7. Kapitel - Ella

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Silbrig schimmernd liegt das Medaillon auf dem Papier gebetet. Wie, als wäre es ein zerbrechliches Artefakt entnimmt Anni die Kette und legt sie in ihre Handfläche. Das Medaillon gehörte unserer Mutter und ich kann mich noch gut daran erinnern wie sie es voller Stolz trug. Mit einem zarten Klacken öffnet sie die beiden Hälften und betrachtet die Bilder in der Innenseite. Auf der linken sind Anni und ich zu sehen, wir tragen beide rote Kleider und sitzen auf einer Picknickdecke. Das Foto wurde vor einer halben Ewigkeit gemacht als unsere Eltern noch zusammen lebten. Rechts sieht man eines der schönsten Fotos die wohl jemals von ihnen aufgenommen wurde. Mutter liegt eng an Vater gelehnt und schmiegt sich an seinen Hals. Ihre rehbraunen Haare fallen ihr lockig von den Schultern. Ihre Augen strahlen, wie sie schon immer, die Freude aus, die man als Mutter in sich trägt. Vater wirkt eher distanziert, wie erstarrt steht er neben ihr und lehnt seinen Arme um ihre Schulter. Sein Lächeln wie das auf jedem Foto. Es wirkt gepresst und wiederspiegelt nicht seine waren Gefühle.

So war er nicht immer, rede ich  es mir ein und lasse meinen Blick wieder in die Schachtel schweifen. Darin liegen Briefe, Fotos, getrocknete Blumen und Muscheln die wir auf Spaziergängen gesammelt haben. Mutter fing damit vor langer Zeit an, schrieb Briefe die wir damals nicht lesen durften. Ich habe sie immer gefragt was das soll. Doch ihre Antwort war immer zweideutig. Oder sie antwortete gar nicht und weinte stattdessen.

Heute weiß ich, dass es Briefe des Abschieds waren, ich habe sie Anfangs nur einmal gelesen und wollte sie danach nie wieder anfassen. Doch irgendwann wurde mir klar, dass meine Mutter wollte das wir sie lesen. Sie gab mir Weisheiten und Anekdoten mit. Sie schrieb von ihren Fehlern und von Dingen, die ich sie zwar nie gefragt, doch im Laufe der Zeit immer eine Antwort gesucht habe. An ihrem Tod hat niemand Schuld schrieb sie, aber ein kleiner Teil in mir gab ihm immer die Schuld an allem was danach geschah. Er der seine Familie im Stich lässt und sie einfach wegwirft. Ich balle meine Hände zu Fäusten bis ich plötzlich eine sanfte Berührung spühre.

Anni streichelt mir über den Rücken und schlingt den Arm um mich. Auch sie ist aufgewühlt, auch sie empfindet Wut und Trauer. Und das ist ihre Art damit um zu gehen. Ich beruhige mich wieder und suche Annis Blick. Ich muss stark sein, durchfährt es mich wie ein Schlag, ich muss jetzt stark sein, für Anni.

Es war an manchen Tagen schwer diese Schachtel zu öffnen, aber wir taten es stets zusammen. Ein Ritual, das wir schon seit Jahren wiederholen. Dann gab es jedoch Tage, an denen es am schwersten war sie zu schließen und alles in sie einzupacken.

Dennoch taten wir es, wann immer uns gerade die Nähe und Geborgenheit fehlte und im Nachhinein ging es uns immer etwas besser. Und irgendwie glaube ich, dass es Anni damit leichter fällt zu akzeptieren was geschehen ist. Ja, es gab eine andere bessere Zeit in ihrem Leben und ja es ging ihr lange Zeit ziemlich scheiße aber das wird nie wieder vorkommen.

Dieses Ziel habe ich mir vor Jahren gesetzt als ich der Realität in Auge blicken musste um zu sehen was uns noch bevorsteht. Ich werde nicht zu lassen, dass irgendetwas meine Schwester je wieder so verletzt.

die SchlangentänzerinWhere stories live. Discover now