Kapitel 1

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Ich sitze auf meinem Bett und meine Gedanken waren nur bei dieser einen Sache. Ich müsse alle meine Freunde, ja eigentlich mein ganzes Leben in Hastings verlassen, um auf ein renommiertes Internat in Castle Combe zu gehen. 

Mein Vater war fest davon überzeugt, es würde mir dort besser gehen, vor allem, da er als Alleinerziehender keine Zeit für uns vier Kinder hatte.  Als Manager einer großen Firma war er sowieso nie zu Hause. Unsere Mutter starb vor zwei Jahren an Krebs. Ziemlich aggressive Art, Bauchspeicheldrüse. Zwei Monate nach der Diagnose hatte sie schließlich den Kampf verloren. Sie war eine wunderbare Frau, Mutter und Freundin. Mein Vater redet nicht oft über ihren Tod, geschweige denn erwähnt er sie. Er ist ein komplett anderer Mensch geworden. Total distanziert. Aber als Vater kann ich ihn nicht schlecht reden. Jedes Mal, wenn er ausnahmsweise zu Hause war, kümmerte er sich um uns. 

Da meine Oma, die sonst immer auf uns aufgepasst hat, wenn Papa nicht da war, nun im Altersheim wohnte, musste eine Lösung her. So kam mein Vater mit der glorreichen Idee, uns alle ins Internat zu schicken. Das Internat ist in Castle Combe, zirka drei Stunden von Hastings entfernt. Bristol ist die nächst größere Stadt, die ist in einer halben Stunde erreichbar. 

Ich habe mir das Internat im Internet angeschaut und muss sagen, es sieht genau so aus wie ich es mir vorgestellt habe. Es ist sehr schön, alte Gemäuer, mehrere Gebäude, unten ist ein kleiner See, ein riesigen Sportfeld und irgendwie eine sehr verruchte Stimmung. Außerdem gibt es zahlreiche Freizeitangebote. Tennis, Hockey, Cricket, Baseball, American Football, die Theater Ag, Schwimmen und so weiter. Aber wenn ich mir die Jahrgangsfotos anschaue, wird mir schlecht. Keine Leute, die so aussehen, als könnte man mit ihnen Spaß haben.

Hier in Hastings hatte ich meine Freunde. Sie fielen aus allen Wolken, als ich ihnen erzählte, dass ich in einigen Monaten nicht mehr hier wohnen werde. Ich konnte es bis vor ein paar Wochen selber noch nicht fassen, dass ich die grandiose Zeit, die ich mit meiner Gang hier hatte, nie mehr erleben werden. Vor allem Daniel und Haley, meine besten Freunde, werde ich wahnsinnig vermissen. Sie waren immer für mich da, als meine Mutter gestorben ist. Auch die sämtlichen Partys und Feten zu Hause waren immer legendär. Tja, diese Zeit ist jetzt vermutlich vorbei.

Als ich aus meinen Gedanken wieder erwache, bewege ich mich in Richtung Zimmer meiner Schwester. Auf dem Flur stand schon alles bereit. Vollgepackte Koffer und Taschen, sowie Sachen, die man so mitnehmen würde. Als ich mir endlich den Weg durch das Chaos gebahnt hatte und bei meiner Schwester angelangt war, musste ich staunen. Meine Schwester Isabell ist ein sehr ruhiger Mensch. Sie ist nur zwei Jahre jünger als ich, deswegen sehe ich sie auch mehr als Freundin als Schwester. Die Schuluniform, die sie anhatte, war wirklich sehr schön. Ein blauer Rock, nicht zu lang, nicht zu kurz. Dazu konnte man selber schwarze Schuhe tragen, die wurden, außer die Farbe, nicht vorgegeben. Es gab außerdem für Regentage eine beige Hose und zum Rock dazu musste man weiße Strümpfe tragen. Die Bluse war in einem schlichten Weiß gehalten und dazu gab es auch noch ein Polo-Shirt, welches das Wappen der Schule auf der Brust abbildete. Die Uniform war wirklich schlicht und schön und an meiner Schwester sah sie aus, als wäre sie für sie gemacht worden.  Isabell ist für ihre 15 Jahre sehr klein, hat wie ich rot-braune Haare und war ein bisschen gefüllter. Trotzdem kaschierte die Uniform alles. 

"Emma, willst du noch was, außer mich so dumm anzustarren", lachte sie und ich wusste in dem Moment eigentlich auch nicht mehr, was ich wirklich wollte. 

"Die Uniform ist wirklich schön", ich versuchte, meine Vergesslichkeit durch diese Aussage zu verbergen.

"Die Zeit ist schnell vergangen. Ich kann gar nicht fassen, dass wir in gut einer Woche nicht mehr hier sein werden. Ich vermisse einfach jetzt schon alles. Außerdem weiß ich sowieso nicht, was ich auf diesem Internat soll." Isabell schien fast etwas verzweifelt, als sie diese Worte sagte. Ich hatte immer den Eindruck, dass sie es von uns am Besten weggesteckt hat.

Ich versuchte mit einem "das wird schon" die Sache wieder etwas positiver zu machen. Hinter mir in der Tür erschien Steven, keine Ahnung wie lang der schon da stand. Steven ist unser kleiner Bruder. Er ist 13, seit dem Tod unserer Mutter redete er eigentlich nur das Nötigste. Er trug auch die Schuluniform und in seinem Gesicht erkannte ich, dass es ihm überhaupt nicht gefiel. In dem Kragen des Hemds waren seine Initialen eingestickt. S. J. Ich verweilte mit meinen Augen kurz auf den Buchstaben, wendete mein Blick dann aber wieder ab. 

"Ich will dort nicht hin!" Steven stand mit Tränen in den Augen vor uns. So kannte ich ihn gar nicht. Er weinte nie. Er beschwerte sich auch nie über etwas. Er zeigte uns generell nie seine Gefühle und eigentlich weiß nie jemand, wie es ihm wirklich geht.

Mit einer Handbewegung lotste Isabell Steven aufs Bett. So lagen wir dann da. Auf Isabells Bett. Allein gelassen und irgendwie abgeschoben. Wir redeten kein Wort, bis wir von einer bekannten Stimme aus dem Schweigen gerissen wurden.


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⏰ Last updated: Apr 05, 2020 ⏰

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