Best Of Me - Part 1/2

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„It was raining, It was snowing. But all unhappiness stopped.
You brought heaven to me. Don't speak so easily.
Because without you, there's no me.
You're the best of me."


„Herzlichen Glückwunsch zum bestandenen Schulabschluss, Jeon Jungkook", rufen meine Hyungs im Chor und heben ihre mit Champagner gefüllten Gläser in die Luft. Klirrend stoßen sie an und prosten erst mir und dann einander lachend zu.
Ich sitze an der Stirnseite des langen Tisches in dem Restaurant, welches ich mir zur Feier des Tages aussuchen durfte, und nippe zögerlich an dem prickelnden Getränk. Es schmeckt ungewohnt bitter, daher schiebe ich es schnell und von den anderen unbemerkt Jimin zu. Er sitzt direkt neben mir an der Ecke des Tisches und hat sein Glas bereits in einem einzigen großen Zug geleert. Er lächelt mir zu, als er die Hand an meinen Hinterkopf legt und mir wild durch die Haare wuschelt, während er bereitwillig und wie selbstverständlich sein Glas mit meinem tauscht. Prompt nimmt er einen großen Schluck daraus und stellt es schließlich mit einem genüsslichen Ausruf vor sich ab. Ich frage mich, was ihm an diesem Zeug so gut schmeckt, und verziehe angeekelt das Gesicht.
„Heute lassen wir es so richtig krachen", ruft Jin und klatscht aufgeregt in die Hände. „Wir sind alle so stolz auf unseren kleinen Maknae!"
Die anderen pflichten ihm lauthals bei und heben erneut ihre Gläser. Die Stimmung ist ausgelassen, obwohl bisher noch wenig Alkohol geflossen ist.
„Es ist Zeit für unser Familienfoto", sagt Jin mit lauter Stimme über den hohen Geräuschpegel hinweg und springt von seinem Platz auf, um die Kamera auf der mir gegenüberliegenden Seite des Tisches aufzustellen. „Wir machen es so, wie zu deiner Einschulung. Das wird eine großartige Gegenüberstellung abgeben."
Als ich vor drei Jahren meinen Schulbeginn an der „School of Performing Arts" angetreten bin, saßen wir auch genau hier an dieser Stelle und haben ein Erinnerungsfoto geschossen. Aus Nostalgiegründen habe ich für den heutigen Anlass dasselbe Restaurant wie damals ausgewählt.
Jimin rückt näher an mich heran, wirft locker den Arm um meinen Hals und formt mit den Fingern das „Victory-Zeichen". Ich spüre, wie meine Wangen heiß werden. Genau wie damals. Verlegen schaue ich in die Kamera, als Jin den Countdown startet und an seinen Platz zurückeilt. Der Blitz trifft mich wie ein Schlag und ich blinzle mehrere Male gegen den dunklen Fleck vor meinen Augen an, während Jin erneut aufspringt, um den Vorgang zu wiederholen. Zur Sicherheit, falls eines nichts wird, machen wir aus Gewohnheit immer mindestens zwei Aufnahmen und ich befürchte, dass ich danach für den Rest des Abends blind sein werde.
Ein normaler Schüler hätte diesen Tag wohl mit seinen Eltern verbracht, doch als Person des öffentlichen Lebens kann ich mir nur selten den Luxus erlauben, meine Familie zu besuchen. Sie sind zwar auf der Zeremonie gewesen, doch damit möglichst keine Aufmerksamkeit auf mein Privatleben gelenkt wird, war es mir nicht gestattet, den Ort mit ihnen zu verlassen. Ich bin dennoch froh und dankbar, dass ich heute Abend hier mit meiner „anderen" Familie zusammen sein und die gemeinsame Zeit genießen kann.
