ich also im Flur der Umkleide. Eine halbe Ewigkeit war ich nicht mehr schwimmen. Die gleiche Ewigkeit in der ich mich vorgenommen hatte das mal wieder zu tun.
Die Heizung ist auf gefühlte Sauna Temperatur hochgedreht, was es mir erleichtert mich aus meinen dicken Wintersachen zu puhlen und meinen Bikini anzuziehen. Ich komme mir nackt und angreifbar vor. Raus aus der Umkleide treffe ich auf dem Weg zu den Duschen die erste ältere Dame, die sich schon lange keine Gedanken mehr über Blicke der Anderen machte. Sie zog sich um. Mitten im Gang. Einfach so.
Muss man erst alt, faltig und (hoffentlich) weise werden um, Blicke nicht mehr zu analysieren, und über Gedanken der Anderen zu spekulieren?
Nein, natürlich nicht. Noch während ich unter der Dusche stehe erfasse ich den Entschluss mich von dieser Begegnung inspirieren zu lassen. Nicht lange, denn dafür ist das Wasser was da aus dem Duschkopf auf mich nieder prasselt kalt und ganz ehrlich ein bisschen zu nass.

Ich stehe mit halben Fuß in der Schwimmhalle. Überlege ob ich an diesem Punkt nicht doch noch umdrehen könnte.
Jetzt wage ich die Schritte zum Becken. Stelle mir vor, dass mich mindestens fünf Augenpaare abscannen und ihnen meine Unsicherheit dabei nicht entgeht. Das Wasser ist warm und schützt mich behutsam vor meinen Spekulationen.
Lebendig, erfrischt und voller Eifer atme ich tief ein und setze zum Tauchgang an. Es tut gut. Gut hier zu sein, endlich. Gut, meine eingerosteten Glieder der Unendlichkeit entgegen zu strecken.
Das Treiben unter Wasser zu beobachten, mit meinen Fingern den Grund des Bodens zu berühren. Sauerstoff in meinen Lungen zu wissen, der mich mindestens 3 weitere befreiende Schwimmzüge tragen wird.
Und so vergeht Zug um Zug, Bahn um Bahn und das manövrieren um die Sportlerin, den Rentner und andere Neujahrsvorsätzige. Das Becken war einfach zu klein für uns alle.
Und meine Gedanken... Zu laut für mich.
Du, die Leute die eine Schwimmbrille tragen können dich unter Wasser sehen, dass ist dir klar ne? Wahrscheinlich ist das der einzige Grund warum Taucherbrillen erfunden wurden. Um zu gaffen...

Ähh und DIR ist schon klar, dass du nicht der Mittelpunkt des Beckens bist? Du brauchst dir nicht einbilden, dass du für irgendjemanden hier besonders bist. Eigentlich ein beruhigender Gedanke.

Vielleicht liegt es daran, dass ich so selten mit mir alleine bin. Vielleicht ist es eine Frage der Übung. Liebevoll möchte ich mich erden. Prüfe woher die Auswüchse meiner Unsicherheit kommen und stelle nicht zum ersten Mal fest, dass diese Wurzeln sich einen weiten Weg in die Abgründe meines Herzens gegraben haben.

Ich möchte nicht erst alt und faltig sein, um die ewige Spekulation, durch eine gesunde selbst beobachtende Haltung mit Gedanken, die sich nicht in den Köpfen der anderen verlieren, zu ersetzen. Das liegt am Bikini. An dem Gefühl der Nacktheit. Außerhalb des Schwimmbads kalkuliere ich verächtliche Blicke und verurteilende Gedanken ein und kann damit gut Leben. Manchmal tragen mich die verklemmten Perspektiven Anderer, weil mir wieder vor Augen gehalten wird, wie widersprüchlich die Gesellschaft ist. „Wir sind ein Wunder doch behandeln uns wie ein Produkt und sind enttäuschen, weil Jeder nur auf unsre Packung guckt." (Zitat aus dem Song: -Gelernt- von Shaban & Käpt'n Peng)

Kühle Luft umweht meine Haare, füllt meine Lunge und lässt mich den Reisverschluss meiner Jacke noch ein kleines bisschen weiter nach oben ziehen. Ich fühle mich gut, energiegeladen und wünsche mir, dass zu wiederholen. Egal, wie unruhig ich sein werde, schließlich würde es mit jedem Mal etwas besser werden und ich bin mit mir selbst endlich mal allein.

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⏰ Last updated: Oct 05, 2019 ⏰

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