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Im Haus der Giordano's – zwei Jahre zuvor

Ich schlug das alte Buch von Großvater zu, als mein Vater und Vincenzo, unser Bodyguard, mein Zimmer betraten, dass gleichzeitig eine riesige Bibliothek war.

Ich nahm Mutter wahr, die hinter Vater in der Eingangstür stand und sich eine verirrte Träne von der Wange schnell wegwischte, bevor ich sie wirklich sehen konnte.

Schnell sprang ich von meiner weißen Couch auf und legte das alte Buch auf meinen kleinen Beistelltisch aus altem Holz, der aussah als würde er jeden Moment in sich zusammenfallen. Ich mochte ihn. Er war wie ich. Ganz, aber gleichzeitig gebrochen.

Mein Vater sah gequält im Gesicht aus, wie als würde man ihm großen mentallischen Schmerz zufügen. Ich hatte diesen Blick nur ein einziges Mal bis jetzt auf seinem Gesicht gesehen. Es war an dem Tag, an dem er meiner älteren Schwester Amalia erklärt hatte, dass sie Gastone Pagano, den Capo von der Miami Coreone, heiraten sollte. Mehrere Welten sind an diesem Tag zusammengebrochen. Die von meiner Mutter. Die von mir. Und natürlich auch die von Amalia. Bis zu diesem Tag hatte ich nie daran gedacht, dass eine von uns, einfach an einen Fremden Mann verheiratet werden kann. Einfach aus Zwang und nicht durch die Gefühle ihres Herzens. Aber so war es nun Mal in unserer Welt. Wenn du nicht männlich warst, wurden deine Gefühle einfach übergangen und niemand fragte ob es dir dabei gut ging.

Genau dieser eine Blick, den er, dass letzte Mal Amalia zugeworfen hatte, vor einem Jahr, breitete sich wieder auf seinem Gesicht aus. Nichts war anders. Vielleicht nur das um seine blauen Augen, diesmal leichte Falten zu erkennen waren und sein damals noch braunes Haar mittlerweile von weißen Strähnen überflutet worden war. Und dass er diesen Blick nicht Amalia zuwarf, sondern mir.

Ich hatte Angst was er mir gleich sagen würde. Es konnte nichts Gutes bedeuten.

„Spätzchen, ich muss dir etwas erzählen." sagte er in seiner tiefen Stimme und deutete auf mein Sofa, von welchem ich erst vor Sekunden aufgesprungen war. Mutter kam nun ganz in den Raum herein und drückte sich an Vincenzo, unserem Bodyguard vorbei. Sie kam mit schweren Schritten ebenfalls zu meinem Sofa und ließ sich zu meiner rechten nieder. Vater saß links von mir und nahm meine Hände in seine, weshalb ich Mutter den Rücken zuwandten musste.

Sie machten mir wirklich Angst und es half auch wirklich nicht sehr, dass Mutter hinter mir leise aufschluchzte. Mein Puls ging schneller. Was machte sie so traurig, dass sie weinen musste? Vater warf ihr einen bösen Blick über meine Schulter zu. Blitzschnell drehte ich mich zu ihr um und sah wie ihr immer und immer mehr Tränen über die Wangen liefen. Meine Mutter war eine wunderschöne Frau in ihren Mitte Vierzigern. Ihre langen Kastanienbraunen Haare die sie mir und Amalia vermacht hatte, hingen ihr glatt über die Schultern, während meine und Amalias immer schwer zu bändigen waren. Ihre Augen waren glasig und auf ihrem kaum mit Falten besessenen Gesicht liefen Tränen herunter. Ich hatte sie noch nie so gesehen und machte mir wirklich ernsthafte Sorgen. Was konnte so schlimm sein das sie sich dermaßen die Auen ausweinte?

Ich wollte sie gerade eben Fragen, doch Vater zog mich an den Händen und mein Kopf flog wieder zu ihm herum. Auch auf seinem Gesicht war wieder dieser Ausdruck.

