Die andere Seite des Pults

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„Puuuh", entfuhr es mir und ich brauchte mich nicht umsehen, um zu wissen, dass ich damit auch meinen Kollegen aus der Seele sprach. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es inzwischen war, aber gefühlt schon fast Mitternacht, auch wenn das wahrscheinlich nicht stimmte. Zumindest dunkel war es draußen schon geworden, so viel verriet mir rein Blick aus dem Fenster. Für die angehenden Schüler war die Prüfung zweifellos anstrengend gewesen, aber eben auch relativ schnell wieder vorbei, während unsere Arbeit erst danach wirklich begonnen hatte. Nemuri lag inzwischen auf dem Bauch auf dem Boden ausgestreckt und kicherte leise in sich hinein. „So viele interessante neue Schüler. Ich freue mich schon auf sie." So enthusiastisch sie auch dreinsah, so desinteressiert guckte Aizawa. Die beiden waren so unterschiedlich, sie sollten sich mal zusammentun. Seufzend rieb ich mir über die Augen. Wenigstens waren wir für heute durch. Alle Punkte waren verteilt und die Zahlen ausgewertet. Es stand somit fest, wer es in die U.A. High School geschafft hatte und auch, wer in welche Klasse käme. Die kleine Erenya hatte es geschafft. Sie würde in die Klasse 1-A gehen. Stolz hatte ich ihren Punktebogen gemustert, als wir die Punktezahlen verglichen hatten. Ob sie nun meine Eri war oder nicht, sie hatte sich gut geschlagen und es verdient, eine Chance zu erhalten, eine Heldin zu werden.
„Ah, wunderbar. Dann werden die Briefe mit der Bekanntgabe der Ergebnisse in den nächsten Tagen vorbereitet. Ich danke euch für die hervorragende Mitarbeit", ergriff Nezu das Wort, die müde Stille durchbrechend, die sich über uns alle gelegt hatte. Neben mir erhob sich Nemuri und streckte die Arme und auch meine anderen Kollegen kamen nun langsam in Bewegung. Nach und nach tröpfelten sie aus dem Raum. Ich hingegen trat an Nezu heran, der sich gerade mit All Might hatte verkrümeln wollen, nun aber innehielt und mich fragend ansah. „Entschuldigen Sie bitte. Es gibt da eine Kleinigkeit, die ich gerne noch mit Ihnen besprechen wollte, Direktor Nezu." Mein Blick glitt kurz zu dem hünenhaften Helden in dem kunterbunten Anzug neben ihm. Lange würde der seine Gestalt wohl nicht mehr halten können. Der Tag hatte ihm einiges abverlangt.
„Oh, entschuldigst du uns?", wandte Nezu sich an den hünenhaften Helden, meinen Blick missdeutend. „Na-", begann der Profilheld sofort, doch ich unterbrach ihn. „Nicht nötig. Es ist nichts Geheimes. Ganz im Gegenteil. Es betrifft die Studenten", erklärte ich eilig. Nezus Neugier hatte ich damit eindeutig geweckt. Aufmerksam sah der Maus-Maulwurf-was-auch-immer-er-war zu mir auf. Etwas unsicher war ich nun doch, aber das änderte nichts daran, dass ich meine Idee nicht dumm fand, sondern vielmehr richtig und wichtig. Ich fand es sogar eher seltsam, dass erst ich damit ankam. „Nun, mir ist aufgefallen, dass es überhaupt keine Ansprechperson für die Schüler gibt, an die sie sich mit ihren Sorgen wenden können. Dabei sind gerade Helden - und zweifellos auch angehende - großem Stress ausgesetzt. Ich finde, sie sollten nicht ohne eine Ansprechperson sein, mit der sie offen auch über Ängste und Sorgen sprechen können", versuchte ich, meinen Standpunkt klar zu machen, ohne dabei zu eben dem Helden zu schauen, von dem ich insgeheim fand, dass er so jemanden auch ziemlich dringend brauchen konnte. Zu viele Menschen sahen nur diese Fassade, kaum jemand warf einen Blick dahinter. Ich wollte nicht, dass es der nächsten Generation Helden auch so erging. Diese Einsamkeit und der Zwang, zu funktionieren, zerstörten zu viel. Psychosen waren dabei ja faktisch vorprogrammiert und ich fand es unbedingt wichtig, da Vorsorge zu treffen.

