Kapitel 1

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Langsam drehte ich eine Pirouette nach der anderen, ließ die kalten Luftzüge an meinen freiliegenden Waden entlang schmeicheln und genoss die sanften Klänge der Musik in meinem Ohr. Es waren die Nocturnes von Chopin, die mir das Klavier sanft in mein Ohr säuselte, und zu denen ich mich rhythmisch bewegte. Die Sohlen meiner Stoffsneaker bogen sich spielend leicht durch während ich auf Zehenspitzen durch die immer höher werdenden Grashalme tänzelte, die den Beginn des Sommers ankündigten. Um mich herum surrten sicher schon die ersten Hummeln, es lag der Geruch nach frisch gemähtem Gras und Benzin in der Luft, der mich beinahe ganz benommen machte. In meiner Hand hielt ich eine leicht gluckernde Bierdose, der Inhalt war schon lauwarm und würde nun unangenehm und allzu intensiv nach Hopfen schmecken. Aus meinen kabellosen Kopfhörern dröhnte klassische Musik in meine Ohrmuscheln, das Abendrot dieses träumerischen Tages im Spätfrühling verkitschte alles nur noch mehr. Ich spürte, wie sich das Blech der Dose in meiner Hand immer mehr erwärmte, die letzten spärlichen Sonnenstrahlen, die dieser Mai-Tag hergab, ließen die Hopfenbrause beinahe gären, und ich wusste, dass ich die Dose keinesfalls austrinken würde. Eigentlich mochte ich kein Bier, aber ich liebte die Kontroverse die das Bild einer Bier trinkenden Ballerina hergab.

Hinter den Volleyballhallen war nie jemand, das Team trainierte ja bekanntlich nur IN den Hallen, und sobald sie ihre Aufwärmrunde gelaufen waren, wurde es rund herum still. Meine Ballettstunde war für heute abgesagt worden, ich hatte beschlossen dennoch etwas zu tanzen, deshalb hatte ich mich aus dem Wohnheim geschlichen und war im Schutz der Sträucher verschwunden, sobald die Ballschupfer verschwunden waren. Ich ließ mich von der Musik berieseln, übte die Grundpositionen und arbeitete an meinen Arabesken. Auch ohne Ballettstange und Spitzenschuhe konnte ich mich verbessern, in der Natur fand ich so wahnsinnig viel Inspiration, alles um mich herum schien mich auch irgendeine ganz besondere und außergewöhnliche Weise zu verzauben, denn immer, wenn ich an der frischen Luft einige Takte getanzt hatte, fühlte ich mich leicht und so als würde ich auf Wolken schweben. Das Gras quietschte unter meinen Gummisohlen, das konnte ich spüren, meine Hüften knackten von Zeit zu Zeit, das Aufwärmen hatte ich an diesem Tag eher dürftig ausfallen lassen. Stattdessen war ich zum nächsten Kiosk, hatte mit meinem gefälschten Ausweis eine Dose Bier gekauft und hatte ihr das Aufwärmen überlassen. Das Gluckern der bitteren Flüssigkeit, und das Geräusch, das sie beim Aufeinandertreffen mit den Blechwänden der Dose von sich gab, war ungeheuer beruhigend, und ich konnte anhand dessen erkennen, ob ich technisch alles richtig gemacht hatte. Platschte der Doseninhalt zu viel, so war die Pirouette zu aggressiv, rann sie so still wie ein Bergbächlein taleinwärts, so tanzte ich zu zaghaft.

Ich öffnete meine Arme, streckte den Brustkorb heraus und atmete tief durch. Ein langsames hin und her Schwelgen, hinunter in die fünfte Position, wieder en Pointe und in die Arabesk.... oder auch nicht...
Gerade als ich mein Bein nach oben heben wollte, um dem Himmel wieder ein Stück weit näher zu sein, traf meine Fußsohle etwas und ich kippte nach vorne über, in Panik etwas, oder jemanden, mit meinem allzu wuchtig in die Höhe gerissenen Bein erschlagen zu haben (dass es zu wuchtig war, sagte mir das Bier). Ich wandte mich, noch im Liegen und voller Staub, um und sah eine Gestalt im Volleyball-Trikot mit der Nummer 1 auf mich zu kommen.

"Darf ich fragen was du hier bitteschön machst?"

Spitzentanz - A Haikyu!! FanFictionWhere stories live. Discover now