Nur langsam lässt Jimin seinen Arm von meinen Schultern gleiten. Dabei streicht er mir mit den Fingerspitzen über den Nacken und zwickt mich in den Hals, was ich mit einem scheuen Blick und zögerlichen Lächeln in seine Richtung kommentiere, ehe ich versuche, den Gesprächen der anderen zu folgen. Aus den Augenwinkeln kann ich erkennen, wie sich seine Lippen zu einem schiefen Grinsen verziehen.
„Also, Jungkook-ssi, da du jetzt erwachsen und kein Schüler mehr bist, hast du sicher große Pläne für die Zukunft. Erzähl deinen Fans, wie du dich fühlst." Hoseok wedelt mit der Kamera vor meiner Nase herum.
Verwirrt von dem plötzlichen Interviewbeginn schaue ich mich hilfesuchend um und reibe meine Hände nervös über den Stoff meiner Jeans.
Als ich zu sprechen beginne, halten die Hyungs ihre Gläser als Mikrofonersatz vor mein Gesicht. Jimin wuschelt mir erneut durch die Haare und nickt mir bestätigend zu. „Also, da ich jetzt kein Schüler mehr bin, werde ich die neugewonnene Freizeit dazu nutzen, um noch härter an meiner Stimme und meinem Tanz zu arbeiten."
Die anderen geben übertriebene, anerkennende Laute von sich und heben ihre Gläser höher, sodass ich kaum noch darüber hinwegschauen kann.
„Ich will bald so erwachsen sein, wie meine Hyungs", beende ich schließlich meine Rede in einem deutlich ironischen Unterton und lache verlegen auf. Wann immer wir so ausgelassen zusammensitzen, können sie es einfach nicht lassen, mich zu necken und zu ärgern. Doch das macht mir nichts aus, denn ich tue es ihnen gleich, wann immer ich die Gelegenheit dazu bekomme.
Das Verhältnis zu meinen Hyungs ist ungezwungen, mehr brüderlich. Auch wenn sie natürlich jederzeit ein Auge auf mich haben, da ich der Jüngste in der Gruppe und somit das Nesthäkchen bin, lassen sie mich oft meinen Spaß haben und bremsen mich nur selten. Selbst unser Ältester ist mir gegenüber meist sehr nachlässig und schimpft so gut wie nie, egal wie frech ich zu ihm bin. Ich bin ihnen dankbar für das, was sie für mich tun, und dafür, dass sie sich so gut um mich kümmern, doch ich sage es ihnen viel zu selten. Es liegt mir einfach nicht, meine Gefühle in Worte zu fassen. Mit meinen Neckereien versuche ich, es ihnen zu zeigen, doch ich bin mir nicht sicher, ob das auch so bei ihnen ankommt, wie es sollte.
Zufrieden mit meiner Antwort beendet Hoseok die Aufnahme und legt die Kamera wieder beiseite, als endlich das bestellte Essen eintrifft und die eh schon alberne Stimmung auf den Höhepunkt katapultiert. Wir essen reichlich und feiern ausgelassen, bis es draußen bereits vollständig dunkel geworden ist. Ich weiß nicht, wie viele Champagnerflaschen schon geleert wurden, doch den Gesichtern der anderen ist deutlich anzusehen, dass es bereits zu viele waren. Ihre geröteten Wangen glänzen im gedämmten Licht.
Jimins Blick ruht glasig auf meinem Gesicht, als er näher rückt und den Arm um meine Taille legt. Der Geruch von Alkohol kommt mir entgegen, gemischt mit dem Duft seines herben Parfums, und ich ertappe mich dabei, wie ich einen tiefen Atemzug davon in mich aufsauge.
„Wir sollten jetzt ein paar Fragen vorlesen, die die Fans an Jungkookie gerichtet haben. Hobi Hyung, reich mir mal die Kamera", ruft er lachend, nimmt die Kamera entgegen und startet sofort die Aufnahme viel zu nah vor meinem Gesicht.
Taehyung hat bereits sein Handy gezückt und die Umfrage geöffnet, die unser Label zu diesem Anlass gepostet hat. Von Beginn unserer Karriere an sind wir immer sehr aktiv auf sämtlichen sozialen Netzwerken gewesen. Der Kontakt zu unseren Fans ist uns extrem wichtig. Wann immer wir etwas zu feiern haben, sorgen wir dafür, dass wir daraus eine Menge Material für sie zusammenbekommen, welches Yoongi anschließend mit dem Team vom Schnitt in ein kompaktes Video zusammenfügt.
„Es sieht so aus, als wäre das die Frage, die die Fans am allermeisten beschäftigt", sagt Tae schließlich, nachdem er einige Sekunden auf den Bildschirm gestarrt und zügig durch die Massen an Nachrichten gescrollt hat. „Wie groß bist du?"
Augenblicklich brechen die anderen in Gelächter aus und klopfen ihm auf den Rücken, während Yoongi, der eher selten für Albernheiten zu haben ist, den Kopf schüttelt und sein Gesicht fast schon verzweifelt in den Händen vergräbt.
„Wahnsinnsauswahl, Kim Taehyung, Meistermoderator. Ich bin so stolz auf meinen Dongseang." Jin springt auf und beugt sich weit über den Tisch, um Tae anerkennend und gespielt gerührt die Hand zu schütteln, welcher sofort darauf anspringt und sich mit einem selbstgefälligen Grinsen auf die Schulter klopft. In Momenten wie diesen habe ich das Gefühl, dass meine Hyungs noch sehr viel kindischer sind, als ich es jemals sein könnte.
Plötzlich richten alle ihre Blicke auf mich. Verwirrt über diese unerwartete Aufmerksamkeit schwindet das Grinsen aus meinem Gesicht und ich schaue irritiert zwischen ihnen hin und her. Meine Augen sind vor Schreck geweitet. Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich diese Frage tatsächlich beantworten soll.
„Na, sag schon: Wie groß bist du?" Jimins Gesicht schwebt samt Kamera viel zu dicht vor meinem. Ich kann fühlen, wie meine Ohren heiß werden, als er mir in die Seite knufft und mir das Blut in den Kopf schießt. Er duftet unheimlich gut.
„Ähm", beginne ich zögerlich, „ich glaube um die ein Meter siebenundsiebzig."
„Unglaublich, wie groß unser Maknae geworden ist!" Jimin streicht mit der Hand, die gerade noch an meiner Taille lag, meinen unteren Rücken entlang, legt sie auf meinem Oberschenkel ab und drückt mich kurz und fest. Mein Blick huscht scheu in seine Richtung. Ein schelmisches Lächeln ziert seine vollen Lippen und ich ertappe mich dabei, wie mein Blick sich instinktiv einige Sekunden daran heftet. Hastig wende ich mich ab und hoffe, dass niemand etwas bemerkt hat. Die Hyungs kommentieren meine Antwort mit anerkennenden Lauten und Jimin drückt erneut meinen Schenkel. Er hat es natürlich bemerkt.
Mein Blut rauscht in den Ohren und mein Herz schlägt kräftig in der Brust, als mich plötzlich die Nervosität überkommt. Jimin mustert provokant mein glühendes Gesicht, doch ich bin nicht im Stande, mich zu bewegen oder etwas zu sagen. Wieder lächelt er kurz und ich kann im Augenwinkel erkennen, wie er sich auf die Unterlippe beißt.
„Tae, lies die nächste Frage vor", sagt er schließlich, wendet sich von mir ab und befreit mich damit aus meiner Starre.
Augenblicklich verlässt die Anspannung meinen Körper, als sich die Aufmerksamkeit aller wieder auf Taehyung richtet, der sich erneut betont konzentriert über sein Handy beugt.