Eindringlich sah Nezu mich an. „Mh, ich stimme dir zu. Es ist wichtig, dass wir die Helden der Zukunft unterstützen und ihnen ein Umfeld bieten, in dem sie sich nicht allein gelassen fühlen und wissen, dass sie sich jemandem anvertrauen können, der sie nicht verurteilt", sinnierte er und lächelte im nächsten Moment auch schon wieder. „Ich finde, das ist eine hervorragende Idee und möchte diese Aufgabe gerne dir und All Might anvertrauen." Ich öffnete meinen Mund, doch es kam kein Ton heraus. Wieso klang das nun bitte für ihn nach einer guten Idee? Wie kam Nezu auf den Trichter, einer von uns wäre dafür geeignet? All Might konnte selbst jemanden brauchen, der ihm zuhörte und ich hatte überhaupt keinen Bezug zu den Ängsten eines Helden. Weder hatte ich so eine Laufbahn je angestrebt, noch überhaupt einen Quirk, der mir dafür den Weg hätte ebnen können. Ich war genau das Gegenteil: Verdammt dazu, nur die Opferrolle kennenzulernen, geriete ich jemals zwischen die Fronten.
„Wir?" Offenbar war All Might davon ebenso überrascht wie ich. Fein, wir waren uns wenigstens einig. „Aber ja doch", entgegnete Nezu hörbar bester Laune. „Wer könnte jungen Helden als besseres Vorbild dienen?" Darauf fiel dem Symbol des Friedens dann nichts mehr ein, doch bevor ich nun meiner Ernennung widersprechen konnte, wandte sich Nezu mir zu. „Ich bin überzeugt, du wirst dieser Aufgabe absolut gerecht. Gerade als jemand ohne Quirk kannst du ihnen besser als jeder andere aufzeigen, dass ihre Furcht real ist, verständlich, aber dass man sie überwinden kann." Was immer ich hatte sagen wollen, es war mir entfallen. Der Direktor klang nicht, als wäre das ein Vorschlag, sondern eher, als habe er das nun entschieden und finde das alles absolut wunderbar. Vielleicht sollte ich auch einfach froh sein, dass er meine Idee nicht einfach abgetan oder jede Erwägung auf die lange Bank geschoben hatte. Ich schluckte. "Nun, dann werde ich mich nun entschuldigen. All Might, wir sehen uns gleich in meinem Büro?", wechselte Nezu das Thema unvermittelt und ehe ich mich versah, waren die beiden auch schon verschwunden und ich blieb mit meinem neuen Job zurück. Das hatte ich ja toll hinbekommen.
Noch fassungslos rieb ich mir die Schläfen. So viel dann also zu meiner ach so tollen Idee, wie man die Schüler weiter fördern und unterstützen könnte. Plötzlich patschte mir jemand auf den Rücken. Nemuri. „Was hältst du davon, wenn wir zur Feier des Tages lecker essen gehen?", schlug sie grinsend vor und nickte dabei in Richtung Present Mics. „Ich kenne da den perfekten Ort", fügte dieser hinzu. „Ein kleines, familiäres Restaurant mit fantastischer Küche." Um seine Worte zu unterstreichen, hob er eine Hand und formte ein O mit Daumen und Zeigefinger. Einen Moment lang zögerte ich. Platzte ich damit in ein Date der beiden? Falls ja, würde ich auf jeden Fall passen. Nicht nur, dass ich ganz entschieden nicht zwischen ausgerechnet diesen Zweien sitzen wollte, wenn sie flirteten, ich wollte auch einer Freundin nicht ihr Date versauen, indem ich das berühmte dritte Rad am Wagen spielte. Lieber passte ich und machte mir einen gemütlichen, faulen Abend mit herrlich fettiger Pizza auf dem Sofa. Tatsächlich klang das schon in meinem Kopf sehr verlockend. „Na komm schon, Daelis." Nemuri stieß mich spielerisch in die Rippen. „Das wird lustig." Nur kurz zögerte ich, dann zuckte ich mit den Schultern. „Klar, klingt gut. Mir hängt der Magen eh in den Kniekehlen. Euch nach."

Together through timeless justice (Pausiert)Where stories live. Discover now