✒️~Ich vermisse dich~🖋

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🗓 25th November 2010 🗓

🕒  2:05 am 🕒

Ich schlug meine Augen auf, wusste zuerst nicht, wo ich mich befand und sah mich um.
Zuerst sah ich in den Himmel, welcher mit Wolken besät war. Nur noch wenige Flächen von dem Himmel waren zu sehen, sonst war alles voll mit dem trostlosen Grau der Wolken.
Es schneite. Die dicken, weiß-grauen Schneeflocken rieselten sanft zu Boden, wo sie sich im Graß verfingen, nur um dort zu ruhen und auf die nächsten Schneeflocken zu warten, um sich mit ihnen zu verbinden und zu einer Masse zusammenzuschmelzen und irgendwann den gesamten Boden zu bedecken.
Ich stand in mitten einer Wiese, auf welcher nichts außer ein paar wenige Büsche und Bäume standen, welche mit nahezu keinen Blättern geschmückt waren.
Mir wurde bewusst, wo ich hier stand.
Ich war auf der Wiese, auf welcher ich vor wenigen Jahren mit Kōshi stand.
Doch warum? Ich musste träumen, andere konnte ich es mir nicht erklären.
Doch wenn ich hier auf der Wiese war, wo war Kōshi dann? War er auch hier?
Ich sah mich um, sah hinter mich, neben mich, sogar über mich und unter mich.
Niemand. Ich war komplett alleine hier, doch warum?
,,Daichi?", hörte ich eine Stimme fragen, die ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gehört hatte. Ich konnte nicht heraushören, aus welcher Richtung es kam, es schien so, als würde diese Stimme aus meinem Kopf kommen, ein Hirngespinst.
Doch dann sah ich ganz schwach eine Silhouette unmittelbar vor mir aufflackern, bis sie schließlich aufhörte und deutlicher wurde. Sugawara stand dort, in einem dicken, blauen Winterschal aus Wolle, einer weißen Winterjacke, blauer Jeans und hellbraunen Winterstiefeln. Der gesamte untere Teil seines Gesichts war bis zu seiner rot schimmernden Nase bedeckt, welche über dem Schal hervorlugte. Seine Augen musterte mich unsicher und auf seinen grauen Haaren fing sich langsam an, eine dünne Schneeschicht zu bilden. Doch da war ein wichtiges Detail, was das eigentlich recht knuffige Aussehen, meines besten Freundes stark beeinträchtigte.
Seine Kleidung hatte einige, getrocknete Blutflecken und auch seine Augen schienen trotz der Unsicherheit irgendwie eine leichte Leere aufzuweisen. Schätzungsweise war die große Wunde an seinem Hinterkopf auch noch vorhanden, doch ich konnte es nicht sehen.
Sicher war jedoch, dass es meinem Unterbewusstsein  unglaublich wichtig war, die von den Toten auferstandene Leiche des Grauhaarigen zu sehen, was mich ziemlich stark schockierte, als ich genauer drüber nachdachte und mir aufgrund des plötzlichen Erscheinens des Anderen das Blut im den Adern gefror.
,,Daichi?", sprach mein Gegenüber dann erneut. Warum musste es mir mein Unterbewusstsein auch so schwer machen?
,,Ich will dich loslassen", brach ich leise hervor. Meine Stimme zitterte, doch ich musste es ihm sagen. Vielleicht war das der einzige Weg, zu lernen, mit der Vergangenheit klarzukommen und den Fall voranzubringen.
Ich sah Sugawara nicht an, ich glaubte zu wissen, dass es ihn verletzte, doch als er antwortete schwang ein unerwarteter Ton von Stolz in seiner Stimme. ,,Das ist gut", gab er vom sich.
Ich konnte mich nun dazu ringen, ihn ins Gesicht zu sehen. Zu verwirrt war ich davon, dass er es für so gut empfand.
,,Wieso? Willst du etwa, dass ich dich ersetze? Dass womöglich eine andere Person mir irgendwann genauso wichtig werden könnte wie du?", fragte ich ihn mit einer Spur von Verständnislosigkeit. Wie konnte er es für so gut empfinden?
Auch, wenn ich seinen Mund nicht sah, glaubte ich sehen zu können, dass er mich liebevoll anlächelte.
,,Daichi, ich sehe doch, was das mit dir macht", fing er an und legte dann seine Hände auf meine Schultern, was zugegebenermaßen ein wenig seltsam war, da ich das für gewöhnlich immer bei ihm getan hatte und nicht umgekehrt. ,,Es macht dich fertig, was passiert ist und ich kann das nachvollziehen. Es verbessert sich zwar, aber vermutlich wird es dir nie wirklich komplett gut gehen, solange du nicht endlich das gesagt hast, was du mir sagen willst. Du wolltest mir die ganze Zeit über was sagen, aber konntest nie. Jetzt, da sich deine Psyche wieder dem Guten zuwendet dachte ich, ich könnte es jetzt versuchen."
Erst ab da viel mir auf, dass ich keinen Flashback an jenen Tag bekommen hatte. Meine Psyche hatte sich tatsächlich nach etwa drei Monaten dem besseren zugewandt. Zugegebenermaßen hatte ich allerdings auch eine sehr gute Psychologin.
Doch eine Frage schwirrte mir noch im Kopf.
,,Was hätte ich dir sagen wollen? Du hast wahrscheinlich mitbekommen, was ich dir jedes Mal gesagt habe, wenn ich an seinem Grab stand oder?"
Er nickte, doch fügte dann hinzu: ,,Aber auch alles andere. Ich hab dich immer gesehen. In deinem Zimmer, bei deiner Psychologin, einfach überall. Aber keine Sorge, beim Bad habe ich mich enthalten."
Er hatte also alles gesehen?
,,Weißt du?", sagte er dann und sah zur Seite. Er sah unfassbar schön aus, zumal dann auch noch ein leichter Windzug an uns vorbei zog, wodurch seine Haare leicht im Wind wehten.
,,Es tat unfassbar weh, dich so zu sehen, aber nichts machen zu können. Du hast gelitten, so stark habe ich das noch nie gesehen. Ich wollte dir so gerne helfen, aber konnte nicht."
Seine Hände baumelten mittlerweile wieder an seinem Körper runter. Es schien so, als wolle er mir etwas sagen, war sich dem ganzen allerdings noch nicht sicher.
,,Was liegt dir auf dem Herzen?", fragte ich ernst, aber fürsorglich und legte nun meine Hände auf seine Schultern wie er es kurze Zeit zuvor auch bei mir getan hatte.
,,Ich wollte dir damals etwas sagen, ich frage mich, ob ich es dir jetzt sagen soll", gestand er dann und sah mich direkt an.
,,Tu es."
Wieder wand er seinen Blick von mir an, schien wieder unsicherer geworden zu sein und fokussierte einen nicht existenten Punkt an einem Busch.
,,Ich vermisse dich." Es stimmte, er vermisste mich.
Aber es war nicht das, was er mir ursprünglich sagen wollte.

Viertel vor Zwei~[#Daisuga Ff]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt