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Die unbändige Wut, die ich noch auf meinem Heimweg vom Industriehafen gespürt hatte, war mittlerweile Scham und Verzweiflung gewichen. Warum nur hatte ich all diese verletzenden Dinge gesagt? Warum brachte Finn mich dazu nicht mehr klar denken zu können und alle Gefühle hundertfach intensiv zu spüren? Und warum musste er so ein Arschloch sein? Hatte ich jemals das Gefühl gehabt ihn irgendwie einschätzen zu können und ansatzweise zu kennen, so war diesem Gefühl jetzt große Verwirrung über seine Irrationalität gewichen.

In meinem Zimmer war es dunkel und ich starrte die Decke an, an der seit meiner Kindheit die im Dunkeln leuchtenden Traumsterne klebten. Eigentlich hätte ich heute weiter an meiner Hausarbeit schreiben müssen, aber dafür war ich zu aufgebracht gewesen. Auch die insgesamt vier Anrufe von Piet ignorierte ich gekonnt. Der konnte mir gestohlen bleiben. Ich wusste, er hatte es nur nett gemeint. Hatte ein Gespräch erzwingen wollen, vor dem ich mich die letzten Tage gedrückt hatte. Ein Gespräch, dass vieles Schlimmer aber vielleicht auch vieles einfacher gemacht hatte. Jetzt musste ich Finn nicht mehr wiedersehen. Jetzt war es vorbei.

Ein Klopfen an meiner Zimmertür ließ mich hochfahren.

„Ja?" Meine Stimme klang kraftlos. Mit den Händen rieb ich mir übers Gesicht, um die Gedanken zu vertreiben.

Meine Mutter steckte ihren Kopf durch die Tür. Als sie mich auf dem Bett entdeckte zog sie die Augenbrauen zusammen.

„Oh, hast du etwa schon geschlafen?" Sie klang etwas besorgt. Auch an ihr war es nicht vorbeigegangen, wie ich mich die letzten Tage eingeigelt und vor der Außenwelt versteckt hatte.

„Ach, nein. Alles Gut." Ich versuchte zu lächeln. Ich konnte in ihrem Gesicht erkennen, dass es nicht funktionierte.

„Ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass ich mit Uta ins Kino gehe." Sie musterte mich weiter besorgt.

„Viel Spaß." Ich hatte die Hoffnung, dass sie einfach wieder verschwinden würde. Stattdessen machte sie einen weiteren Schritt in mein Zimmer hinein.

„Sag mal, ist alles okay bei dir? Hattest du Streit mit Helena? Du benimmst dich so seltsam, seit sie da war." Meine Mutter war eine richtige Detektivin.

„Alles in Ordnung, mach dir keine Sorgen. Ich hatte nur einen anstrengenden Tag und komme mit meiner Hausarbeit nicht weiter", log ich. Sie bedachte mich mit einem intensiven Blick. Ich wusste, dass sie mir nicht glaubte.

„Soll ich dir noch ein Stück Kuchen holen?", fragte sie stattdessen. Das war ihre Antwort auf alles, Kuchen. „Oder willst du reden?", schob sie vorsichtig hinterher.

„Danke, Mama. Gerade nicht. Aber viel Spaß im Kino, ja?", versuchte ich sie abzuwimmeln.

„Na gut", erneut musterte sie mich. Dann gab sie anscheinend auf ihren Sohn zum Reden bringen zu wollen und verabschiedete ich. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, atmete ich erleichtert aus. Ich hätte ja gerne ein offeneres Verhältnis zu meiner Mutter, aber das ging einfach nicht. Ich wusste, dass sie sich Sorgen machte, doch damit musste ich alleine klarkommen. Schließlich hatte ich mich auch in diese Lage gebracht.

Aber eigentlich konnte doch jetzt nur noch alles besser werden. Ich war mein größtes Problem zurzeit, Finn, los. Ich wollte und musste ihn nicht mehr wiedersehen und er mich auch nicht. Dennoch versetzte mir dieser Gedanke einen Stich. Zumal die ganzen Fragen, die sich mit Finn zusammen aufgetan hatten, immer noch da waren. Wenn ich es nur schaffen könnte sie zur Seite zu schieben, dann könnte ich mich meinem anderen Problem widmen. Helena. Ich musste sie endlich anrufen, das wusste ich. Ich musste mich entschuldigen und alles wieder geradebiegen. Nur wie? Und wollte ich das denn? Und vor allem musste ich jetzt erst mal eines: Finn vergessen.

Wenn dann das hierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt