Oneshot

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"Wir erreichen in Kürze Erfurt Hauptbahnhof. Ausstieg in Fahrtrichtung rechts!" tönt es mit verzerrter Stimme aus dem Lautsprecher im inneren des Zuges. Ein Passagier des Zuges schreckt hoch wie ein geölter Blitz. Er war doch tatsächlich eingeschlafen! In Windeseile schnappte er sich den grauen Rollkoffer und machte sich auf in Richtung Tür. Als diese sich quietschend öffnete, trat er heraus, schaute sich um und schloss die Augen.
*Endlich wieder da!* Er setzte sich in Bewegung und war schnell auf dem ihm so bekannten Weg durch die Erfurter Innenstadt angekommen. Umso näher er an sein Ziel kam, desto mehr begann sein Herz zu schlagen.

Wie reagieren die anderen? Werden sie sich freuen? Was werden sie fragen? All diese Gedanken schwirrten schon seit einer Ewigkeit in seinem Kopf umher, obwohl er versuchte sie so gut es geht zu verdrängen. Und als er diese Gedanken doch zu ließ, schoss ihm sofort eine alte, aber für ihn wunderschöne Erinnerung in den Kopf. Der Tag, an dem er den anderen mitteilen wollte, dass er geht. Und die Geste eines ganz besonderen jungen Mannes, der schon immer mehr für ihn war, als nur ein guter Freund. Augenblicklich begann er zu grinsen und er wurde unbewusst immer schneller. Er sah sein Gesicht in den Wolken und als würde er ihm ein Zeichen geben, begann es gerade in diesem Moment zu schneien. Die weißen Flocken hatten schnell die Umgebung in ein Winterwunderland verwandelt. Ehe er sich versah waren seine Haare bedeckt mit den kleinen Flöckchen und nun freute er sich noch mehr auf seine Wiederkehr zu einem Ort, der sein Leben in vielerlei Hinsicht verändert hatte. Als er vor dem großen, grauen Gebäude stand, klopfte sein Herz noch viel mehr. Schnell war er ins Innere geeilt, wo er zu seinem Entsetzen niemand vorfinden konnte, außer die Hausmeisterin des Internats, Wiebke Schiller. Diese kam sofort auf ihn zu. "Timo! Das ist ja schön dich zu sehen. Wie geht es dir?" Timo sah die Hausmeisterin etwas überrascht an. "Mir geht's bestens. Wo sind denn alle anderen?" Als er diese Frage ausgesprochen hatte, drehte sich die blonde Frau grinsend um und fischte eine Weihnachtsmütze aus einem Karton mit Weihnachtsschmuck. Und ehe er sich versah war sie schon losgelaufen und zeigte ihm mit einer winkenden Handbewegung an, ihr zu folgen. Schnell waren sie an seiner alten Schule angekommen. Frau Schiller strahlte über das ganze Gesicht und trällerte ein euphorisches "Tadaaa!" Timo traute seinen Augen kaum. Der ganze Schulhof war voller kleiner Büdchen aus Holz, die alle wunderschön weihnachtlich geschmückt waren. Ein tief erstauntes "Wooow!" entfuhr ihm, bevor er sich in Bewegung setzte und tief in die vor ihm liegende Weihnachtswelt eintauchte. Überall duftete es nach Nelken, Bratäpfeln, Punsch und Spekulatius. Richtig schön weihnachtlich eben! Und obwohl er Weihnachtslieder hasste wie die Pest, konnte er diese erstaunlicherweise gut ertragen, denn es passte einfach alles zusammen. Die Atmosphäre war einfach atemberaubend und wunderschön. So hatte er seine Schule und gerade seine ehemaligen Mitschüler noch nie erlebt.

"Ich glaube ich, sehe nicht richtig! Bist du es wirklich??" Eine altbekannte Stimme riss Timo aus seiner kleinen Traumwelt. "Till!" Timo lief auf den Stand seines alten Freundes zu und begrüßte ihn freundlich. "Lange nicht gesehen, Alter. Wie geht's dir?" Er musterte Till und bemerkte ein Lächeln auf seinen Lippen. "Mir geht's super! Die Nordsee ist toll." Aus dem Augenwinkel sah er Martha auf den Stand zukommen. Als Till sie küsste, fielen Timo fast die Augen aus dem Kopf. "Nordsee? Was geht denn jetzt ab? Seit wann küsst du sie? Ich dachte, ihr hasst euch!" Die beiden musterten Timo schmunzelnd. "Tja, scheint so. Also, ich fange mal langsam an. Till und ich sind zusammen. Und da ich ein Freiwilliges Ökologisches Jahr in einer Seehundstation an der Nordsee mache, wollte er unbedingt mitkommen!" Till grinste Martha an. "Genau, und da wir immernoch sehr am Einstein hängen, wollten wir uns das hier nicht entgehen lassen." Timo sah etwas perplex zwischen den beiden hin und her. "Aha, okay. Und was verkauft ihr hier?" Sofort wurden Tills Augen größer. "Selbstgemachte Tees mit Kräutern von der Nordsee. Und der Erlös kommt der Seehundstation zu gute!" Er grinste. "Aber ich will dich nicht länger aufhalten. Da hinten ist Viktors Stand!" Till zeigte mit seinem Finger auf ein anderes Hüttchen. "Der freut sich bestimmt, dich wieder zu sehen!" Kaum hatte Till diesen Satz ausgesprochen, war Timo auch schon aufgebrochen. Er hatte das altbekannte Kribbeln im Bauch, wenn er Viktors Namen hörte oder an ihn dachte. Dieses Kribbeln verflog schnell, als er Viktor auf der Mauer sitzen sah und bemerkte, dass er nicht alleine war. Ein anderer Junge saß neben ihm und hatte den Arm um Viktor gelegt. Timo sah enttäuscht zu Boden und wollte gerade gehen, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Er drehte sich um und sah direkt in die Augen, die ihm nie aus dem Kopf gegangen waren. Sie waren glasig und eine Träne rollte über die Wange von Timos Gegenüber ehe er ihn fest in seine Arme schloss. Er konnte seinen Atem im Nacken spüren und seine Härchen stellten sich auf, außerdem explodierte in seinem Bauch ein Feuerwerk. Er hatte diesen Jungen und seine Nähe so sehr vermisst! Als Viktor die Umarmung löste, atmete er einmal kurz auf. "Ich hab dich so vermisst, wirklich. Es ist so schön, dass du zurück bist!" Timo schaute Viktor kurz an und lächelte. Dann sah er an ihm vorbei und bemerkte den Jungen von vorhin. "Ach wirklich? Du hast mich doch schon längst ersetzt!" Nun machte sich die vorherige Enttäuschung wieder in ihm breit. "Kaum bin ich weg, suchst du dir den nächsten. Das tut weh, weißt du? Ich dachte wir wären..." Timo räusperte sich kurz "Freunde..." Viktors trauriger Blick brannte sich in Timos Seele ein, aber das war ihm egal. Er hatte ihn einfach ausgetauscht. Mit grimmiger Miene drehte er Viktor den Rücken zu und stapfte davon. Im Gehen kickte er immer wieder herumliegende Steinchen weg oder pfefferte herumstehende Becher in den Mülleimer. Er bemerkte nicht, dass Till sich vor ihm aufgebaut hatte und seinen Arm nach vorne streckte, damit er nicht mehr weiter konnte. "Okay, was ist los? Warum rennst du weg?" Timo schob Till zur Seite. "Lass mich durch. Ich fahre wieder heim. Hab keine Lust mehr auf den Weihnachts-Liebes-Kitsch!" Obwohl Till auf ihn einredete, ließ er sich nicht aufhalten und bog schnellen Schrittes auf die Hauptstraße ab, die zum Internat führte. Auf halbem Weg traf er auf den Grund seiner plötzlichen Flucht. Der Junge, der neben Viktor auf der Mauer saß. "Hey. Ich kann es verstehen, wenn du jetzt sauer auf ihn bist. Aber ich kann dir eins sagen... Zwischen uns ist nichts, auch wenn ich es gerne hätte." Der Junge seufzte. "Aber für ihn bin ich nur der beste Freund, weil er sein Herz schon lange an einen anderen verschenkt hat. Nämlich an dich. Und jetzt dreh um und hol ihn dir!" Voller Freude fiel Timo dem Unbekannten um den Hals und rannte zurück zur Schule. Als er den weihnachtlichen Duft wieder in der Nase hatte und es erneut zu schneien begann, lief er geradewegs zu Viktors Stand, der zu Timos Entsetzen leer war. Er war nicht da. Plötzlich wurden ihm von hinten die Augen zugehalten und ein süßlicher Duft stieg ihm in die Nase. Er drehte sich schnell um und verlor sich schon zum zweiten Mal an diesem Tag in Viktors Augen. "Hier, für dich. Das ist Apfelpunsch von Moritz, du stehst doch so auf Äpfel!" Er lächelte Timo sanft an. "Und ich finde, wir sollten reden. Komm!" Er griff nach Timos Hand. "Ich hätte mit dir über Badu und mich reden sollen. Das war nicht fair von mir!" Timo nahm einen Schluck vom Apfelpunsch ohne dabei den Blick von Viktor zu nehmen. "Ich dachte nur, ihr seid vielleicht mehr als Freunde. So..." "So wie wir?" fiel Viktor ihm ins Wort und machte einen Schritt auf Timo zu. "Ich hab das auch gespürt, Timo. Immer. In jedem Moment, den wir gemeinsam verbracht haben. Und Badu hat mir zugehört. Blöderweise hat er sich ein bisschen in mich verliebt und ich wollte ihn nicht verlieren. Aber ich habe ihm von Anfang an klar gemacht, dass ich dich will. Nur dich und niemand sonst!" Nun schneite es richtig. Viktor strich Timo sanft eine Schneeflocke von der Wange und mal wieder verlor Timo sich in Viktors Augen. Als er bemerkte, wie Viktor immer wieder verstohlen auf seine Lippen sah, tat er ihm den gefallen und küsste ihn sanft. Die beiden lösten sich voneinander und standen eng umschlungen im Schnee. "Das ist der Zauber von Weihnachten." flüsterte Timo leise und Viktor nickte nur. "Du warst schon immer mein größter Weihnachtswunsch. Und der ist jetzt in Erfüllung gegangen. Jetzt hab ich dich endlich wieder. Meinen Sprintsuperstar!" Timo küsste Viktor auf die Stirn. "Außerdem ist dieser Punsch verdammt lecker,aber ich sterbe vor Hunger. Gibt's hier auch was essbares?" Viktor lachte. "Du musst aber auch immer den Moment zerstören! Klar gibt's hier was zu essen. Komm mit!" Er nahm seine Hand und die beiden schlenderten Hand in Hand über den ersten Einstein-Weihnachtsmarkt.

*Jetzt bin ich wirklich Zuhause!* Timo streichelte über Viktors Hand und lächelte.

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⏰ Last updated: Dec 11, 2020 ⏰

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"All I want for Christmas" [ViktorxTimo #vimo Oneshot]Where stories live. Discover now