„Kann mir einer von euch jetzt einmal erklären was hier los ist?" fragte ich leise, weil ich mich vor der Antwort fürchtete. Ich überlegte angespannt, in der Zeit in der mein Vater Luft holte was es sein könnte. Doch wirklich auf ein Ergebnis kam ich nicht.

„Ellie, du erinnerst dich doch noch bestimmt an letzte Woche wo, Luigi Rigon hier bei uns zu Besuch war, oder?" fragte er mich mit hoch gezogen Augenbrauen.

Natürlich erinnerte ich mich an den Tag, Beatrix meine jüngere Schwester und ich mussten den ganzen Tag in engen Kleidern herumlaufen und ein Lächeln auf dem Gesicht tragen. Außerdem könnte ich niemals vergessen, wie ich die eiskalte Hand von Luigi Rigon, schütteln musste. Er hatte kein Lächeln im Gesicht oder sonst irgendeinen anderen Ausdruck. Er hatte mir Angst gemacht, nicht nur, weil er der Capo von der Los Angeles Donella war und wahrscheinlich mehr Blut an seinen Händen getragen hatte, als alle anderen zusammen, auch von uns, sondern, weil er zwei Stunden lang mit meinem Vater in seinem Büro lautstark gestritten hatte. Also nicht nur im lauten Ton geredet oder so, nein, er hatte meinen Vater richtig angeschrien. Nur als seine Frau Kiara mir die Hand geschüttelt hatte, nahm ich Wärme wahr. Sie hat mich mit einem breiten Lächeln angelächelt, dennoch sahen ihre Augen traurig aus. Sie sah wunderschön in dem blauen Kleid aus, welches sie zu diesem kleinen „Dinner Abend" getragen hatte. Sie hatte lange schwarze Haare und riesige grüne Augen. Sie war nur zwei Jahre jünger als meine Mutter, aber hätte meine Mutter das nicht vorher erwähnt, hätte ich sie erst auf dreißig geschätzt.

Weil ich mich noch sehr an den Abend und Luigi und Kiara erinnern konnte nickte ich meinem Vater zaghaft zu.

„Du hast bestimmt auch mitbekommen, wie Luigi und ich zwei Stunden lang in meinem Büro waren und Lautstark argumentiert haben." Ich nickte ein weiteres Mal, Angst davor was jetzt kommen würde. „An dem Tag haben wir darüber diskutiert, wen sein ältester Sohn Kyle - der bald Capo von der Los Angeles Donella sein wird – heiraten soll." sagte er und pustete die angestaute Luft aus. Es verwunderte mich, dass Luigi Rigon mit meinem Vater darüber diskutiert hatte. Vater war ein Soldat von dem Boston Savittos und hatte nichts mit der Los Angeles Donella zu tun.

Verwundert wieso er mit Luigi darüber gesprochen hatte sah ich auf, in seine Augen die nichts gutes Preis gaben.

„Wir haben darüber entschieden, dass du Kyle Rigon heiraten wirst." sagte er und ich hörte meine Mutter hinter mir Leise aufschluchzen. Vater hatte wieder diesen gequälten Gesichts Ausdruck, doch ich saß einfach nur versteinert da. Geschockt, von dem was er mir erzählt hatte. Ich würde wie Amalia einen komplett fremden heiraten. Ein dicker Klos breitete sich in meinem Hals aus und ich konnte nicht mehr schlucken.

Früher als ich noch kleiner war, habe ich immer davon geträumt eine Prinzessin zu werden, die in einem Schloss lebte und eines Tages an einer Lichtung ihren Prinz Charming fand. Ich war naiv und dumm. Niemals würde ich so etwas haben können.

Tränen brannten in meinen Augen, doch ich wollte nicht weinen, nicht vor meinem Vater und auch nicht vor meiner Mutter. Ich musste stark sein für sie beide. Auch wenn ich vor der Vorstellung einen Fremden zu heiraten, der der zukünftige Capo von der Los Angeles Donella sein würde, sehr abschreckte nahm ich es so wie es kam.

Kyle war dafür bekannt, wie er einmal einen Mann umgebracht hatte und dann jedes Organ einzeln herausgeholt hatte und dafür, dass er auf jedem Bild ein anderes Püppchen im Arm hielt, was das Internet zu bieten hatte. Und dieser Mann sollte mein Ehemann werden? Ich wusste nicht was mich mehr abschreckte. Das er einem Mann jedes Organ einzeln herausgerissen hatte oder doch das er nachts neben mir liegen würde, wenn ich schlief.

„Wann?" war das Einzige was ich über meine Lippen bekam, den Klos schob ich irgendwie zur Seite, doch meine Stimme klang so dünn, dass ich mich fragte ob meine Eltern es überhaupt gehört hatten. Viel zu sauer war ich auf meinen Vater, dass er mich einfach so fortgeben würde. Wie konnte er nur? Aber es brachte nichts auf ihn sauer zu sein. Letzten Endes konnte mein Vater auch nichts dafür. Das wurde nur von Luigi Rigon entschieden, weshalb ich versuchte meine Wut auf ihn zu richten.

„Kurz nach deinem neunzehnten Geburtstag." sagte er und ich ließ harsch die unbewusst angehaltene Luft entweichen. Immerhin hätte ich noch ein Jahr in dem Ich frei war. Es war nicht wirklich häufig so, dass ein Mädchen was verheiratet werden sollte noch ein Jahr Freiheit geschenkt bekam. Vielleicht wollten sie mich, aber auch einfach nur testen. Bis jetzt durfte kein einziges Mädchen, was ich kannte und auch in dieser Mafia Welt war, noch ein Jahr Zeit für sich bekommen.

Vielleicht sollte ich das als Motivation ansehen, aus dem einen Jahr das Beste zu machen in dem ich noch frei war.

Ich war siebzehn Jahre alt und hatte nur noch zwei Monate bis zu meinem Achtzehnten Geburtstag.

„In Ordnung." sagte ich und mein Vater blickte hoch. Er war ganz konzentriert gewesen seine makellose Hose noch makelloser zu machen, weshalb sein Blick auf seinen Schoss gerichtet war. Als er mir wieder in die Augen sah, nahm ich nun ein anderes Gefühl war, eines, dass ich viel zu selten bei ihm zu sehen bekam. Kompletter Stolz.

Mir blieb nichts anderes übrig. Aus dieser Welt würde ich nie wieder herauskommen, ich konnte nur das Beste aus meiner Situation machen. Außerdem musste Amalia durch all das genauso durch, und lebte immer noch. Ich würde das schaffen. Ganz egal wie.

Vater zog mich in eine schnelle Umarmung und Mutter klebte sich an meinen Rücken auch tief versunken in der Umarmung. Ich bekam nicht wirklich sonderlich viel Liebe ab, die hatten meist immer Amalia und Beatrix abbekommen. Deswegen war diese Umarmung in gewisser Weise fremd, aber gleichzeitig vertraut. Ich hatte schon ein echt verkorkstes Leben. Erst als mich meine Eltern losließen, meine Mutter mir noch einen langen Blick, mit Tränen schimmernden Augen zuwandte und sie dann aus meinem Zimmer hinaus gingen, wusste ich nicht mehr was ich fühlen sollte. Sollte ich Wut empfinden? Sollte ich etwas durch die Gegend werfen? Sollte ich mich in mein Bett legen und weinen? Oder sollte ich einfach akzeptieren wie es war?

An diesem Tag schwor ich mir, mein letztes Jahr in Freiheit, zu dem besten Jahr zu machen, was mir noch blieb.

Like the fire inside meWhere stories live. Discover now