Zwei

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Seitdem ich im zarten Alter von achtzehn Jahren meine erste, eigene Wohnung bezogen hatte, war der Samstagmorgen der Moment der Woche, welcher für den Haushalt reserviert war. Beschränkte sich diese Tätigkeit vor fünfundzwanzig Jahren noch darauf, benutzte Taschentücher und den überfüllten Aschenbecher in den Müll zu bringen, artete der Haushalt nunmehr in eine durchgetaktete, perfekt aufeinander abgestimmte Routine aus.

Geschirrspülen, Kalkreiniger in die Armaturen einwirken lassen, während er Einwirkungszeit die Küchenschränke in Fettreiniger ertränken, Geschirr abtrocknen, wegräumen, Armaturen schrubben, Küchenschränke putzen, das obligatorische, frische Geschirrtuch über den Griff des Backofens hängen, durchatmen und zum Schluss das wichtigste; Kaffee.

Die Küche war somit wieder blitzeblank und hätte durchaus Platz in jedem Musterhaus gefunden.

Während mein achtzehnjähriges Ich noch froh darüber gewesen war, etwas Essbares im Kühlschrank zu finden, außer Senf und Licht, füllte mein dreiundvierzigjähriges Ich gerade die Bio Vollkorn-Nudeln in ein hübsches Ikea-Glas und drapierte es auf den fettfreien Küchenschränken. Fertig.

In diesem Moment hörte ich das Trampeln im Obergeschoss. Sie waren wach. Die liebe Familie hatte den Schönheitsschlaf hinter sich gebracht und stritt sich bereits lautstark, um die Berechtigung der Toilette. Wir hatten noch ein Badezimmer im Erdgeschoss, aber hey, warum sollte man seine Bequemlichkeit für das frohe Gemüt seiner großen Schwester opfern.

Wissend, dass die soeben geschaffene Ordnung in der Küche in ein paar Minuten der Vergangenheit angehören würde, gönnte ich meinen resignierenden Augen einen letzten Blick in meine Musterküche. „Tschüss Ruhe. Bis nächste Woche", murmelte ich und setzte mich mit meinen Kaffee an den Küchentisch, um die Spiele beginnen zu lassen.

„Mann Levi! Du bist so ein pubertäres Arschloch!", kreischte die achtzehnjährige Zicke, die ich meine Tochter nannte und stiefelte wütend die Treppe hinunter in die Küche, um das Badezimmer im Erdgeschoss benutzen zu können.

Braune lange Haare, große, braune Augen und Lippen wie Schneewitchen. Gott, war dieses Mädchen süß, als sie noch klein war. Zerzaust und offensichtlich derb verkatert, wirbelte die Furie durch den Lebensmittelpunkt unseres Hauses.

„Guten Morgen, mein Schatz."

Diesen Satz konnte ich mir nicht verkneifen und beobachtete das Spektakel ganz entspannt vom Küchentisch aus. „Or Mama!", keifte die zerstörte Märchenprinzessin und knallte die Tür vom Badezimmer hinter sich zu.

„Auf die Kinder", murmelte ich in mich hinein und stieß mit meiner Tasse Kaffee und meinem Sarkasmus auf einen anstrengenden Tag an, bevor ich den Teig für die Pancakes zubereitete und meiner ernährungsbewussten Tochter einen grünen Smoothie mixte. Das einzige Grüne was ich in diesem Alter zu mir genommen hatte, war das Gras in meinen Cookies. Ich hatte mein Kind also doch recht gut hinbekommen.

Nachdem sich die jungen Herrschaften im Haus ausgezickt und gewaschen hatten, stiefelten die Verfeindeten zu mir in die Küche. „Morgen", quiekte mein Sohn und erntete sofort den Spott seiner Schwester. Seit drei Wochen verlor Levi immer wieder die Kontrolle über seine Stimmlage.

Die Hormone flossen durch seinen Körper und brachten alles durcheinander. Und während seine Körpergerüche exzessiv um die Wette eiferten, lagen die Stimmbänder bekifft in der Ecke und erkundeten mögliche Höhen und Tiefen.

Ich selbst war ähnlich verwirrt, wie seine Stimmbänder. Auf der einen Seite war ich stolz auf meinen kleinen Jungen, welcher mittlerweile rund einen Kopf größer war als ich und sportlich in die Fußstapfen seines Vaters trat. Auf der anderen Seite blutete mein Herz, denn er sah genauso gut aus wie sein Vater und ich wusste nur zu gut, was auf bekiffte Stimmbänder und exzessive Körpergerüche folgte.