Jimin liebt es, mich zu provozieren und zu necken. Er bringt mich immer wieder spielend leicht in unangenehme Situationen. Normalerweise gehöre ich vor der Kamera nicht gerade zur schüchternen Sorte, aber wenn es um Jimin geht, mutiere ich binnen Sekunden zum ängstlichen Häschen. Die Aura, die ihn umgibt, macht es mir unmöglich, meine Aufmerksamkeit auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Vor ein paar Jahren noch hätte ich im Traum nicht vermutet, dass ausgerechnet ein Mann mal solch eine starke Anziehungskraft auf mich haben würde, die es mir beinahe auf übernatürliche Weise unmöglich macht, mich ihm zu entziehen.
„Ah, das ist gut!", ruft Tae schließlich und räuspert sich kurz, um zur nächsten Frage anzusetzen. „Wie schaffst du es, deine Hyungs immer in Videospielen zu schlagen?"
Erleichtert über die Unverfänglichkeit dieser Frage denke ich einen Moment darüber nach und antworte: „Das ist einfach: Der Punkt ist nicht, dass ich besonders gut in den Spielen bin, sondern eher, dass meine Hyungs unfassbar schlecht darin sind." Ich lache laut auf, während Jin mir gespielt schockiert in die Seite boxt und Yoongi erneut resigniert mit dem Kopf schüttelt und diesen auf die Hände stützt.
„Einfach unfassbar. Wie frech du geworden bist. Wo ist nur der kleine, unschuldige Jeon Jungkookie hin, der vor vier Jahren unserer chaotischen Gruppe beigetreten ist?", ruft Hoseok, drückt sich die Hände auf die Brust und schaut dramatisch Richtung Decke. „Wir sind immer so gut zu dir, füttern dich mit reichlich Essen und spielen mit dir und was ist der Dank?"
Die anderen stimmen mit ein, bekunden lauthals ihr Leid und knuffen mir immer wieder lachend in die Seiten. Sie haben Recht. Als ich mit fünfzehn Jahren Mitglied dieser Band wurde, war ich scheu und zurückhaltend. Mit den Jahren sind wir aber so eng zusammengewachsen, dass ich schließlich mutiger geworden bin und meine Leidenschaft dafür entdeckt habe, sie - wann immer ich die Chance bekomme - zu piesacken und aufzuziehen. Alle, bis auf einen.
Jimin hebt die Hand und kneift mir in den Hals, während Namjoon gerade dabei ist, aufzuzählen, welche Gemeinheiten ich ihm schon angetan habe. Theatralisch erklärt er den anderen, wie ich ihm vor ein paar Tagen erst das letzte Stück Hühnchen förmlich von der Gabel geklaut und es mir vor seinen Augen genüsslich in den Mund geschoben habe.
Ich nutze die Gelegenheit, da gerade die allgemeine Aufmerksamkeit auf unseren Bandleader gerichtet ist, und schaue verstohlen zu Jimin. Sein dünnes, gestreiftes Shirt legt sich locker um seinen schlanken Körper und er trägt ein schmales, seidenes Band um den Hals. Die blonden Haare fallen ihm glatt auf die Stirn. Sein Gesicht ist schön und anmutig.
Als er mich dabei erwischt, wie ich ihn anstarre, fängt er meinen Blick ein und verzieht seine Lippen zu einem breiten, selbstgefälligen Grinsen. Seine Erscheinung zieht immer wieder automatisch meine Aufmerksamkeit auf sich, auch wenn ich krampfhaft versuche, mich dagegen zu wehren.
Er irritiert mich zutiefst, denn obwohl er ein Mann ist, hat er eine anmutige, fast schon feminine, Seite, die so zart und verführerisch ist, dass es beinahe einschüchternd ist. Die besondere Aura, die ihn umgibt, macht es mir unmöglich zu widerstehen. Doch ich möchte nicht, dass jemand der anderen etwas davon mitbekommt. Auch wenn sie mir gegenüber immer unglaublich rücksichtsvoll sind und mich in allem, was ich tue, unterstützen, ist die Angst vor ihrem Urteil und der möglichen Ablehnung viel zu groß.
Jimin beißt sich auf die Unterlippe und ich starre gebannt einen viel zu langen Moment darauf, ehe ich mich selbst dazu zwinge, mich von diesem faszinierenden Anblick loszureißen. Wieder steigt mir das Blut in den Kopf und droht die Haut auf meinen erhitzten Wangen zu verbrennen.
„Das hier haben die Fans wirklich oft geschrieben. Sie möchten ein Ranking von dir, Jungkookie", reißt Taehyung mich schließlich mit einer weiteren Frage aus den Gedanken und lässt mich viel zu heftig zusammenzucken.
Verlegen hebe ich meinen Kopf und versuche mich zu sammeln. Ich hasse diese Frage, denn ich finde es nicht richtig, meine Hyungs nach ihrem Aussehen zu beurteilen, und ich verstehe auch nicht, wieso es das ist, was die Fans so oft von mir verlangen. Für sie ist es ein Spiel, doch für mich ist es die reinste Folter.
Jimin legt seine Hand an meinen Hals und streichelt mich behutsam im Nacken, was mich noch nervöser macht, da nun alle Blicke auf mich gerichtet sind und jeder diese kleine Szene, die so typisch für uns ist, genau verfolgt.
Das Blut rauscht laut in meinen Ohren und mein Herz hämmert unaufhörlich gegen meine Brust, während sich eine gebannte Stille an unserem Tisch ausbreitet.
„Also ... ähm ...", beginne ich zögerlich und blicke hektisch zwischen den vor Spannung geweiteten Augen meiner Hyungs hin und her.
Jimins Hand ruht noch immer in meinem Nacken und ich presse die folgenden Worte viel zu hastig hervor: „Platz eins ist Jin. Dann Yoongi, Taehyung, Hobi und Namjoon. Dann komme ich auf Platz sechs und zum Schluss Jimin."
Im Augenwinkel sehe ich Jimins Gesichtszüge entgleiten. Sein Blick ist auf mein Ohr geheftet und die gleichmäßigen Bewegungen seiner zarten Finger an meinem Hals halten schlagartig inne. Ich traue mich nicht, ihn anzusehen, während die anderen sich bereits lauthals über das Ranking streiten und angeregt darüber diskutieren, ob meine Einschätzung wohl richtig ist.
„Natürlich ist unser Mr. Worldwide Handsome auf Platz eins, aber Jimin auf Platz sieben? Das halte ich für unfair", ruft Hoseok und klopft Jimin liebevoll auf die Schulter.
Langsam lässt dieser die Hand von meinem Nacken sinken, greift nach einem Glas, von dem ich glaube, dass es nicht einmal sein eigenes ist, und leert es in einem einzigen großen Zug.
„Wer sollte denn deiner Meinung nach auf dem letzten Platz sein, Hobi?", stachelt ihn Taehyung an und hebt herausfordernd eine Augenbraue.
Die Kamera hat mittlerweile Namjoon an sich genommen und er filmt gebannt von der gegenüberliegenden Seite des Tisches Tae und Hobi bei ihrem spielerischen Streit.
„Das ist doch ganz einfach", ruft Hoseok und gestikuliert wild mit den Händen vor der Kamera herum. „Kookie sollte sich selbst auf den letzten Platz setzen."
Es trifft mich wie ein Schlag. Natürlich hat er recht. Ich hätte einfach mich als letztes einordnen sollen. Ich weiß selbst nicht, wieso ich das nicht gleich erkannt habe. In diesem Moment habe ich blind und unüberlegt gehandelt und nur daran gedacht, die Situation zu entschärfen, bevor jemand hinter meine Gefühle kommt. Allerdings ist das ganze doch nur ein Spiel und niemand ist ernsthaft verletzt. Oder?
