14. Dezember 2006

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Eines Tages stand das Mädchen aus meiner Klasse vor meiner Tür. Dunkle, strähnige Haare. Verschmierter Mascara. Ich hatte nie wirklich ein Wort mit ihr gewechselt. Noch dazu hatte ich sie nie weinen gesehen. Sie war eigentlich immer einer dieser emotionslosen Menschen gewesen, die nie auch nur mit der Wimper zuckten. Aber sie hatte mich eines Besseren belehrt. Hier stand sie. Mit Tränen in den Augen. Und einem Karton.

Ich fragte sie, was in dem Karton sei.

Sie antwortete nicht.

Ich fragte, ob alles okay sei. Sie antwortete mir, dass nichts okay sei.

Und das nie wieder alles okay sein würde. Nie wieder. Sie hielt mir den Pappkarton hin. Ich nahm ihn nicht entgegen. Stattdessen fragte ich wieder, was in diesem Karton sei. Wieder schwieg sie. Wieder antwortete sie mir nicht. Schließlich fing sie doch noch an zu sprechen.

Sie sagte, es wäre bedeutend. Es wäre das Leben von Alice. Der Alice. Meiner Alice.

Ich hielt meine Erinnerungen und Tränen zurück. Ich wollte nicht mehr weinen. Das Mädchen meinte, ich müsse das nehmen. Danach würde ich es verstehen. Danach würden meine Fragen beantworten werden. Also nahm ich mit wackeligen Beinen den Karton entgegen. Ich wusste noch nicht so recht, was ich davon halten sollte.

Sie sagte, ich solle stark sein. Ich versuchte es. Dann ging sie.

Aber ihr Leben war vorbei, schallte es in meinem Kopf. Was sollte schon in diesem Karton sein? Habseligkeiten? Ein Tagebuch? Ich war neugierig. Aber auch verwirrt. Ich wünschte, ich wüsste, was ich damit tun sollte. Ich hatte schon lange keine Antworten auf meine Fragen bekommen.

Ich sah dem Mädchen nach. Sie verschwand hinter der Straßenecke in der Dunkelheit. Was auch immer in diesem Karton war, es hatte sie verändert. Und wie ich es verstanden hatte, würde es auch mich verändern. Also tat ich ihr den Gefallen. Als eine Art Weihnachtsgeschenk. Oder so ähnlich.

Ich schloss die Haustüre unseres Einfamilienhauses hinter mir. Ich wollte endlich wissen, was mich so verändern sollte. Wieso ich stark sein sollte. Was zum Teufel in diesem Karton war.

Langsam ging ich unseren Flur entlang Richtung Treppe. Meine Mom war nicht zu Hause. Ich lief die alte, knarzende Treppe zum ersten Stock hoch. Der weitlaufende Flur war in Mondlicht getaucht. Es war schon spät. In meinem Zimmer angekommen, setze ich mich an meinen Schreibtisch. Ich wollte unbedingt wissen, was dieser Karton verborgte.

Ich zupfte das Klebeband von dem Karton ab und sah in den Karton. Darin lagen sieben CDs. Neugierig nahm ich sie in die Hand. Sie waren in einfachen Hüllen verpackt. Eine war mit der römischen Ziffer Eins beschriftet, die anderen folgten bis zur sechs. Auf der Letzten war ein Y. Meine Hände zitterten, als ich sie näher betrachtete. Wenn das hier Alice gehörte, hatte das Mädchen vor meiner Tür Recht gehabt. Ich würde endlich Antworten bekommen.

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