In diesem Moment ertappte ich mich selbst dabei, wie ich über das Wort Exzessiv und meinen Sohn nachdachte und hätte meine Gedanken am liebsten mit Benzin überkippt, verbrannt und einen Betonklotz daran befestigt, um sie im See zu versenken.

Das Mädchen, das mein Levi mal mit heimbringen würde, würde es ähnlich schwer haben, wie Anna's erster Freund. Im Teilen war mein Mann nicht besonders gut und wenn es um die Liebe und uneingeschränkte Aufmerksamkeit seiner kleinen Biene ging, konnte er recht furchterregend sein. Wie gut es das Sexualleben meiner Tochter hatte, da mein Mann aktuell mal wieder lieber irgendwelche Terroristen im nahen Osten abknallte, als sich mit den Wildwechseln im Schlafzimmer unserer Tochter zu beschäftigen.

Grinsend über mich selbst servierte ich meinen lieben Sprösslingen das wohlverdiente Frühstück. Wer so viel stritt, brauchte Nährstoffe und die mondoberflächenartige Haut meines Sohnes, würde sich über einen Extraschub Zucker in Form von Ahornsirup freuen. Nicht.

Während Anna an ihrem grünen Smoothie mit Spinat, Petersilie, Mango und Apfel zutschte und wild auf ihrem Handy rumwischte, schaufelte Levi einen Pancake nach dem anderen in sich hinein. Er kam definitiv nach seinem Vater.

„Also meine Süßen. Was wollen wir heute machen?", fragte ich und hoffte, sie würden mich in Ruhe mein Buch lesen lassen. Kinder in diesem Alter hatten einen großen Vorteil. Wir Eltern waren größtenteils notwendige Störenfriede und wurden lediglich als geldgebende Ernährer angesehen. Ich konnte mich also ganz und gar meinen verloren geglaubten Hobbys widmen, während sie komische Teenie-Dinge taten, die ich ebenso wenig verstand, wie meine Eltern meine Teenie-Dinge damals verstanden hatten.

Doch in diesem Moment passierte etwas Unvorhersehbares. Das zerstreute Schneewitchen erhob die Stimme.

„Ich dachte wir gehen in die Mall, Mom. Wollte mit dir noch etwas Zeit verbringen, bevor wir Dad heute Abend abholen", schoss es aus meiner Tochter heraus.

Absolut ungläubig zog ich meine linke Augenbraue hoch und versuchte herauszufinden, was sie bezwecken wollte, schließlich wäre es wahrscheinlicher gewesen, dass Levi seine Sportsachen selbst gewaschen hätte als, dass meine Tochter nach einem Date mit ihrer, eigentlich ach so peinlichen Mutter bat.

„Don't try me, Sweetie", war was ich dachte, „Sehr gern mein Schatz", was ich sagte und wartete gespannt auf den wahren Grund für ihre Bitte. Sofort leuchteten die Smaragde in ihrem Puppengesicht.

Ja, dieses Mädchen hatten wir echt gut hinbekommen.

„Super! Ich ziehe mich schnell an und dann können wir ja vielleicht in den Nike Laden? Die haben gerade Coupons", rief das Töchterchen euphorisch und sprang sofort vom Barhocker, um sich schnell fertig zu machen. „There we go ...", dachte ich und widmete mich in aller Ruhe dem erneuten Putzen meiner Küche. Schließlich wusste ich, dass ich genügend Zeit hatte, um mich um den Abwasch, das Staubsaugen und Wischen zu kümmern, bis sich meine Tochter schnell fertig gemacht hatte.

„Was ist mit dir? Willst du mit?", fragte ich Levi und bestückte den Geschirrspüler für Runde Zwei an diesem Morgen. „Huh?", kramte er aus seinem eloquenten Wortrepertoire heraus.

Mein Augenrollen versteckte ich hinter dem Besteckkasten.

„Willst du mit in die Mall?", säuselte ich, so süßlich ich konnte, während ich mich fragte, was genau in diesem hormongesteuerten Gehirn vor sich ging. „Ne ... ich bleib hier ... zocken. Bis dann", quiekte er und war so schnell wieder in der Müllhalde verschwunden, dass ich keine Zeit hatte, noch irgendetwas darauf zu erwidern.

Während ich meinem Sohn hinterherschaute, wie er lässig die Treppen hoch joggte, blieb mein Blick auf einem Bild meiner Mutter hängen. „Kinder sind was Feines ...", murmelte ich ernüchtert über das fröhliche Familienfrühstück und machte ich mich an den Haushalt.

Zwischen Sporttaschen und Sockensex Where stories live. Discover now