Ich erhasche einen kurzen Blick auf Jimin, welcher schweigend den Stiel des leeren Glases zwischen seinen Fingern hin- und herdreht. Er schaut nicht auf, auch nicht, als ich versuche, mit einem weiteren Blick seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Seine Augen sind glasig und starr auf den Tisch gerichtet und mir wird das Herz schwer. Bin ich zu weit gegangen? Er weiß doch, dass das nicht meine ehrliche Meinung ist, oder?
Frustriert von dem Gefühl der Reue, welches sich unangenehm in meinem inneren ausbreitet, springe ich viel zu ruckartig von meinem Stuhl auf. Ich muss mich dringend beruhigen und einen klaren Kopf bekommen. Die anderen sind gerade so angeregt in ihre Diskussion vertieft, dass sie mein Verschwinden kaum bemerken. Jimin schaut mir nach und ich fühle mich von mir selbst ertappt, als ich insgeheim hoffe, dass er mir folgen wird, während ich mir den Weg einen langen, schmalen Flur entlang zu den Toiletten bahne.
Seufzend stelle ich mich vor das große Waschbecken, fülle meine Hände mit kaltem Wasser und werfe es mir ins Gesicht. Das kühle Nass brennt förmlich auf meiner aufgeheizten Haut und fühlt sich unheimlich gut an. Ich atme mehrmals tief ein und aus und starre auf mein Spiegelbild. Dunkelbraune, nasse Strähnen liegen auf meiner Stirn und das Wasser rinnt meine Haut hinab, als sich die Tür erneut öffnet und Jimin beinahe lautlos von hinten an mich herantritt.
Natürlich ist er mir gefolgt. Das tut er immer, wenn sich eine Möglichkeit ergibt, mit mir allein zu sein, und ich kann gar nicht beschreiben, wie froh ich in diesem Moment bin, dass er es auch dieses Mal getan hat. Erleichterung breitet sich in mir aus.
„Na, brauchst du auch eine kleine Abkühlung?", frage ich ihn und versuche, so beiläufig und normal wie möglich zu klingen, doch ich bekomme keine Antwort, also beobachte ich angestrengt jede seiner Bewegungen durch den Spiegel.
Schweigend stellt er sich hinter mich, sein Blick ist gesenkt und ich spüre seinen heißen Atem in meinem Nacken. Die Nervosität bricht wie eine Welle über mir ein. Ist er doch sauer?
Ich greife nach einem Papiertuch, trockne rasch mein Gesicht und will mich zu ihm umdrehen, doch Jimin schlingt in einer geschmeidigen Bewegung seine Arme um meine Taille und schmiegt sich an mich. Die Wärme, die von ihm ausgeht, legt sich wie ein warmer Schleier auf meinen Rücken. Wie gelähmt halte ich in der Bewegung inne und starre mit vor Schreck geweiteten Augen mein eigenes Spiegelbild an.
„Jungkook-ssi." Seine Finger wandern langsam unter den dünnen Stoff meines Pullovers und ruhen auf meinem Bauch. Ein Schauer läuft mir bei der plötzlichen, unerwarteten Berührung über den Rücken. „Beweg dich nicht."
Ein Kloß bildet sich in meinem Hals und mein Puls schießt in die Höhe. Intuitiv schnelle ich herum, mache einen Schritt zurück, um den Abstand zwischen uns zu vergrößern, und stoße dabei gegen das Waschbecken hinter mir. Doch Jimin lässt nicht so schnell von mir ab. Er folgt mir sofort und steht nun so dicht vor mir, dass ich deutlich den herben Duft seines Parfums wahrnehme und sein heißer Atmen meine Haut streift. Langsam streckt er sich mir entgegen, sodass wir auf Augenhöhe sind. Sein Blick senkt sich weich und anmutig auf meine Lippen und bringt das Blut unter meiner Haut zum Kochen.
Ich verspüre den Drang zu fliehen.
„Lass das, Jimin Hyung", presse ich hervor und lege meine Hände auf seine Schultern, um ihn behutsam von mir zu schieben. Ich wollte, dass er mir hierher folgt, doch jetzt, wenn er so nah vor mir steht, überkommt mich die blanke Panik. Es ist nicht das erste Mal, dass er mir so nahekommt, doch ich bin jedes Mal wieder aufs Neue ein aufgeregtes Nervenbündel. So sehr mich seine dominante Präsenz auch fasziniert, so sehr schüchtert sie mich gleichzeitig auch ein.
„Wieso bist du auf einmal so förmlich?", entgegnet er. Seine gesenkte Stimme klingt rau, doch es schwingt eine gewisse Traurigkeit darin mit. Seine bloße Anwesenheit bringt mich vollkommen aus dem Konzept. Meine Atmung geht schnell und unregelmäßig, während ich kraftlos versuche, ein wenig mehr Abstand zwischen uns zu bringen.
Ich schließe die Augen und wende meinen Blick ab. „Du machst mich nervös, wenn du mir so nahekommst. Jemand könnte uns hier sehen."
Er dreht sich um und lässt den Blick über die Kabinen hinter sich schweifen, ehe er sich mir erneut mit fester Miene zuwendet. „Wir sind allein."
Ich schlucke schwer. Sein Gesicht schwebt nur wenige Zentimeter entfernt vor meinem, als er mir mit der Hand quälend langsam unter das Oberteil fährt und meine Hüfte entlang streicht. Ich ziehe scharf die Luft ein und schließe die Augen, denn ich weiß, was jetzt unweigerlich geschehen wird.
„Was du vorhin gesagt hast", beginnt er stattdessen und reißt mich aus meiner Starre. „Wieso schubst du mich nicht von dir, wenn du mich doch so abstoßend findest?"
Der Schmerz in seiner Stimme trifft mich wie ein Schlag. Mein Bauch zieht sich unangenehm zusammen und das Blut, welches wenige Sekunden zuvor noch in mir brodelte, scheint nun in meinen Adern zu gefrieren.
„Hyung", sage ich zögerlich. „Ich musste doch irgendwas -" Doch weiter komme ich nicht.
Als er seine weichen Lippen fordernd auf meine drückt, überschlagen sich förmlich meine Gefühle und ich vergesse augenblicklich alles um mich herum. Auch die Tatsache, dass wir uns an einem öffentlichen Ort befinden, an dem jederzeit jemand hereinplatzen könnte. Meine Atmung setzt aus. Das Blut rauscht laut in meinen Ohren und plötzlich wird der Kuss so weich und sanft und so voller Sehnsucht, dass sich meine Brust schmerzhaft zusammenzieht.
Ich schlinge meine Arme um seinen schmalen Körper und ziehe ihn fest an mich, was er mit einem tiefen Seufzen kommentiert und eine Hand in meinen Nacken legt, wo er sanft mit dem Daumen kleine Kreise zeichnet.
Ich bin nicht mehr in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich fühle mich, als wäre ich komplett in Watte eingehüllt. Meine Knie werden weich und ich spüre nur noch Jimins warme Lippen und die zarten Berührungen seiner Finger, während ich mich vollkommen in dem Kuss verliere.
Als er sich langsam von mir löst, ist mein Blick verschleiert und ich gebe ihn nur widerwillig aus der Umarmung frei. Doch als ich in seine tiefen, dunklen Augen schaue, kommt schlagartig die Reue zurück und droht mich in einer riesigen Welle zu ertränken. Tränen haben sich in seinen wunderschönen Augen gesammelt und bahnen sich stumm ihren Weg seine Wangen hinab. Das Herz sackt mir in die Hose. Ich fühle mich überfordert und völlig hilflos.
Schweigend dreht er sich um, wischt sich mit dem Ärmel über das Gesicht und verlässt zügig, bevor ich etwas sagen oder ihn aufhalten kann, den Waschraum.

~ to be continued

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